Französische Fischerboote

Sie wollen rein: Französische Fischer sind erbost über mangelnden Zugang zu Fischgebieten Foto: Oliver Pinel/ap

Fischereirechte im Ärmelkanal:How much is the fish?

Die Insel Jersey könnte eine Brücke zwischen Frankreich und Großbritannien sein. Nun spitzt sich der Streit um Fischereirechte zu.

11.6.2021, 15:00  Uhr

Schauen Sie!“, ruft ein Mann, der gerade leere Krabbenkörbe ordnet. Er zeigt auf ein Boot, das in den kleinen Hafen von Saint Helier einfährt. „Heute waren wieder Franzosen da. Unsere Coast Guards haben sie wieder weggeschickt.“ Eine halbe Stunde später sprechen zwei Personen im militärischen Khaki mit der Crew der Küstenwache. Auch ein Einsatzwagen der Polizei ist da.

Saint Helier ist die Hauptstadt von Jersey, der britischen Kanalinsel, die der französischen Küste am nächsten liegt: nur 22 Kilometer trennen Jersey von der Küste der Normandie. Die Sonne tänzelt kilometerweit über den sanften Wellen. In der Ferne sind bunte aneinander liegende Fischkutter zu sehen, vor dem Hintergrund der Festung Eli­za­beth Castle aus dem 16. Jahrhundert, die nur bei Ebbe zugänglich ist. Das Meer ist ruhig, aber seit dem EU-Austritt Großbritanniens bildet es eine heiße Frontlinie des Brexit.

Denn am 6. Mai kam es hier fast zu einer ­französisch-britischen Marinekonfrontation. Um die 60 Fischerboote aus Frankreich blockierten die Hafeneinfahrt, um gegen das neue Post-Brexit-Lizenzverfahren zu protestieren. An Land feuerte aus einer Gruppe von Dar­stel­le­r*in­nen in his­torischen Kostümen ein Scharfschütze mit ­einer alten Büchse in Richtung der Kutter. Die britische Regierung setzte Kriegsschiffe in Bewegung.

Hintergrund des Streits: Mit dem Brexit sind die bisherigen Abkommen erloschen, die den Zugang französischer Fischer zu den Gewässern der Kanalinseln regelten. Zwar gilt die im Handelsabkommen von Weihnachten 2020 vereinbarte Neuaufteilung der Fischereirechte, doch anders als bisher werden nun die Lizenzen nicht mehr von der Normandie, der Bretagne und Jersey gemeinsam herausgegeben, sondern von Jersey allein.

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Showdown auf dem Meer

Und Jersey verlangt für eine neue Fischerlaubnis für französische Boote den Nachweis, dass die Boote in den letzten drei Jahren mindestens zehn Tage in Jerseys Gewässern verbracht haben. Für Boote über 12 Meter Länge wurde eine Frist gesetzt, die Ende April ablief. Bis dahin hatte Jersey nur 41 von mehreren hundert beantragten Lizenzen erteilt, mit 14 weiteren in Bearbeitung.

Die Kanalinsel Jersey zwischen den Küsten Englands und Frankreichs

Die Kanalinsel Jersey zwischen den Küsten Englands und Frankreichs Foto: infotext

Und die neuen Lizenzen gewähren keine generelle Fischerlaubnis mehr. Sie spezifizieren, wie viele Tage welche Fischarten mit welchen Fangmethoden gefischt werden können und welche Schutzgebiete dabei zu meiden sind. Die französischen Fi­sche­r fühlten sich betrogen: In den Brexit-Handelsgesprächen war ihnen zugesichert worden, ihre Rechte blieben weitgehend unverändert.

Als die Bilder der wütenden Franzosen vor dem Hafen von Saint Helier über die Bildschirme in London flimmerten, entsandte die britische Regierung zwei Marinefregatten – „zur Beobachtung“, wie es hieß. Sie hielten sich zurück, von der Küste aus sah man sie nur am Horizont, erinnern sich viele Bewohner Jerseys.

Doch Frankreichs Marineministerin Annick Girardin reagierte mit der Drohung, Jersey den Strom aus dem französischen Unterwasserkabel abzudrehen. Als Frankreich dann auch noch zwei eigene Patrouillenboote nach Jersey schickte, war die Konfrontation komplett.

