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Flüchtlinge auf der Insel LampedusaÜber 2.000 Ankünfte in kurzer Zeit

Hunderte Flüchtlinge sind seit Sonntag auf der Mittelmeer-Insel Lampedusa angekommen. Das sind so viele wie seit zwei Jahren nicht.

Szene von März: Migranten erreichen die Insel Lampedusa Foto: Mauro Buccarello/reuters

Rom/Tunis taz | Mehr als 2.000 Flüchtlinge trafen am Sonntag und in der Nacht auf Montag auf Lampedusa ein. Das gute Wetter und die ruhige See erlaubten es den meisten, mit ihren Schiffen aus eigener Kraft die italienische Insel zu erreichen. Gut 20 Schiffe, von Fischkuttern mit je über 300 Menschen an Bord bis zu kleinen Holz- und auch Schlauchbooten, hatten sich auf die Überfahrt gemacht und wurden auf den letzten 12 Seemeilen von Schiffen der italienischen Küstenwache Richtung Hafen eskortiert.

Damit erlebte Lampedusa die seit zwei Jahren höchsten Ankunftszahlen von Flüchtlingen binnen eines Tages. Schon seit Januar hatte sich gegenüber den zwei Vorjahren abgezeichnet, dass die Zahl eintreffender Mi­gran­t*in­nen wieder zunimmt: In den ersten gut vier Monaten des Jahres kamen mehr als 12.000 auf dem Seeweg über die Straße von Sizilien nach Italien, während es im Vergleichszeitraum 2019 nur 842 und 2020 nur 4.105 waren. Mit 1.500 Personen stellen die Tu­ne­sie­r*in­nen die größte Gruppe, je etwa 1.200 zählen Menschen von der Elfenbeinküste und aus Bangladesch, denen als weitere Herkunftsstaaten Guinea, Ägypten, Sudan und Eritrea folgen.

Mit über 2.000 Flüchtlingen ist das Camp auf Lampedusa, das offiziell Platz für 250 Menschen bietet, völlig überfordert; viele mussten deshalb die Nacht im Freien verbringen. Deshalb wurden noch am Montag zwei Quarantäneschiffe sowie eine Fähre nach Lampedusa geschickt, die 1.100 Menschen an Bord nehmen sollen.

Die hohe Zahl der am Wochenende eingetroffenen Flüchtlinge sorgte umgehend für Spannungen in der Fast-Allparteienregierung unter Ministerpräsident Mario Draghi. Matteo Salvini, Chef der rechtspopulistisch-fremdenfeindlichen Lega, die zur Koalition gehört, twitterte, „angesichts von Millionen Italienern, die in Schwierigkeiten stecken, können wir uns nicht um Tausende Klandestine kümmern“.

Rechte Konkurrenz im Nacken

Salvini sitzt die rechte Konkurrenz der Fratelli d’Italia (FdI) unter Giorgia Meloni im Nacken, die in Opposition zur Regierung Draghi steht. Meloni verlangt ihrerseits, „die Schlepper und die Immigrations-freundlichen NGOs, die mit den Tragödien spekulieren“, zu stoppen. Deshalb fordert sie von der Innenministerin Luciana Lamorgese „eine sofortige Seeblockade“, ohne sich weiter Gedanken über deren Vereinbarkeit mit internationalem und nationalem Recht zu machen.

Mit einem Such- und Rettungsboot sind die Menschen gerettet worden Foto: Mauro Buccarello/reuters

Auf beide antwortete Lampedusas Bürgermeister Totò Martello. Salvini entgegnete er, es sei „unverantwortlich, den sozialen Hass zu befeuern, indem man die Italiener gegen die Migranten stellt“, während er für Meloni nur die Worte übrig hatte, ihre Forderung nach der Seeblockade sei „eine dermaßen evidente Dummheit, dass sie keinerlei Kommentar verdient“. Er fügte hinzu, dass die Insel „keineswegs vor dem Kollaps“ stehe, solange die Flüchtlinge zügig nach Sizilien und aufs italienische Festland gebracht werden.

Italien will nun einerseits das Abkommen von Malta reaktivieren, in dem sich im August 2019 Italien, Malta, Deutschland und Frankreich auf die Übernahme von Flüchtlingen aus Ankunftsstaaten auch durch andere europäische Länder einigten.

Ministerpräsident Draghi setzt aber auch darauf, dass Libyen – von Italien in den letzten Jahren mit Booten und anderem Gerät ausgestattet – seinen Part bei der Flüchtlingsabwehr spielt, natürlich „unter Einhaltung der Menschenrechte“, wie die Regierung in Rom zu betonen nicht müde wird, ohne je bisher auch nur für minimale menschenrechtliche Standards bürgen zu können.

