Femizid-Prozess in Kiel: Angeklagter sammelt Nazi-Symbole
Vor dem Kieler Landgericht muss Hartmut F. sich wegen dreifachen Mordes verantworten. Die Ermittelnden fanden bei ihm rechtsextreme Devotionalien.
Nach der Tat fuhr der 48-Jährige nach Kiel zu einem Bekannten und schoss ihm mehrfach in den Kopf, da er ihm die Schuld am Ende seiner Ehe gab. Die Kieler Staatsanwaltschaft wirft F. dreifachen heimtückischen Mord aus niedrigen Beweggründen vor. Eine Beziehungstat, die auch durch ein politisches Interesse getriggert sein könnte.
Seit dem 23. Februar läuft der Prozess gegen F. vor dem Kieler Landgericht. Am fünften Verhandlungstag gestand der Beschuldigte, die Morde begangen zu haben. Im Haus von F. fanden die Ermittelnden aber nicht nur viele legale und illegale Waffen sowie Munition und Sprengmittel, sondern auch einen Wehrpass mit Reichsadler und Hakenkreuz, eine Anstecknadel mit Adler und Hakenkreuz, Gürtelschnallen mit dem NS-Symbol sowie verschiedene Publikationen aus der Zeit des Nationalsozialismus.
Diese Funde könnten historische Devotionalien eines Waffen- und Kriegsinteressierten sein. Es sollen aber auch Gegenstände neueren Datums gefunden worden sein, heißt es aus Ermittlungskreisen: eine Kerze mit dem SS-Spruch „Meine Ehre heißt Treue“ im Saferaum und ein Plakat mit dem Gedicht „Meine Ehre heißt Treue“ des früheren SS-Mann Hans Hermann Weler an einer Kellerwand.
Ein Bekenntnis zum Nationalsozialismus?
Diese Funde bei dem Zahnarzt, der in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Neumünster tätig war, könnten als aktuelles Interesse am Nationalsozialismus gedeutet werden. In dem Gedicht schwört Weler 1959 auf „Blut“ und „Reich“ ein. Bekennt sich F. damit zum Nationalsozialismus?
Die Nähe zum Milieu deuten auch Hefte der Zeitschrift Der Freiwillige an, das Zentralorgan der ehemaligen Angehörigen der Landesverbände der Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Soldaten der Waffen-SS – kurz HIAG. 2014 wurde daraus die Deutsche Militärzeitschrift der rechtsextremen Verlagsgruppe „Lesen & Schenken“ mit Sitz in Martensrade nahe Kiel.
Johanna Sigl, Rechtsextremismusexpertin an der Hochschule RheinMain
„Diese Funde deuten darauf hin, dass der Tatverdächtige sehr bewusst und umfassend den Nationalsozialismus verherrlicht. Gleichzeitig nahm er aber auch eine Aktualisierung vor: Sowohl die Zeitschrift wie auch das Gedicht sind keine historischen Dokumente des Nationalsozialismus, sondern verweisen auf die Bezugnahme und Verherrlichung über die historische Zeit hinaus“, sagt Johanna Sigl, Rechtsextremismusexpertin aus Hamburg mit Professur in Wiesbaden.
Der Tatverdächtige scheint Bezugswege in die organisierte extreme Rechte zu haben. Aus dieser Einschätzung ergibt sich nicht, dass F. Mitglied einer entsprechenden Organisation ist, wohl aber, dass er weiß, wo solches Material zu bekommen ist.
Ein persönlicher Kontakt, der bei den Ermittlungen aufgefallen sein soll, könnte eine der Quellen gewesen sein, vielleicht auch eine Inspiration, heißt es aus Ermittlungskreisen. Über 30 Briefe soll Rudolf J. aus dem niederländischen Zoetermeer an F. gesendet haben. Der Briefeschreiber, der wesentlich älter wirken soll, schreibe respektvoll über Personen aus dem Nationalsozialismus, berichte erfreut von Kameradschaftstreffen ehemaliger Angehöriger von SS-Divisionen, die er, seine Familie oder enge Freunde besucht hatten.
