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Film „Stumpfe Sense – scharfer Stahl“Als das Landvolk nach rechts rückte

Quinka Stoehrs Dokumentarfilm über die rechte Vereinnahmung der „Landvolk“-Bewegung in den 1920er Jahren zeigt Vorgänge, die sehr gegenwärtig wirken.

Der NSDAP zugewandt: Landvolk-Bauern beim Aufmarsch in Beidenfleth bei Itzehoe Foto: Quinka Stoehr

Bauern, die Regierung und Parteien verächtlich als „das System“ bezeichnen. Gruppen auf dem Land, die sich über eigene mediale Kanäle organisieren und in denen redegewandte Führungspersönlichkeiten den Ton angeben. Proteste, die immer radikaler werden und mit Wahlerfolgen für rechte Parteien enden. Das klingt wie 2024, passierte aber schon ein Jahrhundert früher: In der Wirtschaftskrise der 1920er-Jahre erhob sich die Landbevölkerung in Schleswig-Holstein, um auf ihre Probleme aufmerksam zu machen. Die „Landvolk-Bewegung“ erprobte damals ganz neue Formen des Protests – aber sie war auch völkisch, antidemokratisch, antisemitisch und ließ sich von der NSDAP vereinnahmen.

1990 drehte die Kieler Filmemacherin Quinka Stoehr eine Dokumentation über die Bewegung, für die sie noch Zeit­­zeu­g:­in­­nen vor die Kamera holen konnte. „Stumpfe Sense – scharfer Stahl“ wird aktuell wieder gezeigt, geplant sind Vorführungen in Neumünster und Meldorf, weitere seien denkbar, sagt Stoehr. Denn durch die Proteste in diesem Frühjahr sind der Film und sein Thema wieder ganz aktuell. Und das alte Landvolk-Logo klebte im Jahr 2024 tatsächlich wieder – oder noch immer – als Aufkleber an so manchem Protest-Trecker.

„Der Pflug ist das Symbol des Bauern, dazu ein Schuss Bauernkrieg, also kam das Schwert dazu“, sagt Peter Petersen im Film. Der Landwirt, 1989 verstorben, ist einer der Zeitzeugen, die Quinka Stoehr zu Wort kommen lässt. Der Landvolk-Aktivist trat 1930 in die NSDAP ein, nach dem Krieg war er Mitglied der rechtsextremen NPD, saß auch für sie im Kieler Landtag. Er erfand 1928 das Landvolk-Logo mit weißem Pflug und rotem Schwert. Es zu benutzen, ist heute nicht verboten, aber Quinka Stoehr nennt seine Verwendung „geschichtsvergessen“ – schließlich sei die Landvolk-­Bewegung für militante Aktionen bis hin zu Bombenattentaten verantwortlich.

„Das waren brauchbare junge Leute, aber heute würde Sie sie wohl Terroristen nennen“, sagt Petersen im Film über die Attentäter. Freudig berichtet er über die handgreiflichen Proteste, die Zeitung der Bewegung – und er erklärt, warum sich so viele Mitglieder des Landvolks der NSDAP zuwandten: „Es gab eine Enttäuschung, weil die Proteste nichts erreichten. Da bot sich die Partei an. Die haben unsere Forderungen übernommen, aber mit Blut und Boden verknüpft.“

Der Film

Stumpfe Sense – Scharfer Stahl, Bauern, Industrie und Nationalsozialismus“, Regie: Quinka Stoehr, Kay Ilfrich und Jens Schmidt, Deutschland 1990, 90 Min. www.quinka­stoehr.de/filme/stumpfe-sense-scharfer-stahl

Tatsächlich reagierte die Nazi-Partei taktisch geschickt auf die Bauernrevolten, das zeigt der Film, in dem sich historische Fotos und Filme mit den Berichten der Zeit­zeu­g:­in­nen abwechseln. So trat Adolf Hitler in Hamburg bei einer Landvolk-Veranstaltung auf, und die Partei strich die Forderung nach einer „unentgeltlichen Enteignung von Boden für gemeinnützige Zwecke“ aus ihrem Programm. In Reaktion auf Landvolk-Proteste erklärte die NSDAP stattdessen, nur „jüdische Bodenspekulanten“ sollten enteignet werden, aber nicht die deutsche Bauernschaft.

Dass es wohl nicht viel brauchte, um die ländliche Bevölkerung von der NS-Ideologie zu begeistern, lässt sich aus den Worten von Margarete Hamkens heraushören, deren Mann Wilhelm (1896–1955) ein Anführer der Bewegung war. In der Wirtschaft und bei den großen Genossenschaften „waren überall die Juden dazwischen“, sagt sie verächtlich in die Kamera. Und die Regierung erst: „Das waren Sozialdemokraten oder so was Ähnliches“, so Margarete Hamkens weiter. „Die waren alle da oben. Das waren alles Bürokraten.“

Stoehr, gebürtige Flensburgerin, hat in den 1980er-Jahren in Kiel Geschichte studiert und ihre Abschlussarbeit über die Landvolk-Bewegung geschrieben. So erfuhr sie auch von den damals noch lebenden Zeitzeug:innen, darunter der Hamburger Drucker Josef Bergmann, einst Mitglied der KPD, und der Bremer Sozialphilosoph Alfred Sohn-Rethel: Beide wirkten dann auch in ihrem Film mit.

