piwik no script img

Filmbranche in WestafrikaDer Traum vom Kino

Eine Filmindustrie hat sich bisher nicht im afrikanischen Benin entwickelt. Dennoch hoffen junge Menschen auf eine Karriere im Kino und Fernsehen.

Foto: Katrin Gänsler

Cotonou taz | Jean-Paul Ametowoyona zieht die Augenbrauen eng zusammen. Seine Augen werden klein, sein Blick fixiert sein Gegenüber. Mit der rechten Hand greift Ametowoyona dessen T-Shirt. Dann ist es endlich so weit: Seine Schläfen fangen an zu pochen, sein Ärger wird spürbar. Samson Kokou Adjaho klatscht in die Hände und nickt Ametowoyona zufrieden zu. So soll es sein.

„Das Publikum muss deine Wut sehen und miterleben“, erklärt der Regisseur. Das sei gar nicht so leicht, sagt er dem jungen Mann: „Du hast ein rundes, freundliches Gesicht.“ Umso wichtiger seien Mimik, Gestik, Technik und viele Proben.

In der kurzen Szene verkörpert Ametowoyona jemanden, der festgestellt hat, dass seine Schwester schwanger ist. Er will den Kindsvater zur Verantwortung ziehen. Doch dieser verhöhnt ihn und sagt: „Wer ist deine Schwester? Mit ihr habe ich doch nur drei- oder viermal geschlafen.“ Geprobt wird in einem großen Raum des einstigen Kinos Ciné Vog im Zentrum von Benins Wirtschaftsmetropole Cotonou. An den Wänden sind Graffiti zu sehen, und durch das kaputte Dach fällt Sonnenlicht.

Aufgeführt wird der Dialog vermutlich nie werden, weder vor großem Publikum noch vor einer Filmkamera. Jean-Paul Ametowoyona nimmt im Rahmen des Kinofestivals Recico an einem Workshop für Nach­wuchs­schau­spie­le­r:in­nen teil. Jeder Platz ist besetzt. In der ersten Pause nach zwei Stunden konzentrierter Arbeit stellt er sich als „angehender Schauspieler“ vor. Der 24-jährige Beniner, der lange im Nachbarland Togo gelebt hat, will aus seiner Leidenschaft für Filme und Serien einen Beruf machen.

Unter den rund 13 Millionen Ein­woh­ne­r:in­nen Benins ist der Wunsch, Schauspieler zu werden, bislang eher selten gewesen. In Westafrika wird vor allem Burkina Faso aufgrund des seit 1969 stattfindenden Festivals Fespaco mit dem Kino in Verbindung gebracht. Senegals Regierung fördert seit einigen Jahren bewusst und erfolgreich Produktionen, die längst in Europa ihr Publikum gefunden haben. Im Nachbarland Nigeria mit rund 220 Millionen Ein­woh­ne­r:in­nen heißt es, dass die dortige Filmindustrie Nollywood mittlerweile mehr als eine Million Menschen beschäftigt. Jährlich sollen mehr als 2.500 Filme produziert werden. Die Zahlen sind Schätzungen.

Filmindustrie mit enormem Wachstumspotential

In Cotonou gibt es seit 2006 das private Höhere Institut für audiovisuelle Berufe (Isma), das beispielsweise Regisseur:innen, Dreh­buch­au­to­r:in­nen und Pro­duk­ti­ons­as­sis­ten­t:in­nen ausbildet. Nach­wuchs­schau­spie­le­r:in­nen wie Jean-Paul Ametowoyona müssen ihre Erfahrung allerdings vor allem durch Praktika und Workshops wie diese sammeln. Er ist ständig auf der Suche nach Möglichkeiten.

Begonnen hat das eher zufällig nach seinem Abitur. Ametowoyona nahm an einem Casting teil. „Filme habe ich zwar schon als Kind gerne angesehen. Aber ich habe nie darüber nachgedacht, dass ich in dieser Branche arbeiten möchte.“ Nach dem dritten Casting wusste er allerdings: Er will vor der Kamera stehen. Anfangs glich das häufig einer Mutprobe. „Ich bin ein schüchterner Typ. Mit dieser Arbeit wollte ich meine Schüchternheit ablegen.“

In einer vor zwei Jahren veröffentlichten Studie bescheinigte die Unesco Afrikas Film­industrie ein enormes Wachstumspotenzial. Auch zeichne sich die Branche durch große Kreativität aus. Sie könne jährliche ­Gewinne von 20 Milliarden US-Dollar erzielen und mehr als 20 Millionen Jobs schaffen.

