piwik no script img

Fehlende Inhalte, Fußball und DeltaWie geht es uns, Herr Küppersbusch?

Deutschland zieht seine Truppen aus Afghanistan ab und Joachim Löw hört auf. Eine Woche voller Abschiede und Vorwürfe.

Ende Ära geht zu Ende: Joachim Löw hört als Bundestrainer auf Foto: reuters

t az: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?

Friedrich Küppersbusch: Paranoia-Schorsch hat Angst vor der „Tagesschau“.

Und was wird in dieser besser?

Guten Abend, das Wetter.

Ein österreichischer Medienwissenschaftler will im Buch von Annalena Baerbock Plagiate entdeckt haben. Die Grünen beklagen eine Rufmordkampagne gegen ihre Kanzlerkandidatin. Reden wir in diesem Wahlkampf irgendwann auch einmal über Inhalte?

„Ad rem“, sagt Schopenhauer; zur Sache! „Ad hominem“, gegen die Person, macht aber mehr Spaß. Das kann man auf der Website des „Plagiatsermittlers“ Stefan Weber ordern, von „kostenlosem Rückruf“ bis „Stundenhonorar 350 € für Lebenslauf-Screenings“. Weber hat eine österreichische Ministerin erlegt und Bundestagspräsident Lammert angefräst. Baerbock erlebt, dass man nur hochgeschrieben wird, damit es nachher schöner plumpst. Wer da überrascht guckt, ist neu im Geschäft. Noch heute ist Baron Guttenberg auch den Grünen ein schmieriger Schwindler, wo er – ad rem – die Wehrpflicht fräste, eine desorganisierte Berufsarmee in alle Welt schickte und mit Kriegsrhetorik verzierte. Wer nicht ad hominem holzen will, kann mit gutem ad rem vorangehen.

Ach ja! Am 1. Juli verstrichen 10 Jahre, seitdem die Wehrpflicht ausgesetzt wurde. Vermissen Sie sie?

Ich vermisse seinen hellsichtigen Blinddarm, den Zivildienst. 2,7 Mio. junge Männer leisteten für ein modernes Männerbild mehr als jede Joboffensive der Arbeitsämter. Allein der „Klebeeffekt“ – Jungs blieben in Berufen, die sie im Dienst lernten – schredderte sprechende Dummheiten wie „Krankenschwester“ und „Kindergärtnerin“. Das inverse Fräuleinwunder der alten Bundesrepublik.

Die Aussetzung der Kriegsdienstverweigerung ist eine zivilisatorische Selbstverstümmelung. Möchte jemand hier mal „Pflegenotstand“ dazwischenrufen? – Den Rest der Empörung kann man an die Union und Ministerin Kramp-Karrenbauer delegieren: „Bundesfreiwilligendienst“, „Dein Jahr für Deutschland“, „Freiwilliges Soziales Jahr“ – niedliche Bastelarbeiten am Unwillen gerade konservativer Zielgruppen, und am nach rechts verzerrten Recruitment einer Berufsarmee. Selten, dass sich fast alle einig sind, einen schweren gesellschaftlichen Fehler erbittert durchzuziehen.

Knapp 20 Jahre nach Beginn des Afghanistaneinsatzes sind die letzten deutschen Sol­da­t:in­­nen zurückgekehrt. Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer sieht den Einsatz als vollen Erfolg. War er das?

Manche Historiker erspüren Nachbeben des Dreißigjährigen Krieges bis ins Heute. Deutscher Föderalismus, die Kata­strophe des 20. Jahrhunderts, ein zerbrechliches Europa. Das ist gut 350 Jahre her. Afghanistan ist nun im 35-jährigen Krieg, Fragen Sie mich 2371 noch mal. Bis dahin, provisorisch: nein.

Deutschland ist raus bei der EM – und damit ist auch Jogi Löw nach 15 Jahren als Bundestrainer Geschichte. Haben Sie ein paar nette Worte zum Abschied für den 61-Jährigen?

Ich nehme ihm nur die 20 Minuten in der zweiten Halbzeit gegen Portugal übel. Es wäre leichter zu verschmerzen, wenn man dort nicht gesehen hätte, dass sie es besser können. Löw fing, mit Klinsmann, als Erneuerer, als große Erfrischung an. Die Gabe, sich dann nach Erfolgen noch mal neu zu erfinden, blieb ihm verwehrt. Für das traditionelle Feuilleton-Spiel „Wie die Kanzler, so die Trainer“: Etwas zu Kohl, sacht untermerkelt.

Laut den schottischen Gesundheitsbehörden haben sich beim Vorrundenspiel am 18. Juni gegen England fast 2.000 schottische Fans mit der Deltavariante des Coronavirus angesteckt. Knapp 400 von ihnen waren im Wembley-Stadion, andere beim Public View­ing in London. Blöd gelaufen oder von der Uefa eh einkalkuliert?

Späte Genugtuung für römische Gladiatoren. Beim klassischen „panem et circenses“ gingen die Protagonisten drauf, nicht die Zuschauer.

Nachdem junge Menschen in Hamburg im öffentlichen Raum gefeiert haben, hat der Senat ein Alkoholverbot an bestimmten Orten wie dem Stadtpark verhängt. Wird Feiern nun zum Privileg der Reichen, die sich teure Gastronomie leisten können?

Vertrauen wir der jungen Generation, dass sie eher eine Party­revolte startet, als mit Quertrinkern zu fraternisieren. Anders wäre schlecht.

Im Westen Kanadas gab es Temperaturen bis knapp 50 Grad. Was lernen wir?

Dass der Westen Kanadas eine gute Wohngegend für Klimaleugner ist.

Und was machen die Borussen?

Drei Dortmunder – Sancho, Bellingham, Delaney – aufm Platz beim Halbfinale Dänemark – England. Guck ich.

Fragen: Carolina Schwarz und Volkan Ağar

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Friedrich Küppersbusch
Jahrgang: gut. Deutscher Journalist, Autor und Fernsehproduzent. Seit 2003 schreibt Friedrich Küppersbusch die wöchentliche Interview-Kolumne der taz „Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?".
Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Die Moderation hier ist so offen für jedwede Meinung, dass es mich sehr wundert, wie man hier gegen die Netiquette verstoßen kann.



    Da mus man sich schon sehr daneben benehmen.



    Vorbildlich finde ich, dass die Moderation hier auch überspitzte, zugespitzte, satirische, provokative Meinungen gestattet, wenn die Form grundsätzlich gewahrt wird.



    Und noch etwas, das mir sehr positiv auffällt: selbst Kritik an Autorinnen und Autoren der taz wird gestattet.



    Das ist einzigartig in der Printmedien-Forenlandschaft !



    Das geht nicht bei der Zeit, nicht bei der Welt, nicht bei Spiegel und Focus, nicht bei diversen regionalen Zeitungen online.



    Hätte ich so nicht gedacht, nehme es aber positiv zur Kenntnis! Danke dafür.

  • Kommentar entfernt. Bitte halten Sie sich an unsere Netiquette.

    Die Moderation

  • sehr bemüht

  • Danke für die Antworten mit den Gladiatoren und den Klimaleugnern. Knackig und trocken. Made my evening.