Feiertage im Gazastreifen: „Ein trauriges Opferfest“
Zum islamischen Opferfest haben dieses Jahr nur wenige Menschen ein Opfer dargebracht. Das Vieh sei zu teuer geworden, schreibt unser Autor in Gaza.
E sam Hani Hajjaj (27) kommt aus Gaza-Stadt und ist Schriftsteller und Dozent für kreatives Schreiben für Kinder. Nach Kriegsausbruch floh er in den südlichen Gazastreifen nach al-Fuchari.
Das Opferfest hat sich verändert. Früher wachten wir mit den Geräuschen der Kinder auf, die mit den Kälbern und Schafen spielen, bevor sie geschlachtet werden. Am Opferfest schlachten die, die es sich leisten können, ein Tier und verteilen das Fleisch an die Bedürftigen. Es gab immer einen Verwandten, der das Opfer darbrachte, und wir sahen zu, beim Schlachten, beim Zerteilens des Fleisches und dem anschließenden Verpacken und Verteilen an Verwandte und Bedürftige.
Abends traf ich mich mit meinen Freunden zum Grillen, jeder von uns brachte ein Kilo Fleisch mit. An diesem Tag hatten oft viele Menschen ihre Opfer erbracht, jeder Haushalt mehr als ein Kilo Fleisch erhalten. Am Tag nach dem Schlachten versammelten wir uns am Meer, grillten, spielten, sangen und tanzten.
In diesem Jahr fühlen wir uns an Eid al-Adha wie tot. Nur wenige Menschen haben Opfer dargebracht, weil alles so teuer geworden ist. Durch die Bombenangriffe wurden viele der Farmen in Gaza zerstört, sodass nur noch wenige übrig sind. Nur wenige Menschen halten noch Vieh.
Für mich ist es ein trauriges Eid al-Adha. Vor fünf Tagen wurde mir Hepatitis diagnostiziert. Ich bin fünfmal ohnmächtig geworden, habe meinen Appetit und mein Gleichgewicht verloren, meine Augen und mein Körper sind ganz gelb geworden.
Ich habe keinen meiner Verwandten gesehen oder besucht. Seit mehr als fünf Tagen liege ich auf dem Rücken. Etwas essen kann ich kaum. Tue ich es dennoch, muss ich mich übergeben – sogar, wenn ich nur Wasser trinke. Ich konnte nicht einmal meinen Vater begrüßen, ich habe Angst ihn anzustecken, so wie mein Bruder mich angesteckt hat. Viele Menschen in Gaza sind krank – Eid al-Adha zu feiern versuchen sie trotzdem.
Kinder tragen neue Kleidung, doch sie wird von Blut durchtränkt. Freude schlägt in Trauer um. Vor zwei Tagen wurde ein vorläufiges Waffenstillstandsabkommen verkündet, alle jubelten vor Freude. Doch dann passierte nichts, und unsere Hoffnungen wurden enttäuscht. Seit mehr als 240 Tagen sind wir mit dem Tod konfrontiert, verlieren Kinder, Frauen und unsere Seelen. Wie können wir da das Opferfest feiern?
Übersetzung: Lisa Schneider
In der Reihe „Gaza-Tagebuch“ berichten unsere Autor*innen von ihrem Leben im Gazastreifen. Alle Beiträge der Reihe finden Sie hier.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen