Festgesetztes Rettungsschiff in Italien: Indizien gegen die Seenotretter
Die italienische Staatsanwaltschaft wirft „Jugend rettet“ vor, sich mit Schleppern abgesprochen haben. Fotos und Abhörprotokolle sollen das belegen.

Aktivitäten von Schleppern zugelassen? Das Seenotretter-Schiff „Iuventa“ bei der Arbeit Foto: reuters
BERLIN taz | Die italienische Justiz hat am Donnerstag ihre Vorwürfe gegen die deutsche Seenotrettungs-NGO Jugend Rettet verstärkt. Sie hatte deren Schiff „Iuventa“ am Mittwoch nach Lampedusa beordert und es beschlagnahmt. Der Vorwurf: „Begünstigung der illegalen Einreise“. Nun legt die Staatsanwaltschaft in Sizilien italienischen Medien Indizien vor, die das untermauern sollen.
Dabei handelt es sich zum einen um Fotos von zwei „Iuventa“-Einsätzen vom Juni dieses Jahres. Darauf ist zu sehen, wie ein Beiboot der „Iuventa“ ein leeres Flüchtlingsboot schleppt. Die Polizei behauptet, das Schiff sei dabei in libysche Gewässer zurückgebracht worden, damit die Schlepper es erneut benutzen können. Auf anderen Bildern ist zu sehen, wie zwei Männer in einem Holzboot den Motor eines vollbesetzten Flüchtlingsbootes abbauen und mitnehmen. Die „Iuventa“ ist dabei vor Ort. Die Polizei sagt, deren Besatzung habe damit die Aktivitäten von Schleppern zugelassen.
Weiterhin zitiert die Polizei aus Abhörprotokollen. Demnach habe ein weibliches Besatzungsmitglied der „Iuventa“ gesagt, Fotos von Schleusern würden nicht an die italienischen Behörden übergeben, damit es nicht zu Festnahmen komme.
Die Staatsanwaltschaft folgert daraus, dass die „Iuventa“ sich mit Schleppern abgesprochen und teilweise agiert habe, ohne dass die Migranten in Gefahr gewesen seien. „Sie wurden von den Schleusern eskortiert und unweit der libyschen Küste der Besatzung der ,Iuventa' übergeben“, sagte der Staatsanwalt Ambrogio Cartosio der Zeitung La Repubblica.
„Kriminalisierungskampagne“ gegen Seenotretter?
Italienische Medien berichteten, die Justiz sei von der NGO Save the Children auf die Vorfälle aufmerksam gemacht worden. Save the Children ist selbst mit einem Rettungsboot vor Libyen aktiv. Die NGO lehnte eine Stellungnahme ab. Auch Jugend Rettet wollte am Donnerstag keine Stellungnahme abgeben.
Die italienische Regierung hat von den acht Seerettungs-NGOs im Mittelmeer verlangt, einen Verhaltenskodex zu unterschreiben. Jugend Rettet gehört zu fünf NGOs, die am Montag nicht unterzeichneten. Das Gleiche gilt für Sea Watch. Deren Schiff „Sea Watch 2“ liegt derzeit mit einem Motorschaden im Hafen von Valletta. Ihr Sprecher Ruben Neugebauer sagte am Donnerstag der taz, er sehe eine „Kriminalisierungskampagne“ gegen die Seenotretter. „Auch wenn die Justiz sagt, dass ihre Aktion nicht in einem Zusammenhang mit dem Kodex-Streit steht: Das riecht schon sehr danach.“
In der Vergangenheit seien die Vorwürfe der Zusammenarbeit mit Schleppern mehrfach erhoben worden, hätten sich aber stets als „heiße Luft erwiesen“. Es sei denkbar, dass nun neue Vorwürfe konstruiert würden. Die Fotos, die die italienische Justiz vorgelegt habe, könnten unter vielen Umständen entstanden sein, sagte Neugebauer.
Unterdessen setzten die NGOs SOS Méditerranée und Ärzte ohne Grenzen ihre Einsätze fort. Seit Dienstag nahm SOS Méditerrannée nach eigenen Angaben 272 Menschen und 8 Tote an Bord. Die Menschen seien erstickt und wiesen schwere Verbrennungen vom Gemisch aus Benzin und Salzwasser auf.
Leser*innenkommentare
Reinhold Schramm
Info.-Empfehlung
»Flucht. Nicht die freiwilligen Retter im Mittelmeer sind schuld an Migration. Es ist der Lebenswandel von Europas Spaßgesellschaft.«
Ein User-Kommentar von @Hermann | Community
“Dem Autor ist sicherlich zuzustimmen, dass die „Seenotrettung“ der NGOs nicht die eigentliche Fluchtursache ist sondern der auch auf Kosten der Bevölkerung Afrikas in Europa existierende Wohlstand. Dabei soll allerdings nicht vergessen werden, dass eine korrupte Oberschicht in den afrikanischen Staaten davon sehr gut lebt. Veränderungen in den Staaten müssen die Einwohner letztendlich selber wollen und durchsetzen. Das wird schwierig, wenn die aktive Jugend außer Landes geht. Insofern zementiert die Flucht nach Norden die Zustände in den jeweiligen Staaten.
Selbst wenn ich nur die besten Motive unterstelle sind die „Seenotretter“ ein Glied einer langen und arbeitsteiligen Logistikkette zur Beförderung der Menschen vom subsaharischen Afrika bis nach Mitteleuropa. Und wen befördern sie, nicht die wirklich armen und hilfebedürftigen sondern die kräftigen und relativ reichen Menschen dieser Länder. Es tut mir leid, aber das freundlichste was mir zu diesen NGOs einfällt ist, sie sind nützliche Idioten.“
Vgl. DER FREITAG: Das Ende der Party. Flucht.
Von Bartholomäus von Laffert | Ausgabe 31/2017 http://www.freitag.de/autoren/der-freitag/das-ende-der-party
»Langfristige Lösungen zu finden ist dabei unmöglich, solange die ignorante EU-Politik nicht endlich die wahren Pull-Faktoren – neben den existierenden Fluchtursachen wie Hunger, Armut, Krieg – erkennt und benennt. Nein, es sind nicht spendenfinanzierte Rettungsboote 20 Meilen vor der libyschen Küste, derentwegen Menschen ihr Leben riskieren. Der verlockendste Anziehungsfaktor ist die Attraktivität eines Lebens im globalen Norden.«
rero
Wegen seiner Ausgewogenheit ein sehr guter und informativer Artikel.
TazTiz
Die Bilder mit den überfüllten Booten erinnern doch sehr an Darstellungen über den Sklavenhandel in den vergangenen Jahrhunderten ...
Land of plenty
Abschleppdienste:
Alles andere wäre unterlassene Hilfeleistung auf dem Meer.