Phänomen in der Agrarwirtschaft: So viele Königinnen wie Kartoffeln

Japan hat niedliche Fantasiewesen als Maskottchen. Deutschland jede Menge Pseudoadelige. Nun ja.

Gruppenbild

144 Produktköniginnen und -könige auf der Grünen Woche in Berlin Foto: Annette Birkenfeld/Forum Moderne Landwirtschaft e.V

Der Twitteraccount „Mondo Mascots“ hat sich der schillernden Welt der japanischen Maskottchen verschrieben. In Japan gibt es nämlich für so ziemlich alles Maskottchen, für Städte, Flughäfen, Motorenhersteller und Nudeln, für lebenslanges Lernen, das mexikanisch-japanische Austauschprogramm und therapeutische Knochenübungen. Die Maskottchen sind knallbunte, freundliche Comicfiguren, etwa ein fliegendes Schwein mit herzförmigen Nasenlöchern, ein Küken im Sumoringer-Dress oder ein Schloss mit einem Rettungsring.

In Deutschland sind derartige anthropomorphe Wesen jenseits von Sportveranstaltungen eine große Ausnahme. Doch wir haben unsere eigene Variante: die Produktkönigin. Die ist aus Fleisch und Blut und durch und durch menschlich, ein Zwiegeschöpf aus regionalem Brauchtum und Absatzwirtschaft, das mit Trachtenkleid und Diadem ein Lebensmittel sowie einen Landstrich repräsentiert.

Angefangen hat das 1931 mit der Krönung der ersten Weinkönigin, inzwischen ergänzt durch mehr als ein Dutzend regionaler Weinmajestäten. Es folgten Bier- und Milch-, Blumen- und Obstköniginnen, und inzwischen herrscht eine fröhliche Kleinstaaterei wie zu Zeiten des Heiligen Römischen Reichs. So gibt es etwa eine Meerrettichkönigin (Theresa I.), eine Wurzelkönigin (Luisa), es gibt Spargel-, Mehl-, Kraut-, Heidekartoffel- und Pellkartoffelköniginnen, in Thüringen findet sich ein Olitätenkönigspaar und im Saarland gar ein Linsenkönig (Matthias I.)

Manche haben sogar ein kleines Gefolge, so bringt die Prenzlauer Schwanenkönigin noch eine Prinzessin und eine Hofdame mit. In Merzig gibt es eine Viezkönigin, für den lokalen Apfelwein Viez. Ob ihre beiden Viezprinzessinnen automatisch auch Vizeviezköniginnen sind, ist nicht bekannt.

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Im Spreewald wiederum war 2018 die Verzweiflung groß: Niemand wollte Gurkenkönigin werden! Immer noch wird ein Königspaar per Online-Anzeige gesucht – der Spreewaldverein bietet u. a. „gurkenroyale Kontakte“ und „unvergessliche Erlebnisse + Aufwandsentschädigungen“. Gurkenköniginnen gibt es allerdings auch in Biblis (Leonie-Marie I.) und Gommern (Caterina I.).

Einmal in Amt und Würden tingeln die Produktmajestäten von Volksfest zu Volksfest, von Standortmarketingevent zu Agrarmesse. Und einmal im Jahr kommen sie zu einer großen Parade auf der Grünen Woche zusammen – 2023 waren 144 von ihnen anwesend und ein Blick aufs Gruppenfoto zeigt: sehr weiß, blond und weiblich ist das Feld, mit wenigen Ausnahmen, wie dem Schwulen Lüneburger Heidekönig Ben I. Aber so ist es halt – jedes Land hat die Maskottchen, die es verdient.

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Jahrgang 1980, lebt in Berlin und ist Redakteur der Wochentaz und dort vor allem für die Genussseite zuständig. Schreibt Kolumnen, Rezensionen und Alltagsbeobachtungen im Feld zwischen Popkultur, Trends, Internet, Berlin, Sport, Essen und Tieren.

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