Feministische Weinprinzessin: Weg vom hübschen Maskottchen
Unser Kolumnist fand die Tradition der weiblichen Wein-Repräsentation bis vor Kurzem fragwürdig. Doch jetzt hat sich etwas verändert.
W ie sich die Perspektive ändert, wenn man mal zwei Jahre aus der Stadt raus ist. Zum Beispiel Frauen mit Krönchen. Lebt man in Berlin, begegnet man ihnen am ehesten bei der Grünen Woche. Die Messe ist seit der Jahrtausendwende zum Stelldichein Dutzender Gurken-, Spargel-, Wurst- und Wasweißichnoch-Königinnen geworden. Ich habe diese Krönungen in der deutschen Lebensmittelwirtschaft lange belächelt und als überholtes Überbleibsel aus den patriarchalischen Zeiten des Wirtschaftswunders angesehen. Bis ich von einem etwas anderen Prinzessinnenprojekt erfuhr.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Weinprinzessinnen sind das lokale Äquivalent der Weinköniginnen. Die einen repräsentieren ganze Regionen (Franken, die Ahr, die Mosel), die anderen sind Botschafterinnen ihrer Orte. Wo viel Wein angebaut wird, treten deshalb bei offiziellen Feierlichkeiten Prinzessinnen meist im Pulk auf. In Zeiten schwindender Rebflächen ist es immer eine kleine Sensation, wenn sich ein Weinort entscheidet, neue Hoheiten zu ernennen.
Rayka Grötsch heißt die erste Weinprinzessin von Mainbernheim. Aus dem Ort südlich von Kitzingen war der Anbau fast verschwunden, vor vier Jahren dann hat das junge Weingut Schalk & Rausch eine historische Lage neu bepflanzt.
Eine Weinprinzessin, das war die Idee der Winzerin Ute Rauschenbach, und sie fragte dafür eine Frau, von der man vermuten könnte, dass sie so ein Amt eher ablehnt: Rayka Grötsch ist 30, beruflich fest verankert, promoviert in Lebensmittelwissenschaften, frisch verheiratet. Damit ist sie unter den zahlreichen anderen, deutlich jüngeren Weinprinzessinnen hier in der Gegend eine Exotin.
Feministisches Projekt statt hübsches Maskottchen
Für Grötsch habe das Projekt auch einen feministischen Hintergrund. Sie wolle die Chance nutzen, das Amt so zu prägen, dass man als Weinprinzessin „nicht mehr auf das Äußere reduziert wird“, erzählt sie bei einem Telefonat. Kürzlich habe sie mit 40 anderen Hoheiten eine Schulung besucht, einen zweitägigen Crashkurs über Weingeschichte und -herstellung, Sommelierkunde und Workshops für Rhetorik und Moderation.
Eine gute Vorbereitung auf das, worauf auch sie sich konzentrieren will: den Ort und seinen Wein zu präsentieren. Die Termine dafür suche sie sich ganz genau aus.
Bloß weg vom hübschen Maskottchen. Von den deutschen Weinköniginnen der vergangenen zehn Jahre macht die überwiegende Anzahl weiterhin etwas mit Wein – viele als eigenständige Winzerinnen. Frauen, die es nicht mehr als ihre Aufgabe sehen, Männern das Trinken zu verschönern, sondern als Qualitätsbotschafterinnen auftreten – dem kann ich was abgewinnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid