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Film „Die Eine tanzt, die Andere nicht“Ein kluger Blick auf das Leben an den Rändern

Regisseurin Emilie Girardin erzählt vom Leben junger migrantischer Frauen in der Hamburger Kulturszene und ihrem Ringen um ein queeres Lebensmodell.

Die Freundinnenschaft steht obenan: Filmszene mit Tirza (Tirza Ben Zvi, l.) und Dani (Daniela Castillo Toro) Foto: Emilie Girardin, Jannik Tesch

Ein lesbisches Paar wünscht sich ein Kind – aber der Freund, dessen Samen die beiden dafür bräuchten, weigert sich, ihn zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig wird eine andere Freundin ungewollt schwanger und will abtreiben. Könnte sie nicht das Wunschkind der beiden austragen? Ein Stoff, aus dem ein Melodrama gebastelt wird, es muss Seifenopern geben, in denen so ein Szenario durchgespielt wurde. Und wie intensiv hätte etwa ein Pedro Almodóvar diese Geschichte weitergesponnen bis zur letzten tränenreichen Konsequenz?

Nun ist das Umrissene zwar der Haupthandlungsstrang von Emilie Girardins „Die Eine tanzt, die Andere nicht“. Aber die schweizerisch-polnische Wahlhamburgerin hat kein Interesse an einem queeren Rührstück. Stattdessen ließ sie sich von Agnés Varda inspirieren, deren feministischer Klassiker „Die eine singt, die andere nicht“ von 1977 Pate stand, und das nicht nur vom Titel her: Auch da ging es um Zeugung, Abtreibung und die Rechte von Frauen – und ein ähnlich kluger, liebevoller Blick auf ihre Protagonistinnen verbindet die Filmemacherinnen.

Girardin verortet ihren Film im Milieu junger KünstlerInnen, zumeist aus anderen Ländern nach Hamburg gekommen, wo sie sich nun durchbeißen in prekären, sogenannt freien Verhältnissen.

Die Jüdin Tirza zum Beispiel ist Tänzerin, und in der ersten Szene des Films sehen wir sie beim Vortanzen für ein Engagement bei einer modernen Ballettgruppe. Wenn sie dann fast den ganzen Film über nicht weiß, ob man sie ablehnen wird, hallen darin nicht zuletzt Girardins eigene Lebensumstände wider; auch sie muss immer wieder um die Finanzierung ihrer Projekte bangen. Von „Autofiktion“ spricht sie mit Blick auf ihre Methode, aber es geht da um mehr, als sich für die Kunst an der eigenen Biografie zu bedienen.

Die Spielenden haben sich die Charaktere selbst erarbeitet

Auch auf anderer Ebene werden hier Realität und Erzählung, Dokumentation und Spiel miteinander vermengt. Die Prot­ago­nis­tIn­nen werden fast alle von professionellen SchauspielerInnen dargestellt, lediglich eine der Mütter verkörpert Girardins eigene Mutter. Dann tragen die Filmfiguren aber die Namen der Darstellenden, Tirza etwa wird gespielt von der Israelin Tirza Ben Zvi, einer professionellen Tänzerin, die auch schon auf Theaterbühnen etwa in Göttingen und Hamburg zu sehen war.

In langen, improvisierten Proben haben die Spielenden sich die Charaktere selbst erarbeitet. Wenn etwa Ben Zvi bei den Proben einwandte, so wie vorgeschlagen würde sie doch nie agieren, dann wurde die Szene in ihrem Sinne geändert: Bei dieser Arbeitsweise ist nicht die Regisseurin die letzte Autorität, sondern die Darstellerin.

Anders als 2020 für ihren Film „The Last to Leave Are The Cranes“ ließ Girardin ihre Darstellerinnen diesmal nicht auch bei den Dreharbeiten selbst improvisieren. Sondern sie arbeitete lange an einem Drehbuch, das die zuvor improvisierten Dialoge verdichtete – so sehr, dass „Die Eine tanzt, die Andere nicht“ binnen 78 Minuten erstaunlich viele Themen behandelt, ohne ein überladener Thesenfilm zu sein.

Eine gleichermaßen sachliche wie zugleich atmosphärisch reiche Milieustudie ist ihr gelungen: So müssen sich die jungen Frauen mit der deutschen Bürokratie herumschlagen, und Girardin zeigt, welche Beratungsgespräche Tirza führen und welche Formulare sie ausfüllen muss, um legal abtreiben zu dürfen.

Der Film

„Die Eine tanzt, die Andere nicht“. Regie: Emilie Girardin, mit Tirza Ben Zvi, Daniela Castillo Toro u. v. a., Deutschland 2024, 78 Minuten

Vorpremiere: Fr, 7. 3., 19 Uhr, Hamburg, Metropolis

Wenn Dani (Daniela Castillo Toro) versucht, den Wunsch nach einem gemeinsamen Kind mit ihrer Partnerin Reta (Anngret Schultze) durchzusetzen, dann passiert das nicht in Form hoch emotionaler Streitereien, sondern in Gesprächen. So wird unaufgeregt und authentisch von queeren Familienmodellen und reproduktiver Gerechtigkeit erzählt, und bei aller Leidenschaft opfern Tirza und Dani nicht ihre Freundinnenschaft den unterschiedlichen Lebensentwürfen.

Nah an der Realität der jungen Frauen ist auch, wie sie kommunizieren: So ist kaum Dialog auf Deutsch zu hören, die Protagonistinnen reden entweder in ihren Muttersprachen Spanisch, Hebräisch und Polnisch miteinander oder auf Englisch, was zu interessanten Unschärfen führt. Vieles an Kommunikation geschieht zudem über Internet, Sprachnachrichten oder Handytelefonate, denn diese Frauen können mit den Familien und Freun­dIn­nen daheim nur über Medien in Kontakt bleiben.

Schließlich ist dies auch ein Film über Hamburg, das Girard mit statischen Totalen, Fahrten neben den Protagonistinnen auf dem Fahrrad oder auch mit wackeliger Handkamera über die Schulter einer Joggerin erkundet. Dabei zeigt sie nicht die typischen Stadtbilder, vielmehr Straßen, Wohnungen, Studios und Büros in den wenig glamourösen Stadtteilen Hammerbrook und Wilhelmsburg. Und erzählt so, wenn schon nicht geografisch, dann doch metaphorisch vom Leben an den Rändern.

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