Filme im Stream: Eigentümliches Gedenken
Spuren von Erinnerung: Arnon Goldfingers Doku „Die Wohnung“, Seijun Suzukis Mix aus Genre-Kino und Avantgarde und Beerdigungen bei Uberto Pasolini.
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D ie Oma ist tot. Hochbetagt ist die während der Nazizeit aus Deutschland emigrierte Gerda Tuchler mit 98 Jahren in Tel Aviv verstorben. Die neugierige Verwandtschaft rückt zum Ausmisten an. Doch was wissen jene, die nun „Die Wohnung“ auflösen, eigentlich von Gerdas Leben und dem ihres Mannes Kurt? Eigentlich nichts.
Nur Regisseur Arnon Goldfinger, Gerdas Enkel, bleibt hartnäckig. Er stößt auf eine ziemlich unglaubliche Geschichte: Offenbar waren die Tuchlers gut befreundet mit dem SS-Offizier Leopold von Mildenstein, Vorgänger Adolf Eichmanns im „Judenreferat“ des SD, und dessen Frau. Gemeinsam bereisten die beiden Paare 1933 Palästina: Die Tuchlers waren engagiert in der zionistischen Bewegung, von Mildenstein erkundete derweil die Emigrationsmöglichkeiten für Juden. Nach dem Krieg nahmen die Emigranten die Freundschaft mit den von Mildensteins wieder auf.
Wirklich erklären kann der Film diese merkwürdige Beziehung zwar auch im Laufe der Recherchen nicht, dafür entwickelt sich eine subtile Dokumentation über die Frage, was die nachgeborene Generation alles verdrängt hat und warum. Denn was Archive oder bislang unbekannte Verwandte schließlich über das Schicksal von Gerdas Mutter oder den tatsächlichen Lebenslauf Leopold von Mildensteins zutage fördern, wird zu einer bitteren, aber bitter notwendigen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und eigenen Herkunft (Stream bei salzgeber.de).
Meta über Meta: Seijun Suzuki
Wie verbindet man Genre-Kino mit Avantgarde? Der japanische Regisseur Seijun Suzuki machte es in den 1960er-Jahren vor. So wie man Jean-Luc Godards „Außer Atem“ als eine gewagte Reflexion von Jean-Pierre Melvilles Gangsterfilmen verstehen kann (also: Meta-Kino über Meta-Kino), bezieht sich Suzuki auf die japanischen Yakuza-Filme.
Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.
Inhaltlich geht es in seinen Gangsterballaden um ein existentialistisches Lebensgefühl, um Freundschaft, Loyalität und Verrat. Stilistisch befleißigt sich Suzuki dabei einer extremen Stilisierung: gewagte Perspektiven im Scope-Format, wilde Pop-Farbgebung der Dekors im 1966 entstandenen „Tokyo Nagaremono“ oder klassisches Schwarzweiß in „Branded to Kill“ (1967).
Suzuki arbeitete im Rahmen – aber immer haarscharf am Rande – der kommerziellen Filmproduktion, bis man schließlich von seinen Experimenten die Nase voll hatte und ihn hinauswarf (Beide Filme als Stream bei rapideyemovies, Plattform: vimeo.com/selectedbyrem/vod_pages/page:2).
Mit Sorgfalt beerdigt
John May (Eddie Marsan) organisiert als Mitarbeiter der Londoner Stadtverwaltung Beerdigungen von einsam und mittellos verstorbenen Menschen. Man merkt an seiner peniblen Sorgfalt, wie sehr ihm an einem würdigen Abgang dieser Leute gelegen ist. Effektiv ist das allerdings nicht. Schließlich wird er im Rahmen von Sparmaßnahmen gefeuert.
Trotz seines Themas ist „Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit“ (R: Uberto Pasolini, 2014) vor allem ein Film über das Leben – und darüber, wie man der Einsamkeit mit einem kleinen Wagnis vielleicht doch entkommen kann (Stream bei goodmovies.de).[Link auf https://fsk-kino.peripherfilm.de/im-land-meiner-kinder/]
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