Muscheln verticken – schwieriger als früher

Ein britischer Regierungssprecher ließ sich in der Presse zitieren mit einer Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg, als die Kanalinseln als einziges britisches Territorium deutsch besetzt waren: „Die haben damals wenigstens das Licht auf der Insel angelassen.“

Ein paar Wochen später ist die Vorkriegsstimmung schon wieder Geschichte. Die See ist ruhig, nur wenige Fischkutter sind unterwegs. Am Kai widmet sich Fischer Steph Noel lieber mit Pinsel und Farbeimer seinem Boot. Im T-Shirt und mit Sonnenbrille erzählt der 52-Jährige, das sei derzeit die sinnvollste Nutzung seiner Zeit.

Aber der Streit hat Spuren hinterlassen. Nach dem Showdown vom 6. Mai wurde Jerseys Fischern, die in Frankreich ihren Fang abliefern wollten – 80 Prozent geht normalerweise nach Frankreich –, die Einfahrt in französische Häfen verwehrt.

Fischer Phil Channing auf seinem Boot

Verkauft seine Muscheln jetzt nur noch auf Jersey selbst: Phil Channing Foto: Daniel Zylbersztajn-Lewandowski

Phil Channing legt gerade mit seinem rot-weißen Kutter am Kai an. Der 62-Jährige wirkt erschöpft, er trägt eine blaue Regenlatzhose mit Schlammspuren, die von seinem letzten Einsatz zeugen. Er half einem Kumpel, der 400 Kilogramm Muscheln und Seewölfe nicht loswurde. Auch Channing verkauft Muscheln, allerdings derzeit nur in Jersey.

Mehr Privatjachten als Fischkutter

Es ist für sie alle nicht das erste Mal. Zuletzt zankten sich 2012, 2018 und 2020 französische und britische Fi­sche­r auf hoher See. Im vergangenen März protestierten Jerseys Fi­sche­r in Saint Helier gegen angebliche Überfischung durch die Franzosen.

Inzwischen dürfen Boote aus Jersey wieder nach Frankreich, aber sie müssen sich drei bis fünf Stunden vorher anmelden und ein bis drei Stunden vorher Fangzertifikate einsenden. Die Fischer aus Jersey fühlen sich in den eigenen Gewässern benachteiligt: So hat ihre Regierung ihnen aus Nachhaltigkeitsgründen verboten, mit Booten von über 12 Meter Länge zu fischen, aber für die Franzosen gibt es diese Möglichkeit weiterhin.

Von einer weiteren Ungleichbehandlung erzählt Phil Channing: „Thunfisch, der seit Neuestem plötzlich vor Jersey aufgetaucht ist, dürfen wir nicht fischen, anders als französische Boote.“

Saint Helier ist eigentlich kein Fischerdorf. Es ist ein schläfriger, gut betuchter Ort. Der Hafen beherbergt mehr Privatjachten als Fischerboote, Luxusbüros von Banken mit Meeresblick dominieren die Hafenpromenade. Höhepunkt des Tages ist die Landung der Versorgungsschiffe aus England, aus denen fast alles kommt, was auf dieser Insel gebraucht wird.

Finanz- statt Fischsektor

Es ist wie England vor fünfzig Jahren, nur reicher: Wochentags schließen die Läden um 17 Uhr, sonntags ganztägig, und vor den Pubs und exquisiten Restaurants parken teure und schnelle Sportwagen, trotz einer Geschwindkeitsbegrenzung von nur 64 Stundenkilometern auf der ganzen Insel. Man verbringt seine Zeit mit Surfen, Reiten, Golf und Radfahren. Oder man macht eine Tour mit dem Privatjet.

Kanalinseln Die „Channel Islands“ vor der normannischen Küste sind der älteste Besitz der englischen Krone, die 1066 aus dem Herzogtum Normandie hervorging, zu dem sie davor gehörten. Die beiden Verwaltungseinheiten Jersey und Guernsey wurden nie ins Vereinigte Königreich integriert und waren auch nie Teil der EU. Sie unterstehen aber der Queen als „Herzogin der Normandie“, und ihre Bürger sind Briten.

Fischerei Historisch wurde die Fischerei in den Hoheitsgewässern Jerseys und Guernseys immer bilateral mit Frankreich geregelt, auch als die britischen Gewässer Teil der EU-Gewässer waren. Als mit dem Brexit die britischen Hoheitsgewässer wieder unter ausschließlich britische Kontrolle kamen, galt dies aber auch für die Gewässer der Kanalinseln. Fischereirechte werden jetzt nicht mehr gemeinsam mit Frankreich geregelt, sondern von den Insel­regierungen allein, im Rahmen des Handelsvertrages zwischen Großbritannien und der EU. Diesem haben sich Jersey und Guernsey angeschlossen.

