Filmfestspiele Cannes 2023: Der Egozentriker

Regisseur Nanni Moretti spielt in „Il sol dell’avvenire“ selbstironisch einen Regisseur als Kontrollfreak. Auch in Echt gilt der Mann als schwierig.

Nanni Moretti in einer Szene, in der Leute mit ausgebreiteten Armen umeinander kreisen

Etwas ähnliches wie Tanzen, Szene aus „Il sol dell’avvenire“ von Nanni Moretti Foto: Sacher/ Fandango/Le Pacte/France 3 Cinéma

Wie wird die Sonne der Zukunft sein? Von heute aus macht der Gedanke an die Entwicklung der großen Energiequelle im Zentrum unseres Sonnensystems etwas Angst. Mehr Hitze als ohnehin schon auf dem Planeten ist keine gute Aussicht. In Nanni Morettis „Il sol dell’avvenire“, dem zweiten italienischen Film im Wettbewerb, ist die Sonne das Versprechen auf ein besseres Morgen, wie es sich die Kommunisten im Italien der 1950er erhofften.

Moretti spielt in dieser Komödie den Regisseur Giovanni, der an einem Film über die PCI (Partito Comunista Italiano) arbeitet. Seine Hauptfigur Ennio (Silvio Orlando) arbeitet in der Provinz für die Partei und sieht sich im Jahr 1956 mit der Frage konfrontiert, wie seine Sektion auf den Einmarsch sowjetischer Truppen in Ungarn reagieren wird. Ennio, ganz Parteisoldat, will auf die offizielle Sprachregelung warten, seine örtlichen Parteigenossen rufen stattdessen zum Protest auf.

Die Dreharbeiten gestalten sich mühsam, einerseits weil Giovanni als Kontrollfreak sein Team terrorisiert, andererseits weil seine Darstellerin Vera (Barbora Bobuľová) eigene Ideen für ihre Rolle entwickelt, mit denen sie Giovanni aus dem Konzept bringt. Zudem steht er kurz davor, von seiner Frau Paola (Margherita Buy) verlassen zu werden.

Moretti gilt als Egozentriker, und „Il sol dell’avvenire“ wird diesen Eindruck kaum zerstreuen. Sein Sinn für Selbstironie kommt durchaus zur Geltung. So verfolgt er bei einem jungen Kollegen den Dreh der letzten Szene mit und beginnt plötzlich zu intervenieren, weil er ästhetische und moralische Einwände gegen die dargestellte Gewalt hat.

In der Pose eingefroren

Mit der Folge, dass die ganze Nacht debattiert wird, ob man eine Erschießung zeigen sollte, während die Darsteller in ihrer Pose verharren müssen und allmählich einzuschlafen drohen.

Frei von Selbstgefälligkeiten ist das nicht. Was gleichwohl lustig sein kann, etwa wenn Moretti zu Aretha Franklins Song „Think“ während einer Autofahrt ruckartige Bewegungen zu machen beginnt, die sich als ungelenkes Tanzen deuten lassen. Als indirekter Kommentar zum russischen Angriff auf die Ukraine und die Verwerfungen der Linken im Umgang mit Russland taugt der Film ebenfalls.

Welche aktuelle Relevanz hingegen der französische Historienfilm „The Pot-au-feu“ von Trần Anh Hùng hat, ist schwieriger zu erkennen. Als sinnliche Feier der gehobenen französischen Küche hat er im Wettbewerb etwas leicht Erratisches. Anfangs ist es sogar reizvoll, Juliette Binoche und Benoît Magimel beim Kochen zuzusehen. Oder wie sie ein Omelette genüsslich mit Löffel statt mit Gabel essen.

Auf die Dauer bekommt die Feier der Kultur des Gourmets allerdings etwas Abgehobenes. In dieser Geschichte aus dem späten 19. Jahrhundert scheint es nichts anderes als Menschen mit feiner Zunge zu geben, ob sie so etwas wie Arbeit nötig haben, erfährt man nicht. Auch die schön ausgeleuchteten Interieurs in warmen Sepiatönen ermüden nach und nach.

Wenn man sich überdies vergegenwärtigt, wie viele Zutaten für diese aufwendig verarbeiteten Gerichte erforderlich sind, die anschließend wahrscheinlich weggeworfen werden, ist dies sicher kein Plädoyer für Nachhaltigkeit. In dieser Hinsicht ist „The Pot-au-feu“ das thematische Gegenstück zu Jessica Hausners Essensverzichtssatire „Club Zero“. An beiden kann man sich schnell sattsehen.

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