Fischereistreit in Großbritannien: Im Pub wird gepoltert

Der Konflikt um Fischereirechte beschäftigt auch die Londoner. Die einen bleiben cool, die anderen sorgen sich um den Lebensunterhalt.

Ein Fischkutter und ein Polizeiboot in einem Hafen.

Der festgesetzte britische Fischkutter Cornelis Gert Jan in Le Havre am 28. Oktober Foto: Michel Euler/ap

LONDON taz | „Wir sollten den Eiffelturm sprengen, dann wird endlich Ruhe sein“, scherzt Mark Johnson, Postmitarbeiter im Ruhestand, über einem Pint Bitterbier in einem Pub mitten im Londoner Stadtviertel Kings Cross. Sein Trinkkumpane Erik, 75, stimmt zu: „Es ist immer das Gleiche mit Frankreich. Wenn die nicht kriegen, was sie wollen, stimmen sie das Geheule an!“

Die beiden sprechen über die Nachricht, dass Frankreichs Gendarmerie am Donnerstagmorgen zwei britische Fischerboote aus dem Verkehr gezogen hat. Eines wurde verwarnt, ein anderes festgesetzt, denn beide sollen sich ohne Erlaubnis in französischen Gewässern aufgehalten haben.

Frankreichs Ministerin für Meeresangelegenheiten, Annick Girardin, sagte dem Radiosender RTL daraufhin, es handele sich „nicht um einen Krieg, dennoch um einen Kampf“. Denn der aktuelle Bootsstreit ist ein weiteres brisantes Detail in einem durchaus größeren Konflikt: Großbritannien und die Europäische Union haben ein Fischereiabkommen für die Zeit nach dem Brexit geschlossen. Dieser Vertrag sieht vor, dass europäische Fischer in britischen Gewässern nur weiter auf Fang gehen dürfen, wenn sie dafür eine Genehmigung erhalten.

Frankreich fordert nun von Großbritannien, die Anzahl der seit dem Brexit zugelassenen französischen Fischerboote zu erhöhen. Die Ministerin spricht davon, dass französische Fischer systematisch benachteiligt würden, und weist britische Angaben zurück, nach denen 98 Prozent der von EU-Fischern verlangten Lizenzen längst erteilt worden seien. Dies sei „falsch“, sagte Girardin – und rechnet genau nach: „Die Europäer haben 2.127 Lizenzen gefordert, die Briten haben 1.913 gegeben, das macht 90 Prozent.“ Die 10 Prozent abgelehnten Lizenzen beträfen fast ausnahmslos Boote aus Frankreich. Die Hälfte aller französischen Anträge sei abgelehnt worden.

London bestellt Frankreichs Botschafterin ein

Sollte sich das bis zum 2. November nicht ändern, will Frankreich im Gegenzug alle britischen Fischerboote an seinen Häfen abweisen und gründliche Kontrollen aller aus dem Vereinigten Königreich kommenden Ladungen an der Grenze durchführen. Der französische Europaminister Clément Beaune verkündete, die Maßnahmen seien als „Sprache der Stärke“ zu verstehen – die einzige Sprache, die Großbritannien verstehe.

London wiederum ließ wissen, dass es die französischen Drohungen als potenziellen Bruch internationalen Rechts verstehe. Das Vereinigte Königreich werde entsprechend antworten, hieß es. Für Freitag hatte die britische Regierung bereits Frankreichs Botschafterin einbestellt. Der britische Fischereiverband sieht den Grund für die Eskalation bei den bevorstehenden französischen Nationalwahlen.

Bei Omar Najimi, 25, den Manager des Londoner Fischgeschäfts Ocean Catch im Stadtteil Islington, rufen solche Nachrichten verständlicherweise Besorgnis hervor: „Wir sind ein Familienbetrieb und in den letzten vier Wochen, aber auch schon seit dem Brexit, haben sich die Kosten für alles immer weiter nach oben geschraubt.“

Neben den Energietarifen seien auch die Preise für Fisch und Meeresfrüchte um einiges gestiegen. Es werde immer schwerer, den Kun­d*in­nen gegenüber die steigenden Preise zu rechtfertigen, sagt Najimi. „Eine weitere Krise brauchen wir nicht.“ Kundin Laura, 40, kauft gerade Lachs. Das sei doch alles nur ein politisches Spielchen, sagt sie. Und dass sich die französische Seite genauso schlimm verhalte wie die britische.

„Die wollen alle unseren Fisch“

Leo, ein Weinverkäufer in einem französischen Weinladen im Londoner Stadtbezirk Clerkenwell, hält die Reibereien ebenfalls für ein übliches Kräftemessen. Beide Seiten positionierten sich nun eben vor weiteren Verhandlungen, sagt der 25-Jährige, der in Frankreich geboren ist.

Im Pub hat der frühere Postmitarbeiter Mark Johnson inzwischen die Zustimmung aller. Vom Nebentisch ruft ein Mann: „Die wollen alle unseren Fisch! Frankreich, Spanien, die Niederlande. Das geht doch nicht!“ Biertrinker Erik sagt: „Eigentlich ist es wie immer: Die Franzosen schieben die Schuld auf andere. Bei Waterloo war es auch nicht ihre Schuld, sondern das Wetter!“ Zumindest die Alten sind sich also einig: Nachgeben darf das Vereinigte Königreich nicht, auch nicht bei den Heringen.

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Seit 2012 für die taz im ständigen Einsatz. In München geboren und aufgewachsen, machte er sein Abitur in Israel. Seit 1991 lebt er im Herzen Londons, wo er zunächst drei Hochschulabschlüsse absolvierte, unter anderem an der SOAS, wo er Politik und Geschichte studierte. Nach einer Rundfunkausbildung war er zunächst für DW im Einsatz. Neben dem Journalistischen war er unter anderem als qualifizierter Pilateslehrer, Universitätsassistent und für das britische Büro des jüdisch-palästinensischen Friedensdorfes Wahat al-Salam ~ Neve Shalom tätig. Für die taz bereist er nicht nur die abgelegensten Ecken Großbritanniens, sondern auch die Karibik und die Kanalinseln. Sein Buch über die Schoa "Soll sein Schulem. Verluste, Hass, Mord, Fragen der Identität aus autobiografischer Sicht," soll Ende 2024 oder Anfang 2025 erscheinen.

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