Filmempfehlung für Berlin: Land der ewigen Jugend

In den 1980er Jahren zog es eine Gruppe Linker aus Deutschland nach Irland. Der DEFA-Regisseur Jörg Foth porträtierte diesen Neuanfang.

Filmplakat für Doku „Tir na nOg“ von Jörg Foth

Tir na nog – Deutsche Auswanderer in Irland Foto: Jörg Foth

Genüsslich kaut der Hund auf dem Arm des Mannes herum, der im Gras sitzend vom Ankommen in Irland erzählt. Der Regen peitscht, der Wind pfeift, die Schafe schafen.

In den 1980er Jahren zog es eine Gruppe linker Aussteiger aus Deutschland nach Irland. Einige kommen aus Niedersachsen und waren im kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW), andere aus der Pfalz. Die politischen Enttäuschungen der Kadergruppen der 1970er Jahre und die Förderung für die Ansiedlung auf einer der verlassenen Farmen Irlands waren zwei der Triebfedern für den Neuanfang. Anfang der 1990er Jahre porträtiert der ehemalige DEFA-Regisseur Jörg Foth das Leben in der neuen Heimat.

Tir na nOg“ zeigt die Arbeit auf den Höfen, die die Lebensgrundlage für die Familien bilden. Ein Paar züchtet Schafe, eins hat eine Käserei mit Kuhhaltung, die Frau aus der Pfalz unterrichtet in der Nähe an der Schule Deutsch. Ein weiteres Paar schlägt sich mit Lederarbeiten mehr schlecht als recht durch.

„Tir na nOg“ läuft am 30.7. um 19 Uhr im Kino Krokodil, Greifenhagener Str. 32, in Anwesenheit des Regisseurs

Nach einem Brand in ihrem Haus stehen die beiden unfreiwillig vor einem zweiten Neuanfang. Am Küchentisch stellt einer der Aussiedler klar: die Erwachsenen haben sich in Irland ihren Traum erfüllt. Keiner von ihnen erwartet, dass ihre Kinder den Hof einmal übernehmen. Doch zurück nach Deutschland will anscheinend keines der Kinder.

Der Titel greift einen Ort der keltischen Mythologie auf, Tír na nÓg, das Land der ewigen Jugend, ist eine Art Paradies. Die Einheimischen können nicht ganz nachvollziehen, was den Ort für die Zugezogenen zum Paradies macht. „Hier gibt es doch nichts“ sinniert ein alter Mann, zwei Wasserkanister zum Kühewaschen in den Händen. Aber andererseits mache es schon Sinn, der dauernden Hetzerei zu entkommen. Der Film ist die letzte Regiearbeit von Jörg Foth.

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Motor der Erneuerung

Foth hatte in den 1970er Jahren in Babelsberg Filmregie studiert. In einem Interview der amerikanischen DEFA-Library erinnert sich Foth: „Mit einem Regiediplom in der Tasche habe ich dann einen Job als Telegrammbote beim Postamt bekommen… bis Ulrich Weiß mich zur DEFA gebracht hat.“ Foth wurde Regieassistent bei Ulrich Weiß' Spielfilm „Blauvogel“, blieb bei der DEFA und wurde zu einem Motor der Erneuerung, drehte Ende der 1980er Jahre eine Reihe innovativer Kurzfilme, dann den satirischen Rückblick auf die DDR im Moment ihres Zerfalls „Letztes aus der DaDaeR“.

Kurz bevor die DDR unterging, drehte Foth mit „Biologie!“ noch die ersten und letzten Film der DEFA, der sich Umweltproblemen annahm. Wie bei seinem Mentor Ulrich Weiß blieb auch Foths Werk nach den Umwälzungen der Wendejahre schmal, ein paar Fernseharbeiten, dann „Tir na nOg“ und Schluss. Das Kino Krokodil würdigt Foth und seinen nahezu komplett vergessenen letzten Film im Juli mit zwei Vorführungen. „Tir na nOg“ läuft noch einmal am Donnerstag um 19 Uhr in Anwesenheit von Jörg Foth.

Der Film wirkt zunächst unspektakulär. Ein Grüppchen Revolutionäre sattelt um, findet zu einem neuen Leben. Doch auf den zweiten Blick zeigt sich ein komplexer Film. Die Umorientierung und die Selbstkritik der westdeutschen Linken scheint den von Realität der DDR gründlich desillusionierten Foth fasziniert zu haben.

In einem Text zum Film schreibt Foth: In der westdeutschen Linken der 1960er Jahre „war eine linke Veränderbarkeit der Welt nicht nur wie in der DDR monotone Feiertagsfloskel und unerschütterliches Selbstbestätigungszitat, hier wurde sie geträumt und von vielen unter 30 auch gewagt.“

Zwischen Schafen und Reflexion

Er fährt fort: „Auf der Insel ist der Plan nicht mehr agitatorisch, nicht mehr auf die Welt und das Ganze gerichtet, nicht mehr anderen abverlangt, sondern ein selbst gelebter. Eigenverantwortlichkeit statt Ideologie.“ In den Gesprächen mit den Aussiedlern zwischen Schafen und Kühen blitzt immer wieder eine Reflexion über all das auf, was in verschiedenen Kontexten als politisch gilt.

Die Spannung zwischen der Politik auf der großen und jener auf der kleinen Bühne zieht sich durch den Film. Gegen Ende erklärt einer der Neu-Iren zufrieden hinter dem Schlagzeug auf der Farm, dass der Art, wie sie nun Käse produzieren, etwas von Revolution anhafte. „Im Kopf ist immer noch Revolution, nur anders“.

Im Rückblick kommt hinzu, dass die Utopien der westdeutschen Linken, ihrer Projektionen auf Länder wie Irland den meisten Zuschauer_innen von heute genauso fremd sein dürften wie die DDR. Doch durch diese historische Konstellation hindurch klingt immer wieder die ungebrochen aktuelle Frage nach Alltagspolitiken an. „Tir na nOg“ ist einer jener Filme aus der umbruchreichen Zeit der 1990er Jahre, die einen neuen Blick verdienen.

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