Foto: Katrin Gänsler

In Benin sei das bisher ein zähes Unterfangen, sagt Francky Tohouegnon. Der 33-jährige Drehbuchautor und Regisseur hat bereits mehrere Kurzfilme gemacht, die auf Festivals im Ausland gezeigt wurden. Mit „Indélébile“, einem Film über zeitgenössischen Tanz, hat er am Recico teilgenommen und an der anschließenden Debatte mit Zu­schaue­r:in­nen gemerkt: Das Interesse an Filmen ist groß. „Doch bisher hat die Industrie gefehlt.“

Seit einigen Jahren ändere sich das allerdings, berichtet Tohouegnon. „Die junge Generation möchte der Welt ihre Geschichten erzählen und sie an ihrer Realität teilhaben lassen. Dafür ist das Kino das beste Kommunikationsmittel und das beste Werkzeug, um die Menschen zu sensibilisieren. Dabei ist es egal, ob es sich um eine Dokumentation oder Fiktion handelt.“ Doch unter die Aufbruchstimmung mischt sich bei ihm auch Enttäuschung: „Hier von Filmen zu leben, das ist schwierig. Ehrlicherweise ist es fast unmöglich.“

Kinosterben macht es schwer

Dabei haben vor allem Fil­me­ma­che­r:in­nen aus Nigeria längst Benins Küste als Dreh­ort entdeckt. Doch von Dreharbeiten erfährt man eher zufällig. Zudem gibt es eine Sprach­barriere. In Nigeria wird Englisch, in ­Benin Französisch gesprochen. Die wenigen beninischen Produktionen schaffen keine regelmäßigen Jobs. Nach Einschätzung von To­houe­gnon fehlt es vielen, die in die Branche drängen, außerdem an Professionalität und Erfahrung. Doch wenn kaum gedreht werde, könne man diese nirgendwo sammeln. „Nur ein gutes Dutzend wird es schaffen, in der Filmbranche zu arbeiten“, prognostiziert er.

Das große Kinosterben der vergangenen Jahrzehnte macht es der Branche zusätzlich schwer. Egal, ob Ciné Vog, Ciné le Bénin oder Cinéma Concorde: Die einstigen Lichtspielhäuser sind längst geschlossen. Jahrelang gab es kein einziges mehr, bis 2017 schließlich das Kino Canal Olympia Wologuèdè eröffnet wurde. Das Unternehmen Canal Olympia gehört zur französischen Bolloré-Gruppe und zeigt überwiegend US-amerikanische Actionstreifen, Komödien und Animationsfilme für das junge Publikum. Daneben existieren kleine Filmclubs, die Ci­ne­as­t:in­nen in den Stadtteilen organisieren. Gezeigt werden überwiegend Filme aus dem frankophonen Westafrika.

Hoffnung machen Streamingdienste wie Netflix, die in Benin aber noch nicht viel genutzt werden. Die Preise für das Internet sind schlichtweg zu hoch. Als möglicher Wendepunkt gilt aber die achtteilige Serie „Black Santiago Club“ über den gleichnamigen 1964 in Cotonou gegründeten legendären Musikclub. Damit hat der französische Pay-TV-Sender Canal+ erstmals eine Serie in Benin gedreht. Seit vergangenen Juli ist sie in der Mediathek zu sehen.

„Black Santiago Club“ war auch für Jean-Paul Ametowoyona ein Meilenstein. Zuvor hatte er immer wieder erlebt, dass auf Castings keine Engagements folgen. Doch in dieser Serie stand auch er vor der Kamera, wenn auch nicht in einer der Haupt- oder Nebenrollen. „Ich bin sehr stolz gewesen und habe es sehr geschätzt.“

Ihm hat es geholfen, erfahrenen Schau­spie­le­r:in­nen bei der Arbeit zuzusehen. Und die Mitarbeit in einer großen Produktion zeigt auch seinen Eltern, dass er es mit seinem Berufswunsch ernst meint. Vom Kino wollen diese bisher nichts hören: „Sie sehen es als Zeitverschwendung an und finden, dass es kein Geld bringt.“ Jean-Paul Ametowoyona hält für einen Moment inne: „Teilweise haben sie ja auch recht. Ich erwarte kein großes Gehalt.“ Trotzdem ist er sicher: Er will seinen Traum vom Film verwirklichen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!