Filme über Transition auf der Berlinale: Schmetterlinge verbrennen
Wie man wird, wer man ist: Von Transidentität erzählen im Panorama-Programm der Berlinale die italienischen Filme „Swing Ride“ und „Into My Name“.
Benedetta ist ein italienischer weiblicher Vorname und bedeutet: die Gesegnete. Die pummelige 15-jährige Benedetta wird von ihrer Mutter zu einem Ernährungsberater gebracht. In der Praxis wird sie genau gemessen und gewogen. Man solle mehr auf die Diät achten, so das knappe Urteil des Arztes. „Eigentlich isst das Mädchen gar nicht so viel“, rechtfertigt sich die Mutter. Benedetta schweigt und, wieder zu Hause angekommen, schließt sich in ihr Zimmer ein.
Als in dem anonymen Vorort von Rom, in dem Benedetta wohnt, ein heruntergekommener Jahrmarkt Station macht, ändert sich ihr monotones Leben. Auf ihrem Schulweg über staubige Landstraßen hält plötzlich ein Auto an. Benedetta beobachtet, wie ein schlanker, junger Mann nicht besonders freundlich aus dem Wagen rausgeschmissen wird. Er heißt Amanda.
Dem wegfahrenden Freier hinterherfluchend, sammelt Amanda ihre Sachen ein und trifft auf Benedettas fast hypnotisierten Blick. „Wie heißt du?“ – „Benedetta“ – „Und von wem, bitte?“, erwidert Amanda ironisch. Das Mädchen, das sich tatsächlich von dieser besonderen Begegnung gesegnet fühlt, starrt Amanda schweigend an, neugierig und fasziniert. Amanda, die zur Jahrmarkttruppe gehört, lässt das Mädchen in ihren Schausteller-Wohnwagen, ihr Zuhause, eintreten. Ab jetzt setzt für Benedetta ein unumkehrbarer Prozess von Identitätssuche und Entdeckung ein, den sie mutig und nicht ohne Risiken und Enttäuschungen geht.
Leo macht einen Podcast
Die italienische Regisseurin Chiara Bellosi (2020 mit „Ordinary Justice“ auf der Berlinale) rückt ihren Figuren in „Swing Ride“ auf die Pelle. Mit ruhigen Beobachtungen und vielen Nahaufnahmen gelingt es ihr, die Unsicherheit Benedettas (überzeugendes Debüt: Gaia Di Pietro) körperlich spürbar zu machen. Amanda (mühelos genderfluid: Andrea Carpenzano) ist besessen von ihrem Aussehen, sie verbringt viel Zeit vor dem Spiegel und hat eine Leidenschaft für Stoffschmetterlinge, die sie selbst bastelt.
„Sie leben eine Woche, und nur um sich schön zu machen“, verrät sie Benedetta. Wenn die beiden später an einem Lagerfeuer sitzen, werden die Schmetterlinge verbrannt, wie in einem Reinigungsritual, denn: „Sie waren schön, aber jetzt sind sie alt.“ Wachsen ist nichts für Feiglinge.
Ums Wachsen geht es auch in dem Dokumentarfilm „Into My Name“ („Nel mio nome“), des italienischen Regisseurs Nicolò Bassetti, genauer gesagt, um das Wachsen mit dem eindeutigen Gefühl, im „falschen“ Körper geboren zu sein. Nic, Leo, Andrea und Raff sind vier Freunde, die zu dem einen Prozent der trans* Personen weltweit zählen, etwa 80 Millionen Menschen sind es insgesamt.
„Swing Ride“: 17. 2., 17 Uhr, Cinemaxx 3. 20. 2., 15 Uhr, Zoo Palast 1
„Into My Name“: 17. 2., 14 Uhr, Cinemaxx 3. 18. 2., 20.30 Uhr, Cinemaxx 4. 20. 2., 11 Uhr, Cubix 9
Alle vier wurden als Mädchen sozialisiert. Alle vier entscheiden sich für einen individuellen Transitionsprozess. Im Film, der vom kanadischen Schauspieler und Produzenten Elliot Page, früher Ellen, mitproduziert wurde, haben die Protagonisten das Wort. Es wird nicht über sie geredet, sie halten das Mikrofon, und zwar wörtlich, direkt in der Hand: Leo macht einen Podcast mit dem Ziel, die Stimmen, die teils sehr unterschiedlichen Erfahrungen und Biografien seiner Freunde, der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Schon die Frage, die jeder von ihnen irgendwann gestellt bekommen hat, „Bist du ein Junge oder ein Mädchen?“, ist für Leo extrem heikel, sogar existenziell. Wird man möglicherweise gar nicht als Mensch wahrgenommen, wenn man sich weder in dem einem noch in dem anderen Geschlecht erkennt? Findet ein schleichender Prozess der „Dehumanisierung“ statt?
Am Anfang des Films erfahren wir, dass 2017 in einem Urteil eines italienischen Gerichts festgestellt wurde, dass es keinen Raum für ein drittes Geschlecht gibt. Die legale Prozedur, um seinen Namen zu ändern – Nic zum Beispiel war früher mal Irene –, ist nicht einfach. In einer bewegenden Szene in dem schönen Landhaus, wo sie wohnen, unterhalten sich Nic und seine langjährige Freundin mit einer Juristin. Ihre lang ersehnte Eheschließung wird am Ende so aussehen wie eine zwischen einem Mann und einer Frau. Entspricht das den Tatsachen? Ist das gerecht?
Was ist ein Name? Ein Name ist nicht nur eine bürokratische Angelegenheit, sondern auch eine Frage der Identität. Im Deutschen Bundestag wird nun konkreter über die Abschaffung des Transexuellengesetzes zugunsten des Selbstbestimmungsgesetzes diskutiert. Mit seinem Film könnte Nicolò Bassetti, selber Vater eines trans* Sohnes, Anstöße für die Debatte in Italien bringen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“