Übergangszeit Bis Ende April 2021 mussten die bisher in den Gewässern der Kanalinseln aktiven Fischerleute neue Lizenzen beantragen, aber der Prozess ist kompliziert und viele haben jetzt noch keine Lizenzen.

50 Prozent der insgesamt 100.000 In­sel­be­wohn­e­r arbeiten im Finanzsektor und sind wegen der Steuervorteile hergezogen. Die Sichtbarkeit ihres Reichtums steht im schroffen Gegensatz zum harten täglichen Einsatz jener, die im Fischfang arbeiten. Imbisse und Kneipen für Geringverdiener gibt es zwar, aber anders als in gewöhnlichen Hafenstädten Frankreichs oder Englands sind sie in der Minderheit.

Der Finanzsektor dominiert die Wirtschaft: umgerechnet 2,3 Milliarden Euro im Jahr 2019 – die Fischerei erwirtschaftete im selben Zeitraum umgerechnet ganze 3,5 Millionen Euro. Nur 140 Personen auf Jersey leben direkt vom Fischfang.

Eigentlich müsste Jersey, wie die anderen Kanalinseln auch, eine Brücke zwischen Großbritannien und Frankreich darstellen. Anders als viele glauben, sind die Kanalinseln formell kein Teil des Vereinigten Königreiches und waren auch nie Mitglieder der EU. Sie unterstehen mit eigenen Regierungen der britischen Krone – ein Erbe des Mittelalters, als Teile des heutigen Frankreichs zu England gehörten, dessen Königshaus wiederum aus Frankreich gekommen war.

Französische Boote blockieren die Hafeneinfahrt von Saint Helier

Reale Konfrontation: Französische Boote blockieren im Mai die Hafeneinfahrt von Saint Helier Foto: Sameer Al-Doumy/afp

Testfall statt Brücke

In der Außen- und Verteidigungspolitik sowie in der Gerichtsbarkeit unterstellen sich die Kanalinseln London, die Polizei trägt britische Uniformen, das Jersey-Pfund ist dem britischen Pfund gleich, Jersey wird auch, was Reisen und Handel angeht, als Teil des britischen Staatsgebietes behandelt.

Sein politisches System aber ist nach dem französischen Modell aufgebaut. Ein Großteil der Straßen-, Orts- und Familiennamen sind normannischen Ursprungs, viele Familien haben sowohl englische als auch französische Vorfahren. Beim Bäcker gibt es französische Baguettes ebenso wie englische Zwiebel-Käse-Pasteten.

Aber statt einer Brücke ist Jersey nun ein Testfall für den Brexit, findet der alte Fischer Channing. Er ist stolz darauf, Fischer in vierter Generation zu sein. Aber: „Anders als auf EU- und britischer Seite erhalten wir in Jersey keinerlei staatliche Zuschüsse.“ Egal ob Leute für den Brexit oder dagegen waren, ein Mitspracherecht hatte dabei niemand – die Kanalinseln waren beim Brexit-Referendum nicht stimmberechtigt, da sie sowieso nicht in der EU waren, aber das Ergebnis betrifft auch ihre Fischerei, denn ihre Küstengewässer waren bisher EU-Gewässer.

Der lokale Journalist Gary Burgess, der seit Jahren für ITV News von Jersey berichtet, sieht die Fischereiblockade als Warnsignal. „Viele fragen sich, ob es dem Finanzsektor bald genauso wie dem Fisch ergehen könnte“, sagt er.

Französische Übermacht

Für Don Thompson, Präsident des Jersey-Fischereiverbands, ist die Frage grundsätzlicher. Beim abendlichen Bier auf der Terrasse der Vereinskneipe am Hafen erzählt der pensionierte Fischer und gebürtige Australier, dass er die Franzosen nicht verstehe. „Frankreich kontrolliert 11 Millionen Quadratkilometer Seegebiet weltweit und die EU hat 28.000 Fischboote rund um die Welt. Und da regen sich Leute auf, weil unsere kleine Insel den Bestand für alle besser regeln möchte“, schimpft er.

Als vor einigen Wochen wieder ein französisches Boot unerlaubt in eine Schutzzone Jerseys für Seebrassen eindrang, war er der Erste, der davon hörte und die Behörden alarmierte. Der Besitzer der französischen L'Alize 3 sei unerlaubt in eine Schutzzone für Seebrassen eingetreten. Thompson berichtet, der Fischer hätte angegeben, französische Behörden hätten ihm versichert, er müsste nicht auf Jerseys Vorgaben achten und könne tun, was er wolle.

