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Festival für junge RegieKein „Leises Servus“ zum Abschied

Wegen Geldmangels soll das Dresdner Fast-Forward-Festival für junge europäische Regie nicht fortgeführt werden. Am Sonntag ging die 15. Ausgabe zu Ende.

Der Hauptpreis der Jury ging an „Steal this Performance“ von Pauli Patinen Foto: Jere J. Aalto
Michael Bartsch

Aus Dresden

Michael Bartsch

Von Abschiedsstimmung war bei diesem 15. Jahrgang des Fast-Forward-Festivals wenig zu spüren. Sie mag sich höchstens darin geäußert haben, dass alle acht Inszenierungen noch ausverkaufter waren als sonst. Vorwiegend an sehr junge Gäste, darunter zahlreiche Studierende aus Europa. Man spricht Englisch auf den Fluren der vier Spielstätten.

Und man konnte sich erneut teils zu billig amüsieren, aber ebenso Mitreißendes auf hohem Niveau erleben. Oder im Festspielhaus Hellerau bei einem Flashmob verzückt mittanzen, der einen orgiastischen Straßburger Veitstanz aus dem Jahr 1518 nachempfand.

Im laufenden sächsischen Krisenhaushalt müssen auch die beiden Dresdner Staatstheater Semperoper und Schauspiel erstmals Kürzungen hinnehmen, in diesem Jahr etwa 7 Millionen Euro, 2026 6 Millionen.

Geopfert werden soll unter anderem Fast Forward. Hier sind aber nur 200.000 Euro herauszuholen, weshalb in Teilen der Belegschaft diese Entscheidung hinter vorgehaltener Hand angezweifelt wird.

Schärfe der Eröffnungsreden

Äußerlich kaum spürbar, schien das vorläufige Aus für das Festival doch die Schärfe der Eröffnungsreden zu beeinflussen. Weniger bei Intendant Joachim Klement, der das Festival bei seinem Dresdner Amtsantritt 2017 aus Braunschweig mitbrachte.

Kuratorin Charlotte Orti von Havranek hat in den neun Dresdner Festivaljahren für ihre Auswahl ungezählte Fahrten durch Europa unternommen. Sie reflektierte eine als unheilvoll empfundene Zeit teils poetisch mit Voltaires Aufforderung, endlich einen Garten zu bestellen, teils großartig-zynisch mit Sartre: Wir sind verurteilt, frei zu sein!

Fast Forward will erklärtermaßen „nicht vordergründig Trends aufspüren“, sondern eine „Bandbreite verschiedenster Theaterformen abbilden“. Entsprechend folgt Kuratorin Orti von Havranek in ihrer Stückauswahl auch keinen Konzepten oder Mustern.

Unbeabsichtigt zogen sich aber doch zwei Linien durch diesen Festivaljahrgang. Die eine durch „Theater auf dem Theater“ markiert, die andere mit dem Prinzen-Song „Es ist alles nur geklaut“ zu beschreiben.

Auftakt mit Stück über Arbeitswelt

Schon der Auftaktdonnerstag bescherte mit dem unaussprechlichen „Bidibibodibiboo“ eine italienische Inszenierung über eine geplante Inszenierung. Theatermacher Daniele will ein Stück schreiben über die entfremdete, krank machende Arbeitswelt, angefüttert mit den Erfahrungen seines im Ausbeutungsverhältnis ausharrenden Bruders Pietro.

Beide Linien kreuzten sich im finnischen Beitrag „Steal this performance“. Völlig zu Recht sprach die Profijury dieser Soloperformance den Hauptpreis zu und würdigte damit das „ästhetische Feuerwerk“ und den vor Esprit strotzenden Umgang mit Theatergeschichte. Zugleich beeindruckten Aufwand und Technik, final mit einem Klang-Licht-Nebel-Rausch.

Pauli Patinen spielt seine Kernthese „Die Kunstgeschichte ist eine Geschichte des Plagiats“ süffisant auf einer Erst- und Zweitbühnenkonstruktion aus und muss sich bald selbst mit seinem Doppelgänger auseinandersetzen. „Wenn das Publikum etwas zu verstehen scheint, ist man dem System untreu geworden“, piekt er auf das „System Selbstinszenierung“ ein und bekennt schließlich: „Ich hasse Theater!“

Weibliche Kohlhaas-Adaption

Inhaltlich dünn fiel der deutsche Beitrag „I love horses“ mit einer versucht weiblichen Adaption von Kleists Kohlhaas-Novelle aus. Keine Spur von der Zentralfrage nach Selbstjustiz des betrogenen Pferdehändlers. Die drei jungen Frauen Adriana, Janne und Trigal zanken sich vielmehr, wie Kleist zu inszenieren sei und wer die Hauptrolle spielen dürfe.

Ihrer eigenen Show überdrüssig, pfeifen sie schließlich auf die Mühsal, ob der Arroganz des Junkers irgendwie zu Recht zu gelangen, und machen lieber einen „queer-feministischen Pferdehof“ auf.

Den Tiefpunkt der acht Festivalinszenierungen markierte der nach RAI-Fernsehen klingende italienische Beitrag „Die größte Tragödie der Menschheit“. Eine makabre Pannenshow, ein Ranking weltgeschichtlicher Tragödien nach K.o.-Votum des Publikums.

Am Ende „siegte“ die Ausrottung der amerikanischen Urbevölkerung über deutsche Kolonialverbrechen in Afrika. Wenn das als Parodie gemeint sein sollte, wurde es durch keinerlei Breaks deutlich.

Publikumspreis für slowenisches Dokutheater

Das Publikum bedachte per Abstimmungszettel die emotional stärkste Inszenierung aus Slowenien mit einem Preis. „Boško & Admira“ setzt dem als „Romeo und Julia von Sarajevo“ bekannt gewordenen Liebespaar christlich-orthodoxer und muslimischer Herkunft ein weiteres Denkmal, erschossen im serbisch-bosnischen Krieg 1993.

Dokutheater aus Slowenien: „Boško & Admira“ von Živa Bizovičar Foto: Dorian Šilec Petek

Detailliert recherchiertes Dokutheater, das sich zu einer erschütternden Anklage gegen die verbrecherischen Folgen von Kriegen überhaupt steigert. Asche und Erde beherrschen am Ende die Bühne.

Überraschend bekannte sich die Jugendjury bei ihrer Preisvergabe angesichts einer solchen „Welt unter Beschuss“ zu ihrer Sehnsucht nach „radikaler Zärtlichkeit“ und „liebevoller Ruhe“. Dem entsprach die sehr intime, über Generationenverhältnisse, das Altern und die Endlichkeit des Lebens sinnierende niederländischen Zweierperformance „Last Portrait“. Es gibt also nicht nur die Spaßverwöhnten in der Generation Z.

Die Stelle von Festivalkuratorin Charlotte Orti von Havranek soll immerhin erhalten bleiben, falls Deutschland und Sachsen doch wieder in Wirtschaftswunderzeiten zurückfallen. Oder das Festival „irgendwo in Europa“ eine neue Heimat finden sollte, wie Intendant Klement orakelte.

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