Femizid-Mahnmal in Osnabrück: Ein Ort der Empörung
Die Künstlerin und Aktivistin Irène Mélix hat ein Mahnmal für Opfer von Femiziden geschaffen. Der Ort ist mit Bedacht gewählt.
Sie steht in einem viel besuchten Park, an einer viel befahrenen Straße; Zehntausende kommen täglich hier vorbei. Das ist gut so, denn was die Dresdner Aktions-Künstlerin Irène Mélix mit ihrer dreiteiligen Skulptur aus rostigem, wetterfestem Baustahl zu sagen hat, braucht viel Gehör: Sie ist ein Mahnmal für Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt, für Opfer von Femiziden.
Die drei Hände verweisen auf das „Signal for Help“-Zeichen, das die Canadian Women’s Foundation zu Zeiten der Corona-Pandemie initiiert hatte und das heute weltweit in Gebrauch ist. Im Grunde sind sie eine einzige Hand, in einer Abfolge von drei Bewegungen. Wer diese Gesten sieht, weiß: Hier ist ein Mensch in Not. Sie zu kennen, hat schon Leben gerettet. Mélix inszeniert die Skulptur als feministischen Kampfruf, als Kritik an gesellschaftlichen Tabus. Heute wird das Mahnmal eingeweiht.
Mélix, die sich nicht zuletzt durch linke, antifaschistische Themen profiliert hat, versteht ihr „Signal“ als „politische Kunstäußerung“. „Rhetorisch wird das Thema vielfach noch immer weggedrückt, man verschließt vor der patriarchalen Unterdrückung die Augen“, sagt sie der taz. „Das Problem spielt sich ja oft im Privaten ab. Viele denken daher, es sei ein privates Problem, was natürlich nicht stimmt.“
Infotafel mit Notfallnummern
Wichtig ist Mélix, dass ihre Skulptur an einem Durchgangsort steht, an einem „Ort der alltäglichen Wege“. Und obwohl es manchmal gut ist, wenn Kunst sich nicht zu erklären versucht, ist hier sehr bewusst eine Erläuterungstafel installiert, mit Notfalltelefonnummern.
Eine „klare und zugängliche Form“, eine „gewisse Verständlichkeit“ sei zwingend, hatte Mélix in ihrem Konzeptentwurf geschrieben. Ein „abstraktes, dekoratives Element, das sich einreiht in andere Werke der Kunst im öffentlichen Raum“ komme für sie nicht in Frage. Ihre Idee hat sich in der Jury des städtischen Gleichstellungsbüros gegen Entwürfe von Dana Lorenz, Katrin Lazaruk, Christine Vennemann und Therese Dietrich durchgesetzt.
Kein eigener Straftatbestand sind Femizide in Deutschland – anders als in anderen Ländern wie etwa Mexiko. Hier werden sie als herkömmliche Tötungsdelikte behandelt. Die Bundesregierung plant nicht, dies zu ändern.
Belastbare Zahlen gibt es deshalb kaum. Internationale Befunde lassen laut Bundeszentrale für Politische Bildung vermuten, dass ein Großteil der Femizide auch in Deutschland in Partnerschaften verübt wird. Das Bundeskriminalamt verzeichnete 2022 126.349 Gewalttaten von Männern gegen ihre Partnerinnen. 0,2 Prozent davon waren Mord- und Totschlagdelikte. Das entspricht etwa 250 Femiziden in Deutschland. Die Dunkelziffer ist laut Expert*innen allerdings hoch.
„Die Fallzahlen von geschlechtsspezifischer Gewalt und Femiziden sind deutschlandweit konstant hoch“, beschreibt Osnabrücks Gleichstellungsbeauftragte Patricia Heller der taz die Motivation, das Mahnmal in Auftrag zu geben. 2023 habe es „vermehrt Fälle mit hoher Gewaltintensität in und um Osnabrück“ gegeben, auch Femizide und Vergewaltigungen im öffentlichen Raum. „Es kam der Gedanke auf, ein für die Stadtgesellschaft sichtbares Zeichen zu setzen.“ Gewalt gegen Frauen, Mädchen und queere Personen sei „strukturell bedingt und das Ergebnis ungleicher Machtverhältnisse“, kein Einzelfall.
„Die Fachberatungsstellen und Schutzeinrichtungen arbeiten am Rande ihrer Kapazitäten“, beschreibt Heller die Situation in Osnabrück. „Nicht selten müssen Hilfesuchende abgewiesen werden.“ Die Dunkelziffer bei geschlechtsspezifischer Gewalt sei hoch. Es gelte, Rollenbilder zu reflektieren, aufzubrechen.
Das Mahnmal trage dazu bei, indem es geschlechtsspezifische Gewalt „in der Mitte unserer Gesellschaft“ verorte: „Wenn wir nicht endlich in der Breite wahrnehmen und akzeptieren, dass diese Gewalt stattfindet, und zwar unabhängig von Einkommen, Herkunft, Weltanschauung oder Alter, können wir uns auch kaum dagegen positionieren und sie bekämpfen.“ Mit dem Mahnmal entstehe ein Ort der Empörung, des Gedenkens, ein Ort mit Bildungsauftrag.
Besonders positiv findet Heller an Mélix’ Idee, dass keine gewaltbetroffenen Personen verkörpert und damit zu Opfern stilisiert werden: „Die Gefahr einer Retraumatisierung von (zufällig) vorübergehenden Personen wird dadurch deutlich verringert.“ Auch habe die Skulptur einen „sehr aktivierenden Charakter“, setze ein „starkes Zeichen für gesamtgesellschaftliche Solidarität“. Es lade aktivistische Gruppen ein, es für Veranstaltungen und Kundgebungen zu nutzen – Plakate haften gut auf seiner magnetischen Oberfläche.
Mélix, ebenso sehr Aktivistin wie Künstlerin, arbeitet nicht zum ersten Mal in Osnabrück. Als die Kunsthalle 2022 das Jahresthema „Romantik“ ausrief, hat sie das Vermittlungsprojekt „diamond splinters – osna’s queerstory“ beigetragen, mit einem Stadtspaziergang zu queeren Geschichten und Orten.
Nicht immer hat sich Osnabrück mit Mahnmalen dieser Art leicht getan. Im Herbst 1994 wurde in einem anderen Park am Wallring der Stadt Peter Hamel getötet, als er zwei Männer gegen einen homophoben Angriff verteidigen wollte. Bis ein Gedenkort für ihn eingeweiht wurde, finanziert durch Crowdfunding, dauerte es 28 Jahre.
Einweihung, 24. Januar 2024, 15 Uhr, Willy-Brandt-Platz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen