Film „Sleep With Your Eyes Open“: Dauerhafte Durchreise

Der Film „Sleep With Your Eyes Open“ erzählt von jungen Chinesinnen, die in Brasilien arbeiten. Ihr Leben führen sie in einer luxuriösen Parallelwelt.

Eine june Frau liegt angezogen auf einem Bett und erholt sich.

Im schwülen Recife gibt's Momente, in denen dösen alles ist, was sich tun lässt: Szene aus „Sleep With Your Eyes Open“ Foto: Victor Juca/Grandfilm

Die Urlaubspostkarten vom brasilianischen Küstenort Recife sind „Made in China“. Als sie das bemerkt, löst das Heimatgefühle in Xiaoxin aus, die in Brasilien im Importhandel ihrer reichen Tante arbeitet. An China selber kann sich die ewig Durchreisende dabei nur noch verschwommen erinnern, und einigen anderen der kleinen Gruppe chinesischer Arbeitsmigranten, mit denen sie in einem luxuriösen Wohnhochhaus lebt, geht es ganz ähnlich.

Wirklich da und angekommen ist jedenfalls niemand in dem Film „Sleep With Your Eyes Open“ der aus Hannover stammenden Filmemacherin Nele Wohlatz. Stattdessen scheinen alle wie Schlafwandler durch die fremde Stadt zu laufen, deren Sprache sie nicht sprechen und für deren Be­woh­ne­r*in­nen sie alle gleich aussehen. „Warum erkennen sie sofort, dass ich eine Fremde bin?“ fragt Kai aus Taiwan, die ebenfalls in Recife gestrandet ist: „Liegt es an meinen Schuhen?“

Obwohl kein deutsches Wort in ihm gesprochen und kaum etwas an ihm an deutsches Kino denken lässt, ist „Dormir de olhos abertos“, so der portugiesische (!) Originaltitel auch ein autobiografischer Film. Denn in ihm beschreibt Nele ­Wohlatz ein Lebensgefühl, das ihr selber nicht fremd ist: 1982 in Hannover geboren, studierte sie Kunst, Literatur und Philosophie in Braunschweig, Karlsruhe und Buenos Aires. Danach lebte und arbeitete sie zehn Jahre lang in Argentinien und drehte dort „El futuro perfecto“, in dem sie vom Leben einer jungen Chinesin in Buenos Aires erzählt. Dafür gewann sie 2016 in Locarno den Goldenen Leoparden für den besten Debütfilm.

Wie schon damals, so erfasst Wohlatz in „Sleep With Your Eyes Open“ eher einen Zustand als dass sie durchgängig eine ­Geschichte erzählen würde. Sie flaniert mit ihrer Kamera durch die Milieus, in denen ihre Filme angesiedelt sind. Sie lässt die Menschen erzählen und eher nebenbei geschehen dann ­Absurditäten – wie etwa ein ­Regen von Geldscheinen, der über Recife niedergeht. ­Wohlatz vermischt so Spiel- und Dokumentarfilm. Die meisten ihrer Dar­stel­le­r*in­nen sind Laien.

„Sleep With Your Eyes Open“. Regie: Nele Wohlatz. Brasilien/Taiwan/Deutschland/Argentinien 2024, 97 Min.

Der Film läuft ab 12.6. im Kino am Raschplatz in Hannover, ab 13.6. im Filmraum und im Metropolis in Hamburg, sowie ab 20.6 im City 46 in Bremen und im Kino 3001 in Hamburg

Und ihre Prot­ago­nis­t*in­nen sind nicht umsonst junge Frauen: Kai ist aus Taiwan angereist, um in Brasilien ­Urlaub mit ihrem Freund zumachen, doch der macht dann per Handy auf dem Flughafen von Recife Schluss mit ihr. Eine Zeit lang folgen wir ihr bei ihren ziellosen Spaziergängen, auf denen sie einen Laden für Regenschirme entdeckt. Den betreibt ein Chinese. Regenschirme in Brasilien? Die erhoffte Regenzeit kommt nie und so bekommt Kai aus der Konkursmasse des Ladens einen Karton mit Hunderten von Postkarten, auf denen Xiaoxin in kleinen Texten ihr Leben beschrieben hat.

Xiaoxin ist längst weitergezogen: Die beiden Frauen begegnen sich also nie. Doch durch die Notizen entsteht eine Verbindung zwischen ihnen. Diese Verbindung aus zweiter Hand bringt die Situation und das ­Lebensgefühl dieser Chi­ne­s*in­nen in Brasilien auf den Punkt. Beide leben in Enklaven und haben kaum Kontakt zum Land und den Brasilianer*innen. Die Kommunikation ist seltsam unbefriedigend: Das Wichtigste kommt nie zur Sprache, und es gibt viele Missverständnisse, da alle ständig zwischen Sprachen wechseln müssen, die sie selber oft nur teilweise verstehen: Xiaoxin spricht Spanisch statt Portugiesisch, weil sie davor in Argentinien gelebt hat.

„Seid ihr nicht Arbeitssklaven“ fragt Xiaoxin etwa die anderen, weil diese ohne Papiere und soziale Absicherung für ihre Tante arbeiten. Aber Arbeitssklaven, die in einer Luxuswohnung leben und auch mal in eine andere Stadt ziehen können, um dort auf eigene Rechnung ebenfalls mit einem Laden für chinesische Importartikel pleite zu gehen?

Nele Wohlatz hat kein Sozial­drama inszeniert. Ihre ­Pro­t­ago­nis­t*in­nen gehen eher entspannt durchs Leben. Der Film lebt dabei vom genauen Blick auf Situationen, in denen Bra­si­lia­ne­r*in­nen und Chi­ne­s*in­nen zusammentreffen – etwa den grotesken Kung-Fu-Tanz zwischen einem betrunkenen Brasilianer und einem Chinesen, die beide nur nachspielen können, was sie aus dem Kino kennen. Solche Szenen machen aus „Sleep With Your Eyes Open“ einen sehr wachen Film. In dem fühlt man sich schnell heimisch. Dabei erzählt er von nichts anderem, als dem Leben in der Fremde.

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