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Filialleiter soll Dieb totgeprügelt haben„Ich wollte ihn auf diese Art belehren“

Der Chef eines Supermarkts im Bahnhof Berlin-Lichtenberg steht vor Gericht: Er soll einen Ladendieb totgeprügelt haben.

Der angeklagte Supermarktleiter am ersten Prozesstag Foto: dpa

André S. knetet seine kleinen Hände. Es sind die Hände, über die der Filialleiter eines Supermarkts am Morgen des 17. September 2016 Quarzsand-Handschuhe zog, nachdem er einen Ladendieb entdeckt hatte, der eine Flasche „Chantré“ eingesteckt hatte. Der Mann war ihm bekannt: Eugeniu B. hatte in dem Geschäft im Bahnhof Lichtenberg öfters Waren gestohlen.

Was anschließend an jenem Samstagmorgen geschah, ist Gegenstand eines Prozesses wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge, der vor zehn Tagen vor dem Landgericht begann. Am heutigen Montag wird das Verfahren mit der Vernehmung von Zeugen fortgesetzt.

Der 29-jährige Filialleiter soll laut Staatsanwaltschaft den Dieb nach hinten ins Getränkelager geführt und ihn dort mindestens zweimal mit der behandschuhten Faust gegen Kopf und Gesicht geschlagen und mindestens einmal getreten haben. Anschließend soll er den Verletzten über eine Hintertür aus dem Laden gezerrt haben. Drei Tage später starb der aus Moldawien stammende 34-Jährige an seinen Kopfverletzungen.

Noch weitere Fälle?

Schlimmer noch: Laut Staatsanwalt war diese Form der Selbstjustiz „gängige Praxis in dem Supermarkt“. Es gebe weitere Ermittlungsverfahren gegen André S. und seine Mitarbeiter; allerdings eile „den Zeugen aus dem Trinkermilieu keine besondere Glaubwürdigkeit voraus“.

Am ersten Prozesstag gibt sich S. zerknirscht. Er spricht von einem schleichenden Prozess: Seine Familie betreibt zwei Edeka-Märkte, einen am S-Bahnhof Südkreuz und den in Lichtenberg. In beiden Läden werde häufig gestohlen. Er hole die Polizei, doch die Ladendiebe halte das nicht ab.

Zunehmend gebe es auch Übergriffe gegen Angestellte. Er erinnere sich an einen jungen Mann, der Sachen aus dem Regal gerissen habe. Zu dritt hätten sie ihn aus dem Markt gedrängt; anschließend kehrte der Randalierer mit einer Eisenstange zurück und verletzte die beiden Sicherheitsleute mit einem Messer.

An jenem Septembertag erwischte er Eugeniu B. „Ich wollte auf diese Art zeigen: so nicht! Ich wollte, dass die bei uns nicht mehr klauen. Ich wollte ihn auf diese Art belehren, es sollte aber nicht in so einer extremen Verletzung enden.“

S. bestreitet die Tat nicht. „Aber an den Fußtritt kann ich mich nicht mehr erinnern.“ „Es gibt Videos“, gibt der Richter zu bedenken. Er habe Eugeniu B. auf die Kopfseite „’n kurzen Ditsch“ gegeben, räumt der Angeklagte daraufhin ein und boxt mit seiner kleinen Hand in die Luft. Er habe auch das Blut gesehen.

Von den Misshandlungen schickte er Fotos per WhatsApp an den stellvertretenden Filialleiter und versah sie mit Kommentaren wie: „Moldawien zu Gast bei Freunden!“ Das sei nicht seine Art, verteidigt sich André S. „Wir haben ja auch deutsche Diebe!“

Opfer ohne Versicherung

Eugeniu B. hatte den Weinbrand seiner Cousine mitbringen wollen, die er von Samstagnachmittag bis Sonntagabend besuchte. Sie und ihr Mann berichten vor Gericht von einer Narbe ihres Gastes, dem drei Wochen vor seinem Tod eine Flasche auf den Kopf geschlagen worden war. Sie waren entsetzt, als sie ihn an jenem Samstag sahen – seine Cousine filmte sein geschwollenes Gesicht und das Hämatom unter dem Auge. Beständig rieb sich Eugeniu B. die Schläfen, schneuz­te Blut. Einen Arzt wollte er nicht aufsuchen: „Er hatte doch keine Versicherung.“ Erst am Montag begab sich der Verletzte in ein Ärztehaus. Er kam ins Unfallkrankenhaus, wo er tags darauf starb.

André S. sagt, er hoffe nun „inständig, dass mein Schlag nicht den Tod verursacht hat“. Dem rechtsmedizinischen Gutachten wird in diesem Prozess eine zentrale Bedeutung zukommen. Ein Urteil wird für Ende März erwartet.

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4 Kommentare

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  • "Es gebe weitere Ermittlungsverfahren gegen André S. und seine Mitarbeiter"

     

    Was muss eigentlich noch passieren, damit diese Edeka-Märkte der Firma S dicht gemacht werden?

     

    Habe vor einiger Zeit am Südkreuz den sehr rabiaten Rauswurf einer nichtdeutschen Kundin erleben müssen und auf meine Kritik hin sofort dauerhaft Hausverbot erhalten.

  • Wenn Quarzsandhandschuhe schon bereitliegen, muss man mindestens von vorsätzlicher schwerer Körperverletzung ausgehen. Andererseits, nach den Maßstäben der Mordverurteilung wegen Raserei ist hier noch wesentlich eher Mordvorsatz anzunehmen...

  • Gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge? Das ist für gewöhnlich die Anklage, wenn jemand grob fahrlässig mittels eines gefährlichen Gegenstands den Tod eines Menschen herbeiführt.

     

    Doch so, wie es sich lt. Bericht zugetragen haben soll, ist der Vorsatz der Tat offensichtlich. Auch das Motiv "Rache" sticht deutlich hervor, also ein niederer Beweggrund.

     

    Ok, der Filialleiter war mit großer Wahrscheinlichkeit bis zur Weißglut gereizt. Wer wäre das nicht, wenn er penetrant Opfer von Straftaten wird, nur weil sich staatliche Behörden im Totalversagen üben?

     

    Dennoch ist es ein gewaltiger Unterschied, ob die Anklage "gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge" lautet oder mindestens "Totschlag, ggf. mit mildernden Umständen".

     

    Ob nun der Schlag den Tod verursacht hat oder nicht, kann da wohl nur von sehr untergeordneter Bedeutung sein. Wenn der Tatablauf der Schilderung entspricht, dann war der mögliche Tod des Ladendiebs - wenn man diverse andere Urteile in derartig gelagerten Fällen berücksichtigt - auf jeden Fall billigend in kauf genommen.

  • "Er hole die Polizei, doch die Ladendiebe halte das nicht ab."

     

    Er hätte ihn festhalten und die Polizei holen müssen. Dass er überhaupt so gewalttätig wurde, spricht sehr gegen ihn. Dennoch würde es mich überraschen, wenn er mehr als vier Jahre in den Knast musst, allerdings dürfte eine Bewährungsstrafe auch nicht in Betracht kommen, weil er diese Situation kannte und ganz bewusst Gewalt anwendete. Aber es wird ein spannendes Urteil ...