Funkstille zwischen Küstenwachen

Zwischen libyschen und italienischen Marine-und Küstenwache-Einheiten herrscht derzeit sogar Funkstille. Und das in einer Phase, in der in den vergangenen Wochen von der westlibyschen Küste so viele Boote wie zuletzt 2015 abgelegt haben.

Erst am Sonntag vor einer Woche kam es zu einem gefährlichen Zwischenfall: Der Italiener Guiseppe Giacalone, Kapitän eines Trawlers, war nach einer dreistündigen Verfolgungsjagd mit dem libyschen Patrouillenboot „Ubari“ verletzt worden. Die italienischen Fischer berichten von gezielten Salven und Einschusslöchern auf ihrem angeblich in libyschen Hoheitsgewässern entdeckten Schiff.

In einem Interview mit der taz wiegelt der Kommandeur der libyschen Küstenwache im „Bereich Mitte“ ab, man habe nur Warnschüsse abgegeben. Rund 6.000 Männer hat General Rida Issa entlang seines 400 Kilometer langen Küstenabschnitts zur Verfügung. Doch weil Nato-Flugzeuge im Libyenkrieg 2011 die Schiffe der Küstenwache versenkten, ist Issa auf Hilfe aus Europa angewiesen. Von sechs Patrouillenbooten, die Italien geliefert hat, sind derzeit drei im Einsatz, drei andere in Wartung.

Auf die Kritik an seinen Marinesoldaten reagiert der 66-jährige Issa gereizt. „Unsere europäischen Partner lassen leider die Benzinschmuggler, die illegal in libyschen Gewässern aktiven Fischer und alle möglichen Schmugglergeschäfte in Ruhe. Von uns erwarten sie jedoch, in der auf 70 Meilen erweiterten libyschen Rettungszone jedes Schlauchboot ausfindig zu machen“, empört er sich im Interview. „Die Lösung ist eine gemeinsame Marinemission aller Mittelmeerainerstaaten.“

„Milizen verdienen mit Migranten Geld“

Der Journalist Taher Zaroog lebt ebenso wie Rida Issa in der Hafenstadt Misrata, seit dem Aufstand gegen den ehemaligen Machthaber Muammar Gaddafi die militärisch stärkste Stadt Libyens. Milizen aus Misrata haben Gaddafi gestürzt, dann die Kämpfer des „Islamischen Staates“ und später die Söldnertruppe des aufständischen ostlibyschen Generals Khalifa Haftars vor Tripolis besiegt. „All diese Milizen verdienen mit Migranten Geld“, erklärt Zaroog. „Man verleiht sie zu Zwangsarbeit oder bringt ihre Verwandten in der Heimat mit Foltervideos dazu, sie aus den Foltergefängnissen freizukaufen.“

Im Krieg um die Hauptstadt Tripolis 2019 und 2020 hatten die Milizen aus Misrata Seite an Seite mit radikalen Gruppen und Menschenhändlern Haftars Söldnertruppe vertrieben und damit die Regierung in Tripolis gerettet. Nach Kriegsende bleiben die üppigen Zahlungen aus der Kriegskasse der Regierung an die Milizen aus – und nun hat Libyen eine neue Regierung, hervorgegangen aus politischen Verhandlungen. „Nun wenden sich die von der neuen Regierung nicht anerkannten Gruppen wieder den Migranten als Einnahmequelle zu“, beobachtet Zaroog.

Manon Radost vom Libya Advisor Forum, einem Netzwerk von Nichtregierungsorganisationen, bestätigt, das sich die Lage für Mi­gran­t*in­nen in Libyen seit Anfang des Jahres dramatisch verschlechtert hat. Mitte Januar seien plötzlich auch diejenigen von der Straße oder aus ihren Wohnungen entführt worden, die Arbeit und Papiere des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR hatten, berichtet die Französin. Laut UNO leben derzeit über 571.000 MigrantInnen aus 43 Ländern in Libyen. Radosta sagt, dass rund 5.000 Mi­gran­t*in­nen in offiziellen Gefängnissen einsitzen.

Wer kann, flieht über die tunesische Grenze nach Zarzis und versucht dort, zusammen mit tunesischen Arbeitslosen, einen Platz auf einem Fischerboot zu ergattern. Oft führt der Weg direkt in ein am Strand bereitstehendes Schlauchboot der Menschenhändler*innen. Neun Boote hat die libysche Küstenwache seit Sonntag aufgebracht und 700 Menschen zurückgebracht. „Ein Teufelskreis, viele sitzen bald wieder in einem Boot“, prophezeit der Journalist Zaroog.

An die offiziellen Zahlen der Geretteten und Toten glaubt Zaroog nicht. „Niemand weiß, wie viele Schlauchboote in dieser riesigen Rettungszone sinken, ohne irgendeine Spur zu hinterlassen.“

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