„Frankreich will insgesamt 420 Boote lizenzieren lassen, obwohl wir glauben, dass es sich in der Region selbst nur um etwa 60 bis 70 Boote handelt, die wirklich Lizenzen brauchen, um zu überleben. Jersey selber hat nur 132 Boote.“ Niemandem könne daran gelegen sein, dass sich über 500 Boote in Jerseys kleinen Gewässern drängeln.

Seine These ist jedoch, dass Jersey am Ende nachgeben und die stolze Inselkultur der Fischerei opfern wird, um Schaden vom Finanzsektor abzuwehren.

Koloniales Verhalten

Jerseys stellvertretender Marineminister weist das von sich. Nicht weit vom Regierungssitz, auf einer Sitzbank im ruhigen Royal Square, in dessen Mitte eine goldene Statue des britischen Königs George II aus dem 18. Jahrhundert steht, erläutert Gregory Guida an einem sonnigen Abend die Situation aus seiner Sicht, im schwarzen Mantel, bebrillt, mit Dreitagebart und blauer Seidenkrawatte auf weißen Hemd.

Er ist kein gebürtiger Jersey-Insulaner, sein Geburtsland ist Frankreich. Aber das französische Vorgehen sieht er kritisch. Jersey habe bisher richtig und verantwortlich gehandelt. Die Drohung Frankreichs, der Insel den Strom abzudrehen, sei hingegen „kolonial“.

Die Krise schiebt er auf unvollständige Daten auf französischer Seite, die dazu geführt hätten, dass französische Boote, die 300 Tage im Jahr in der Region fischten, plötzlich nur 20 Tage aufwiesen und dementsprechend ihre Lizenzen verloren. „Frankreich war sogar verpflichtet, diese Daten vor Jahren an Jersey weiterzugeben. Trotz wiederholter Anfragen geschah dies nie“, beteuert Guida.

Dann zeigt er auf seinem Smartphone einen Bericht über ein Treffen nach der Blockade zwischen der französischen Senatorin Béatrice Gosselin und französischen Fischern. „Da stellt sie klar, dass die Daten über die Fänge der Fi­sche­r der letzten Jahre irgendwo verloren gegangen seien und wir alles richtig gemacht haben“, übersetzt Guida aus dem Französischen.

Frankreichs Innenpolitik

Pragmatisch habe die französische Parlamentarierin den französischen Fischern geraten, sich direkt an Jersey zu wenden, statt über die eigene Bürokratie zu gehen.

Am Tag der Blockade, erzählt Guida, sprach er persönlich mit den französischen Fischern. Das habe die Gemüter beruhigt, schildert er, „bis die Fregatten eintrafen.“ Guida beschreibt die Kriegsschiffe aus London diplomatisch als weder hilfreich noch fehl am Platz, es habe ja das Risiko einer Eskalation bestanden. Guida glaubt, dass den französischen Fischern womöglich ein direkter Draht zur EU fehlt, denn Jersey mache präzise alles nach vertraglicher Vorschrift.

Vielleicht gibt es noch andere Gründe. Nicht nur der Minister, auch politische Beobachter spekulieren, dass der wahre Grund für die Eskalation die bevorstehenden Wahlen in Frankreich seien: Regionalwahlen im Juni, Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in einem Jahr. „Macron verteidigt Frankreichs EU-Mitgliedschaft gegen Le Pen“, postuliert er. Eine Krise mit den Briten sei „ein bequemer Sündenbock“, um vor den eigenen Wählern zu punkten.

Ex-Fischer Luic Farnham

Ex-Fischer Luic Farnham will, dass sich beide Seiten vereinen, anstatt gegeneinander zu kämpfen Foto: Daniel Zylbersztajn-Lewandowski

Nicht alle Fi­sche­r in Jersey schieben die Schuld auf Frankreich. Luic Farnham, 30, fischt seit Dezember nicht mehr. In einem Café der kleinen Hafenstadt St Aubin, deren Geschichte zum Teil auf Kabeljaufang in Neufundland zurückgeht, glaubt Farnham, dass es die Leute auf der Insel übertreiben. „Die französischen Boote sind zwar größer, aber keineswegs industrielle Boote“, meint er. Und sie hätten keineswegs freie Hand, sondern müssten EU-Quoten einhalten.

Ärger über Ungleichbehandlung

Was sich hier abspiele, gehe auf Frankophobie zurück. Der Brexit-Handelsvertrag habe hingegen vieles unmöglich gemacht. So könne kaum jemand mehr aus Jersey Muscheln in Frankreich verkaufen, ohne dass sie vor der Landung in einem speziellen Verfahren gereinigt werden, was Zeit und Geld koste – französische Fi­sche­r müssen dies nicht tun.

Ex-Fischer Luic Farnham, 30 Jahre

„Unter uns Fischerleuten kann momentan niemand behaupten, dass der Brexit unsere Lage verbessert hätte“

„Unter uns Fischerleuten kann momentan niemand behaupten, dass der Brexit unsere Lage verbessert hätte,“ ist Farnhams Resümee. „Beide Seiten sollten sich zusammentun, um das Problem zu lösen.“

Zufällig ist es eine in Jersey ansässige Französin, die 49-jährige Catherine Bale, die der taz erzählt, dass gerade die Insel Jersey ihr in ihrem Leben half. Wie viele auf der Insel elegant modisch gekleidet und selbstbewusst blickt sie bei einem Treffen in einem Büro in St Helier auf ihre Vergangenheit zurück: „In Frankreich, in Saint Malo, konnte ich als junge Frau keinen Job finden. Dort gibt es anders als hier wenig soziale Mobilität.“

Sie zog nach Jersey, erhielt Arbeit, gründete eine Familie und eröffnete vor einigen Jahren eine französische Schule. Für die politischen Positionen ihres Heimatlandes hat sie kaum Verständnis, sagt sie. Auch andere auf der Insel schildern soziale Aufstiegsmöglichkeiten.

Inselpatriotismus

In der Bevölkerung stoßen die Fi­sche­r Jerseys auf alle Fälle auf Sympathie. In der Fußgängerzone St. Heliers erzählt der arbeitslose Finanzexperte Neil Bolten, 40, dass er derzeit einem Fischer beim lokalen Verkauf seines Fangs hilft.

Die 48-jährige Theresa Jacques, die ein Catering-Unternehmen leitet – zu ihren Kunden gehören von der Öffentlichkeit hinter hohen Mauern abgeschirmte Privatanwesen – beobachtet, dass Menschen in Jersey neuerdings generell mehr auf lokale Produkte achten.

Jersey sei auf der Suche nach seiner eigenen Identität, behauptet Journalist Gary Burgess. Darauf verweist nicht nur die Suche nach einer zweiten Nationalhymne neben God Save the Queen, die seit Jahren andauert. Sanfter Inselpatriotismus ist in Jersey unverkennbar, gerade in diesen Tagen, wo man sich an die Befreiung von der deutschen Besatzung 1945 erinnert hat und überall zum Liberation Day kleine Jersey-Fähnchen hängen.

Viele Menschen sehen das zunehmende Gewicht des Finanzsektors auf der Insel kritisch. Geldgier bestimme das Leben, sagen so unterschiedliche Insulaner wie der 27-jährige Koch Garry Jeffery und der 77-jährige pensionierte Postbote Cliff Sutton.

Umweltschutz könnte helfen

Die 52-jährige Sozialhelferin Yolande McFarlane sagt in ihrer Mittagspause in der Nähe der Markthalle der Insel, neben der sich auch der alte überdachte Fischmarkt befindet: „Wenn Sie mich nach der Identität Jerseys fragen, dann sind das Fruits de mer. Deswegen sollten wir für unsere Rechte kämpfen.“

Immerhin gibt es einen in Jersey, der glaubt, den Fischstreit lösen zu können: Der 65-jährige Umweltschützer Andrew LeQuesne. Sein Rezept: eine internationale Meeresschutzzone für das gesamte Gebiet.

Zum Gespräch lässt er sich auf eigenen Wunsch vor der Friedhofmauer einer alten Kirche fotografieren, aus symbolischen Gründen: Die gesamten Hafenanlagen St Heliers von dieser Mauer bis zum Meer gingen auf die Zerstörung und Trockenlegung einer ehemaligen natürlichen Bucht zurück, erklärt er. 2009 habe er schon einmal ein Meeresschutzabkommen vorgeschlagen – vergeblich.

Inzwischen aber redeten alle von Klima- und Artenschutz, die Idee sei wieder attraktiv, er habe auch schon versucht, einen Minister davon zu überzeugen. „Die Normandie, die Bretagne und die Kanalinseln würden alle gleichwertige exklusive Fisch- und- Forschungsrechte erhalten, zum Ausschluss aller anderen, und müssten gleichzeitig nachhaltig wirtschaften.“ Die Natur wieder zu achten – damit könnten Jersey und Frankreich den Streit um Fisch beilegen, insistiert er.

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