„Ich finde es beunruhigend, dass das Thema immer noch aktuell ist“, sagt sie der taz. Zwar seien einige Forderungen heutiger Land­wir­t:in­nen berechtigt, so wie damals auch das Landvolk auf drückende Probleme hinwies. „Aber viele sind wieder offen für rechten Populismus“, sagt Stoehr, die heute an der Universität Flensburg lehrt.

Aufführungen und Diskussion

Aufführungen: Do, 23. 5, 19 Uhr, „Kinobühne“ in der Stadthalle Neumünster, anschließend Diskussion mit Quinka Stoehr und Kirsten Wosnitza von der Arbeitsgemeinschaft „Bäuerliche Landwirtschaft“;

Di, 18. 6., 18 Uhr, Dithmarscher Landesmuseum, Meldorf, anschließend Diskussion mit u.a. Klaus-Peter Lucht, Präsident des Bauernverbands Schleswig-Holstein.

Der Film zeige, wie die Bewegung zur „Schwungmasse“ wurde, die dann der NSDAP an die Macht verhalf: „Gerade für Schleswig-Holstein, eines der Länder mit sehr hoher Zustimmung zur Partei, können wir das gut erkennen.“ Um ähnliche Effekt zu vermeiden, müsse „die Brandmauer stehen“, so Stoehr in Anspielung auf ein heute viel bemühtes Bild, das die Distanz zwischen demokratischen und nicht demokratischen Parteien symbolisieren soll. „Das tat sie in den 1930er-Jahren nicht: Rechts-nationale bürgerliche Kräfte haben mit der NSDAP koaliert und so die Machtübernahme der Nazis ermöglicht. Das darf nicht wieder geschehen. “

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7 Kommentare

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  • 6G
    601161 (Profil gelöscht)

    Aber wenn es doch zur Erkenntnis aktueller Entwicklungen so viel beiträgt, sich mit den dokumentierten Vorfällen von 1920 zu beschäftigen, dann verstehe ich erst recht nicht, warum die aktuelle Realität eingetreten ist! Absolut keine Bereitschaft, die ERGEBNISSE eigenen Handels zu bewerten. Damals nicht und heute nicht! Lieber (wiederum) die Dörfler und Kleinstädter abmeiern, Meine (bescheidenen) Eltern hatten viele einfache, aber meistens gültige Sprüche auf Lager. Hier eignet sich: Hochmut kommt vor dem Fall!



    Und rein technisch zur Brandmauer: Hinterm Deich darf das Wasser höher stehen, aber nur begrenzt in Höhe und ZEIT!

  • Wenn man hier über das Landvolk schreibt, warum es nach rechts rückte, muss man aber auch die Rolle des Kommunismus hierbei erwähnen. Damals gab es noch sehr viel mehr Betriebe und Arbeiter auf dem Land und der Diebstahl von Besitz durch Enteignung einer Kommunistischen Regierung war damals voll realistisch. Ohne die Angst alles was man besitzt zu verlieren hätten sich sicherlich viele nicht radikalisiert.

    • @Günter Witte:

      Wir sind uns aber einig, dass das Antisemitismus nicht rechtfertigen kann, oder?

      • @Grenzgänger:

        Natürlich, Antisemitismus geht nie, nur sollte man nicht die Wurzel des Antisemitismus vergessen und das war der Neid auf Geld und Besitz. Über Jahrhunderte war und ist es für Extreme Parteien erfolgreich auf die zu hetzen die mehr besitzen.

  • Abstiegsverängstigte, simpeldenkende protestantische/neuheidnische Land- und Kleinstadtbevölkerung, damals wie heute.



    Diesmal schmieren die ADis aber ab, denn die Widerstandskräfte der großen Mehrheit sind intakt.

    • @Janix:

      Da wäre ich mir nicht so sicher.

      Die Bereitschaft, verschiedene Sichtweisen auf die Welt zuzulassen ist momentan stark gesunken, auch bei gutgestellten Akademikern.

      • @Sonntagssegler:

        Verschiedene Sichtweisen auf die Welt zulassen ist ein Zeichen der Reife, und das Zuhören und Verstehen muss sich jede/r mal erarbeiten, wäre sonst ein seltenes Naturtalent.

        Und dabei gibt es schon auch Grenzen und universale Prinzipien: Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, daß alle Menschen gleich erschaffen worden, .... Menschenwürde ... und nein, Goebbels' Sichtweise würde ich tatsächlich nicht mehr 'zulassen' wollen.

        Und das mobilisiert uns ja gerade, jenseits von kurzsichtigem Privatinteresse für uns alle aktiv zu werden.

        Als Menschen, die sonst Union, FDP; Freie Wähler, SPD, Linke, Grüne, gar nicht, Tierschutz oder was auch immer wählen.