J. bot F. demnach auch einen Anstecker mit dem „Sonnenrad“ in Silber an. Dieses Symbol – bekannt als „Schwarze Sonne“ – dient in der rechtsextremen Szene als Bekenntnis zur SS. Auch Publikationen sollen zugesendet worden sein, damit F. selbst herausfinden könne, was „Juda“ alles kontrolliere und bestimme. Und auch um die Flucht Otto Ernst Remers geht es. Nach 1945 floh der ehemalige Wehrmachtsoffizier und Hitler-Leibwächter, der den Putsch am 20. Juli 1944 mitverhindert hatte, wegen seiner finanziellen Unterstützung von Auschwitz leugnenden Publikationen nach Spanien.
In dem Briefwechsel sollen J. und F. sich über die Themen Familie und Ehe ausgetauscht haben. Auch Besuche sollen stattgefunden haben, in Estland habe F. weitere Gleichgesinnte getroffen, heißt es aus Ermittlungskreisen.
Zudem legt ein anonymes Schreiben eine einschlägige Gesinnung nahe. In diesem heißt es, dass F. der rechten Szene zuzuordnen sei und dass er mit rechtsextremen Äußerungen aufgefallen sei. Auch wird davon berichtet, dass er nicht-deutschen Häftlingen bewusst Schmerzen zugefügt haben soll. Unter den Funden sollen auch mehrere Fotomontagen von F. sein, auf denen er lächelnd abgebildet sei, in Uniform und mit dem SS-Emblem an der Mütze oder am Helm.
Bloß ein Spiel oder Hinweis auf eine Identifikation mit dem Nationalsozialismus? Rechtsextremismusexpertin Sigl sagt – mit aller Vorsicht –, dass diese Bilder die Annahme einer Identifikation bestärken. Einzuschätzen, inwieweit möglicherweise rechtsextreme Motive bei der Tat eine Rolle gespielt haben, sei aber „an dieser Stelle unseriös“.
Gleichwohl sei aus der Forschung bekannt, „dass so einer umfassend scheinenden Identifikation mit dem Nationalsozialismus meist biografisch begründete und intrinsische Motive zugrunde liegen“, sagt Sigl. Das Männlichkeitsideal der SS etwa stehe für die Verherrlichung einer soldatischen Männlichkeit, welche rechtsextreme Bewegungen nach 1945 weiterhin idealisiert hätten. Die eigene männerbündische Überhöhung sei zugleich hochgradig antifeministisch ausgerichtet.
Bedrohtes Männlichkeitsideal
„Frauen haben gemäß dieser Geschlechterstereotype ihren Platz als fürsorgende Hausfrau und Mutter an der Seite des kämpfenden Mannes. Spätestens, wenn sie diesen Platz verlassen, werden sie zur Bedrohung des Männlichkeitsideals und des Männerbundes“, erklärt Sigl.
Nach den Morden stellte sich F. in Hamburg der Polizei, weil er Angst hatte, in die JVA Neumünster zu kommen. In der ersten Vernehmung soll er die Morde gestanden haben, sagte aus, dass er eine „Klärung“ habe erreichen wollen, und räumte dabei auch ein, dass eine Klärung mit einer Waffe in der Hand unsinnig ist. Mit einem GPS-Tracker hatte er seine Ehefrau verfolgt, die die Scheidung wollte. Hanna F. hatte mit den gemeinsamen Kindern – auch wegen Gewalt – Distanz gesucht.
„Der Mord an Hanna F. ist ein Femizid“, betont Sigl. Die Frau habe sich dem Einflussbereich ihres Ehemannes entzogen, was dieser als Machtverlust erlebt habe. Eine rechte Gesinnung könne eine solche Haltung triggern. Der Blick müsse demnach stärker auf das Männlichkeits-Verständnis der Täter gelenkt werden, fordert Sigl. Denn für diese gelte: „Der größte Machtgewinn ist es, über Leben und Tod bestimmen zu können“.
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