Flüchtlinge auf dem Mittelmeer: Erneut Rettungsschiff blockiert
Kein Hafen will die Sarost V einlaufen lassen. Jetzt liegt sie vor dem tunesischen Zarzis, doch die dortige Regierung will einen Präzedenzfall vermeiden.
Am vergangenen Freitag war ein Holzboot mit 40 Menschen etwa 140 Kilometer nördlich der libyschen Stadt Zuwara in Seenot geraten. Das Boot hatte einige Tage zuvor in Libyen abgelegt, dann setzte der Motor aus. Wie die taz aus zuverlässiger Quelle erfuhr, soll es sich um Menschen aus Ägypten, Bangladesch, Kamerun, Senegal, Guinea, Elfenbeinküste und Sierra Leone handeln. An Bord sind laut tunesischem Roten Halbmond auch zwei Schwangere.
Es ist derzeit sehr ungewöhnlich, dass Flüchtlingsboote so weit kommen – meist werden die Menschen in Libyen auf Schwimmkörper gesetzt, die nur wenige Kilometer fahren können. Der Ort, an dem das Boot am Freitag in Seenot geriet, liegt in internationalen Gewässern in der maltesischen Rettungszone. Der Inselstaat ist für den Einsatz zuständig, auch wenn die tunesische Küste nur etwa 100 Kilometer entfernt liegt. In dem Gebiet gibt es eine Reihe von Öl- und Gas-Bohrinseln.
Die maltesische Leitstelle beorderte das Versorgungsschiff Caroline Tide III, das gerade in der Nähe war, zum Unglücksort. Das bat bei den Rettungsleitstellen von Malta, Italien und Frankreich um Erlaubnis, die Menschen auszuschiffen. Doch die Leitstellen entschieden, sie sollten nach Tunesien gebracht werden.
Die Menschen sitzen fest
Die Caroline Tide III brachte sie daraufhin zunächst zu einer nahe gelegenen Bohrinsel, nach Angaben der Initiative Alarm-Phone handelt es sich dabei um eine Plattform im Ashgart-Ölfeld, das von dem tunesischen Unternehmen Serept betrieben wird. Am Samstag um 14 Uhr nahm dann ein weiteres Ölplattform-Versorgungsschiff, die Sarost V, die Geretteten zum Weitertransport auf.
Die tunesische NGO Forum für Bürgerliche und Soziale Rechte (FTDES) berichtet, die tunesischen Behörden hätten den Kapitän der Sarost V zunächst angewiesen, zum nächstgelegenen Hafen, dem des tunesischen Sfax, zu fahren. Auf dem Weg dorthin habe er jedoch die Order bekommen, Zarzis im äußersten Südwesten Tunesiens, direkt an der Grenze zu Libyen anzusteuern.
Die Sarost V kam dort Montagnacht um ein Uhr an. In den Hafen einlaufen durfte sie auch dort nicht. Seither sitzt sie fest. Das bestätigt auch Maurice Stierl von der Initiative Alarm-Phone, der mit der Crew der Sarost V in Telefonkontakt steht.
Die Betreiberfirma Sarost Group und der tunesische Rote Halbmond haben nach Angaben des FTDES Proviant und medizinische Hilfe zu dem Schiff gebracht. Doch für einen längeren Aufenthalt der völlig entkräfteten Menschen ist das Schiff nicht ausgelegt. „Tunesien weigert sich, diese Migranten willkommen zu heißen, weil es kein sicherer Hafen für europäische Staaten werden will“, heißt es in einer Erklärung des FTDES.
Tunesier wollen keine Lager
Im Juni hatte Italiens neue Regierung ihre Häfen für Schiffbrüchige weitgehend geschlossen. Drei Schiffe hatten seither Gerettete aufgenommen, die erst nach mehrtägigen Odysseen unter mehreren EU-Staaten aufgeteilt wurden. Die Sarost V ist nun der erste Fall, in dem ein Rettungsschiff nach Tunesien geschickt wird.
Die dortige Regierung will einen Präzedenzfall unbedingt vermeiden. Tunesien war eines der nordafrikanischen Länder, die in den vergangenen Woche immer wieder als Sitz vorgeschlagen wurden für die Asylcenter, die Politiker mehrerer europäischer Staaten sowie die EU vorgebracht hatten. Doch derartige Lager, in denen über das weitere Schicksal auf See Geretteten entschieden würde, stoßen in der Bevölkerung auf Ablehnung. „Wir sind nicht der Mülleimer Europas“, hatten hunderte Demonstranten vor zwei Wochen auf den Straßen von Tunis skandiert, nachdem erste Gerüchte über die EU-Pläne an die Öffentlichkeit kamen.
Immer wieder steigen aufgrund der andauernde Wirtschaftskrise auch junge Tunesier in Fischerboote nach Italien. Lokale Politiker fürchten, dass der Arbeitsmarkt rund um die Camps zusammenbrechen könnte, schon jetzt hat jeder zweite Jugendliche in Tunesiens Süden kein regelmäßiges Einkommen. Premierminister Youssef Chahed verhandelt dennoch klammheimlich mit der EU-Kommission über provisorische Camps mit der EU. Die wiederum will Tunesien, Marokko und Libyen mit einem 90,5 Millionen Euro Hilfs-Programm überzeugen.
Im Staatsfernsehen Wathania wurde indes gefordert, die Sarost V nach Malta zurück zu schicken, da nach der Genfer Flüchtlingskonvention das Land zuständig sei, in dessen Hoheitsgewässer der Notruf abgesetzt wurde. „Die europäische Küstenwache hat die Verantwortung für die Einsätze in ihren Such- und Rettungszonen. Das ist gesetzlich so vorgeschrieben“, sagt Maurice Stierl vom Alarmphone. Malta habe sich „verantwortungslos“ verhalten. Es brauche dringend eine „langfristige Lösung, die es den in Seenot geratenen Menschen ermöglicht, in europäischen Häfen schnell auszusteigen, statt dass die Geretteten in jedem Einzelfall aufs Neue hin- und hergeschoben werden und sich ihr Leid unnötig verlängert“, so Stierl.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin