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Fehlerhafte FunkzellenabfrageDas Handy als Täter

Wegen eines technischen Fehlers in der Abfrage von Funkzellen müssen in Dänemark Gerichtsurteile überprüft werden. Und zwar mehr als 10.000.

Big brother's watching you – dank Funkzellenabfrage Foto: dpa

Ohne Handy aus dem Haus? Für viele stellt sich diese Frage überhaupt nicht mehr. Das mobile Endgerät halten wir stets fest an unserer Seite. Unser Leben wird bestimmt von Algorithmen, künstlicher Intelligenz und diesen Cookies, zu denen wir immer wieder bereitwillig ja sagen.

Das meiste davon passiert, ohne das wir es bewusst mitbekommen. Wer glaubt, die Digitalisierung sei die Zukunft, der lebt in der Vergangenheit, denn sie ist unsere Gegenwart – und bringt dabei ja auch so viel Schönes mit sich: die Liebsten stets in der Hosentasche dabei haben, googeln statt grübeln, die große Welt im Überblick auf einem kleinen Bildschirm und nie wieder Langeweile dank Netflix und Co (auch wenn ich die Langweile manchmal schmerzlich vermisse).

Auch die Justiz macht sich die Vorteile der digitalen Welt zu Nutze: Per Funkzellenabfrage kann festgestellt werden, wer sich zur Tatzeit in der Nähe des Tatorts befand und ob er somit als Verdächtiger in Frage kommt.

Per Smartphone und ohne eigenes Zutun jetzt auch noch ganz easy die eigene Unschuld beweisen? Einfach klasse diese Technik. Nahezu ohne dass die Öffentlichkeit davon Notiz nimmt – oder auch nur nehmen kann – hat sich die Funkzellenabfrage zu einer viel verwendeten Ermittlungsmethode entwickelt. Unser Handy-Zombie-Dasein spielt den Ermittlern dabei natürlich in die Hände.

Technisches Malheur

Gruselig wird es, wenn durch einen technischen Fehler Unschuldige eines Verbrechens verurteilt werden, das sie nicht begangen haben. Dies könnte in Dänemark passiert sein. Und dabei handelt es sich keineswegs um einen Ausrutscher im System. Seit März kamen über 10.000 Gerichtsurteile zusammen, die möglicherweise auf falschen Daten beruhen und nun überprüft werden müssen.

Dem Justiz-Minister Dänemarks, Nick Haekkerup, ist das – zurecht – ziemlich unangenehm. Denn dieses technische „Malheur“ bringt eine verheerende Konsequenz mit sich. Haekkerup sagte: „Es erschüttert das Vertrauen in das Rechtssystem.“ Bis dieses Vertrauen wieder aufgebaut ist, wird es wohl eine ganze Weile dauern.

In Deutschland wurden im Jahr 2017 bei 474 Funkzellenabfragen allein in Berlin fast 60 Millionen Daten erhoben und gespeichert. Offensichtlich hat der Großteil dieser Menschen keine Straftat begangen und wusste nicht mal, dass seine Daten überwacht und gespeichert wurden.

Überwachung – aber transparent

Berlin entwickelte im November 2018 als erstes deutsches Bundesland ein System, dass der Transparenz in Sachen Funkzellenabfrage dienen soll – zu Gunsten der Überwachten. Wer sich in dem System mit seiner Mobilnummer anmeldet, der bekommt per SMS Bescheid, wenn seine Daten abgerufen wurden – wie transparent dieses sogenannte „Funkzellenabfragen-Transparent-System“ wirklich ist, darüber streiten sich allerdings die Geister.

In Dänemark wird die Funkzellenabfrage für die Zeit der Überprüfung der Urteile sowie des IT-Systems, mindestens aber für zwei Monate auf Eis gelegt. Eine Abschaffung der Funkzellenabfrage wird dagegen nicht in Betracht gezogen. Es wird also weiter gescrollt und getippt werden, während an anderer Stelle abgerufen und überwacht wird. In diesem dänischen Krimi wurde die Technik zum Täter. Vielleicht noch ein Grund mehr, das Smartphone einfach mal zu Hause zu lassen.

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2 Kommentare

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  • Bittebitte. Macht keine Schleichwerbung für Google. Der hat's nu wirklich nicht nötig.

    Es gibt genug Alternativen, die (mit ein wenig Übung -- ja, am Anfang vermisst mensch das kuschelige Gefühl, dass die Suchmaschine "weiss, was man meint") durchaus fast gleichwertig sind. duckduckgo, startpage, searx, ecosia, was weiss ich noch.

  • Ich denke gerade an die andere Seite der Medaille. Wie viele Leute wurden NICHT oder erst später als Täter in Betracht gezogen, weil sie laut Handyortung nicht da waren?