Fantum mit Migrationsgeschichte: Schland und icke
Weder ein schwarzrotgoldener Rausch noch bloßes Antideutschtum: Irgendeine Haltung aber muss unser Kolumnist bei der laufenden EM schon noch finden.
S chland und icke, das ist ja echt so eine Sache. Wie Millionen anderer Menschen mit Migrationsgeschichte konnte ich jahrzehntelang nicht zum deutschen Team halten. Mehr noch, ich wollte, dass die Deutschen möglichst schnell raus sind.
Im Sommer 1998 schossen die Kroaten im Viertelfinale Deutschland mit 3:0 Toren aus dem WM-Turnier. Ich schaute mir das Spiel bei Freunden an. Auf dem Heimweg fuhr ich mit dem Bus den Ku’damm entlang. Als die ersten Kroatien-Fans jubelnd und hupend im Autokorso an uns vorbeirasten, empörte sich eine Frau neben mir wütend in Richtung ihres ähnlich rotangelaufenen Ehemanns: „Abschieben! Alle abschieben!“ Ohne jede Ironie, ohne auch nur einen Ansatz von Grinsen im Gesicht. Es war ihr purer, winselnder Ernst.
Ich spürte Genugtuung. Schon damals waren Abschiebungen die Allzweckwaffe im Mikrokosmos deutscher Kleinkaros.
Als dann auch noch Frankreich den Titel holte, jene diverse Mannschaft um Zinédine Zidane, wuchs die Genugtuung ins Unermessliche. Ein bunter Haufen, der in Frankreich jedem Anhänger der damals noch als Front National bekannten Partei den Blutdruck direkt unter die Schädeldecke schießen ließ.
Auch im Deutschland Helmut Kohls, inmitten der Baseballschlägerjahre, war der WM-Titel der black, blanc, beur eine ähnlich große Wohltat. Was sollte man auch auf Seiten einer Mannschaft stehen, die nichts davon verkörperte, was im eigenen Alltagsleben längst Realität war: bunte Gesellschaften und neue „deutsche Tugenden“, die mehr waren als Disziplin, Ordnung, Fleiß und Kraftmeierei.
Zaghaft und voller Skepsis
Meine Haltung änderte sich zaghaft und voller Skepsis zur Heim-WM 2006. Immerhin repräsentierten damals Spieler wie Podolski, Asamoah, Klose und Odonkor ein bisschen mehr meinen persönlichen deutschen Alltag. 2008 dann wurde es während der EM in Österreich und der Schweiz mit Spielern wie Gómez, Trochowksi und Kurányi noch symbolträchtiger. 2010, zur Vuvuzela-WM in Südafrika, war es mit einem Mal so repräsentativ wie nie zuvor: Özil, Hummels, Cacau, Khedira, Neuer und Kroos, Aogo, Taşçı, Marin und der restliche Kader standen für ein Deutschland der Gegenwart, ohne den bleiernen Mief der alten Zeit. 2014 folgte schließlich und konsequenterweise der WM-Titel in Brasilien.
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Je mehr das deutsche Team meine Lebensrealität abbildete, desto stärker wurde jedoch eine andere Entwicklung: Im Sommer 2006 gab es rund um das Turnier internationale Warnungen vor deutschen No-Go-Areas für Nichtweiße. 2010, als Deutschland sich gerade erst mit seinem Zauberfußball neu erfunden hatte, erschien keine zwei Monate später Thilo Sarrazins rassistischer Bestseller „Deutschland schafft sich ab“. Nach dem WM-Titel 2014 marschierte Pegida mit seinen regionalen Ablegern durch Ostdeutschland.
Keine Ahnung, was diesmal kommen wird. Letztlich ist ja schon alles angerichtet: ein rechtsradikaler Zeitgeist, Mauerbrand statt Brandmauer, das lechzende Wetteifern der etablierten Parteien um die beste Steigbügelhalterei … Inzwischen hat der Rassismus ja auch noch seinen eigenen, massenkompatiblen Soundtrack, jüngst auf Sylt von Rich Kids der gärenden Mitte uraufgeführt.
Tja, und nun die laufende Europameisterschaft. Wie weit auch immer die Jungs um Gündoğan und Füllkrug kommen mögen, ich bin wieder dabei. Auf einen schwarzrotgoldenen Rausch habe ich allerdings keine Lust, auf bloßes Antideutschtum jedoch auch nicht. Irgendwo dazwischen werde ich wohl oder übel irgendwann mal meine Haltung finden. Ich befürchte nur, Almanya wird mir die Suche nicht versüßen und mein Standpunkt wird flexibler bleiben müssen als es die beste Fünfer-Abwehrkette je sein könnte.
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