Fleischkonzern Tönnies schlachtet wieder: Alles arme Schweine
Das Fleischunternehmen Tönnies hat die Produktion im Stammwerk wieder begonnen. Arbeiter*innen, Tiere und Umwelt leiden weiter.
Jetzt beginnt das Leiden wieder: Kaum vier Wochen war Europas größte Fleischfabrik im westfälischen Rheda-Wiedenbrück wegen des massiven Coronaausbruchs unter ihren Arbeiter*innen geschlossen. Seit Donnerstag lässt der Konzern Tönnies in seinem Stammwerk wieder Schweine schlachten. Das ist keine gute Nachricht. Denn an der Ausbeutung der Beschäftigten, der Tierquälerei und der Umweltverschmutzung in der Fleischbranche hat sich nichts geändert. Zu Recht haben Greenpeace-Aktivisten am Morgen auf einem Banner am Hauptgebäude von Tönnies gefordert: „Schluss mit dem Schweinesystem!“
Klar, wahrscheinlich gibt es jetzt erst einmal 1,50 Meter Abstand zwischen den Beschäftigten, um Infektionen zu verhindern. „Ich gehe davon aus, dass die Hygienevorgaben, die schon vom Bund vor einigen Wochen ausgegeben worden sind, jetzt auch effektiv kontrolliert und eingehalten werden“, sagte der taz sogar Armin Wiese, der für die Tönniesfabrik zuständige Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG).
Die Behörden stehen ja auch unter einem gewaltigen Druck, einen weiteren Infektionsherd zu verhindern. Die ganze Republik guckt ihnen auf die Finger, nachdem Mitte Juni mehr als 1.400 Tönnies-Arbeiter positiv auf Covid-19 getestet wurden und deshalb zwei ganze Landkreise das öffentliche Leben wieder einschränken mussten. Nach dem infektiösen Desaster bei Tönnies dürfte auch in anderen Schlachthöfen der Coronadrill etwas strenger eingehalten werden.
Allerdings sind immer noch Zehntausende Arbeiter*Innen der deutschen Fleischindustrie bei Subunternehmen angestellt, die von den Schlachthöfen per Werkvertrag beauftragt werden. So können Fleischkonzerne Gewerkschafter*Innen zufolge die Kosten senken und sich vor der Verantwortung dafür drücken, dass Arbeitnehmerrechte verletzt werden, die Beschäftigten weniger als den gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 9,35 Euro erhalten und Sozialbeiträge sowie Steuern hinterzogen werden. Die Werkvertragskonstruktion führt laut NGG sogar dazu, dass Schlachthöfe Abstandsregeln im eigenen Haus nicht durchsetzen dürfen.
Tiere werden mit Kohlendioxid betäubt
Schlimm geht es den Tieren: Vor allem in großen Schlachthöfen wie bei Tönnies werden sie mit Kohlendioxid (CO2) betäubt, weil man damit so viele Schweine in kurzer Zeit „erledigen“ kann. 15 bis 20 Sekunden lang haben sie das Gefühl zu ersticken und schreien, das Gas verursacht sehr große Schmerzen, wie der Veterinär Michael Marahrens vom bundeseigenen Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit bereits 2017 in der taz berichtete. Sein Urteil: „Die meisten Tiere in Schlachthöfen leiden zu viel.“ Und der Mann gehört keinesfalls zu Verbänden wie der Tierrechtsorganisation Peta, die am Donnerstag ihre Veganer-Grundsatzkritik an Tönnies erneuerte: „Massen an Tieren verlieren weiter ihr Leben.“
Außerdem müssen die Schweine auf der Fahrt zum Schlachthof auch wieder stundenlang in Tiertransportern ausharren. Denn Tönnies, Vion und andere Konzerne haben systematisch die kleineren, dezentralen Schlachthöfe verdrängt. Auch vor dem Abtransport in den Tod werden die meisten Tiere in Deutschland miserabel gehalten. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Ferkel werden ohne Betäubung kastriert und Zähne abgeschliffen. Fast allen wird ein Teil des Schwanzes amputiert.
Der Umwelt schadet das Billigfleischsystem in vielerlei Hinsicht: Nitrat aus der vielen Gülle etwa verschmutzt das Wasser, die Klimabilanz ist miserabel.
Was tun? SPD-Bundesarbeitsminister Hubertus Heil muss endlich seinen Gesetzentwurf zum Verbot der Werkverträge bei der Schlachtung und Fleischverarbeitung vorlegen. Der Staat sollte kleine, regionale Schlachthöfe fördern, die ihre Tiere zum Beispiel per Stromschlag betäuben, was schmerzärmer als mit CO2 ist. Deutschland braucht auch strengere Vorschriften für die Tierhaltung. Damit die Bauern das finanzieren können, sollten die Agrarsubventionen umverteilt und eine Tierwohlabgabe auf Fleisch erhoben werden. Es gibt also Lösungsvorschläge – man braucht nur Mehrheiten, um sie umzusetzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!