Fehlende Schutzmaßnahmen vor Coronavirus: Seehofer will mehr Erntehelfer
Spargelstecher aus Osteuropa sind oft schlecht vor Corona-Infektionen geschützt. Doch der Innenminister spricht sich für weitere Einreisen aus.
BERLIN taz | Trotz Verletzungen der Regeln gegen Coronainfektionen hat sich Bundesinnenminister Horst Seehofer für weitere Einreisen von ErntehelferInnen aus Osteuropa ausgesprochen. Er stehe einer Verlängerung der Sonderregelungen für Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft „positiv“ gegenüber, sagte der CSU-Politiker am Mittwoch in Berlin. Die Regeln, die die Einreise unter Hygieneauflagen erlauben, sollten zeigen: „Man kann den Gesundheitsschutz verbinden mit wirtschaftlicher Tätigkeit“, so der Minister. „Und im Großen und Ganzen funktioniert das auch gut.“ Das aktuelle Einreisekontingent ist derzeit bis Ende Mai beschränkt.
Wegen der Pandemie hatte das Bundesinnenministerium den normalerweise jährlich 300.000 Saisonkräften die Einreise verboten. Die Behörde begründete die Maßnahme mit der großen Zahl von Personen, die kommen würden, obwohl wegen der Seuche soziale Kontakte reduziert werden sollen. Auf Druck der Branche stimmte das Ministerium später doch der Einreise von insgesamt 80.000 SaisonarbeiterInnen im April und Mai zu, von denen bisher aber nur 28.000 gekommen sind. Ohne die Osteuropäer würden viele Landwirte Geld und einen Teil der Gemüse- und Obsternte verlieren, denn für den Branchen-Mindestlohn von 9,35 Euro brutto pro Stunde lassen sich nur wenige Arbeitskräfte aus dem Inland rekrutieren.
Allerdings wurde mehrfach berichtet, dass der Infektionschutz verletzt wurde. Vor der Abreise in Rumänien mussten Erntehelfer ohne den notwendigen Abstand warten. In den Flugzeugen und Transferbussen saßen sie meist dicht an dicht. Auch bei Transporten zum Feld wurden die Mindestabstände unterschritten. Die Arbeiter wurden in Mehrbettzimmern mit voller Auslastung untergebracht. In Baden-Württemberg starb ein rumänischer Spargelstecher nach einer Coronainfektion.
Den Gesundheitsschutz müssten die Länder kontrollieren, sagte Bundesagrarministerin Julia Klöckner zu der Kritik – obwohl sie selbst gemeinsam mit Seehofer die Regeln beschlossen hatte. Die CDU-Politikerin stellte jetzt die aktuelle Regel zur Diskussion, dass die Erntehelfer per Flugzeug kommen müssen. Die Arbeitskräfte seien immer noch nötig. „In Deutschland liegen wir unter dem Selbstversorgungsgrad, was Obst und Gemüse angeht“, sagte Klöckner. „Im Juni steht unter anderem der Erntestart für die Kirschen an, und um das wichtigste Obst in Deutschland, die Äpfel, im Herbst ernten zu können, sind jetzt wichtige Pflegemaßnahmen nötig.“
Linke: Mehr Verantwortung des Bundes
Die Linkspartei kritisierte, dass Klöckner weiter keinen Korrekturbedarf sehe, obwohl zum Beispiel Gemeinschaftsunterkünfte mit einem erhöhten Gesundheitsrisiko verbunden seien. „Diese Missstände mit Mahnungen an die Betriebe und Hinweise auf die Verantwortung von Ländern und Kommunen zu belassen, ist zu wenig. Wer regelt, muss auch sichern, dass die Regeln eingehalten werden“, teilte Kirsten Tackmann, agrarpolitische Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion, mit.
Leser*innenkommentare
APO Pluto
Saisonarbeitskräfte?
Sagen wir doch lieber die doppelt und dreifach Ausgebeuteten, das beschreibt die Situation doch viel besser.
Bernhard Hellweg
Wer erntet eigentlich das Bio-Gemüse? Oder liefern das die Spanier?
Eibi
Ach Herr Maurin. Was ein schaler Aufguss von bereits Gesagtem bzw Geschriebenen in der üblichen verkürzenden und negativen Sichtweise.
Ist ihnen und der Linken eigentlich bekannt, dass der Bund diese Regelungskompetenz gar nicht einfach an sich ziehen kann? Ländersache ist Ländersache, das sollte jeder in den letzten Wochen gelernt haben.