Fantasydrama mit Tilda Swinton: Tausendundeine Geschichte
In „Three Thousand Years of Longing“ hilft ein Dschinn einer Wissenschaftlerin mit seinem Geschichtenreichtum weiter. Stark sind die Zwischentöne.
Dem Mythos haftet etwas Anrüchiges an. Das Ungreifbare, das ihm Wesensmerkmal ist, steht im Konflikt mit unserem rationalistischen Zeitgeist, der in erster Linie enträtseln will. Das Fantastische, das dem Mythos innewohnt, ist ihm suspekt. Ganz so als würde er im Wettstreit mit der Wissenschaft um die Deutungshoheit der Wahrheit stehen.Dabei ist, wie Alithea während eines Vortrags in Istanbul ausführt, die Wissenschaft an die Stelle des Mythos getreten. Wo sich antike Zivilisationen ein Gewirr aus Gottheiten erschufen, um Phänomene zu erklären, die sich ihrem Verständnis entzogen, hat die Forschung übernommen, hat sie Poseidon, Thanatos und Chaos abgelöst.
„Three Thousand Years of Longing“. Regie & Drehbuch: George Miller. Mit Tilda Swinton, Idris Elba u. a. USA/Australien 2022, 108 Min.
Verdrängt jedoch nicht gänzlich: Figuren wie Thor spielen noch eine Rolle, etwa als Superhelden in Comics und ihren Adaptionen. Man möchte ergänzen: In rationalisierter Form findet das Mythologische also noch Verwendung, etwa wenn sein Reiz finanziellen Erfolg verspricht. Obwohl Alithea stolz auf ihr Wissen und Dasein als Verstandesmensch ist, schildert sie diese Entwicklung mit einer gewissen Wehmut. Als Narratologin beschäftigt sie sich professionell mit den Geschichten, die sich die Menschheit seit jeher erzählt. Mehr noch: mit den Gründen, weswegen sie das tut und welche Auswirkungen sie haben.
„Three Thousand Years of Longing“, der neue Film von „Mad Max“-Regisseur George Miller, ist selbst ein bildgewaltiger Lobgesang auf das Erzählen von Geschichten, ihre erhebende Kraft und ihr sinnstiftendes Potenzial. Dazu taucht das Fantasy-Drama in eine wundersame Episode im Leben seiner Protagonistin ein.
Ein „wahres“ Märchen
Dass Alithea von Tilda Swinton verkörpert wird, ist für den Film von enormem Vorteil. Man kann sich schwer eine andere Schauspielerin vorstellen, die die karge Strenge ihrer Rolle – blass, roter Bob, markante Brille – mit einer einnehmend feenhaften Ausstrahlung verbinden könnte. „Meine Geschichte ist wahr“, konstatiert sie zu Beginn. Sie werde sie jedoch wie ein Märchen erzählen, weil ihr ohnehin niemand Glauben schenken werde, fügt sie hinzu.
Sie beginnt auf einem türkischen Bazar. Weil sie daran glaubt, dass es eine „interessante Geschichte“ hat, wählt Alithea dort ausgerechnet ein verrußtes Fläschchen als Andenken aus. Und tatsächlich: Als sie das Gefäß in ihrem Hotelzimmer zu reinigen versucht, entsteigt ihm, begleitet von einer rot-bläulichen Farbwolke, ein Dschinn (Idris Elba) mit spitzen Ohren und faunartig-behaarten Beinen.
Über die titelgebenden dreitausend Jahre immer wieder in ein gläsernes Gefängnis gesperrt, sehnt sich dieser nun nach nichts mehr, als seiner Befreierin drei Wünsche zu erfüllen, um im Gegenzug seine Freiheit zu erlangen. Mit Alithea sieht er sich jedoch keiner leicht zu erweichenden Meisterin gegenüber.
Die Wünsche der Frauen
Die in der Erzählforschung geschulte Wissenschaftlerin weiß schließlich, dass jede Geschichte, die von Wünschen handelt, ein Lehrstück ist, das für die Wünschenden stets schlecht ausgeht. Und nicht nur das: Sie ist keineswegs an einer Veränderung, die ihr sorgsam kuratiertes Leben empfindlich stören könnte, interessiert.
An den Geschichten, die der Dschinn zu erzählen hat, ist sie es dafür umso mehr. Damit verlässt „Three Thousand Years of Longing“ seinen kammerspielartigen Rahmen und taucht in die opulent inszenierte Vergangenheit des Dschinns ein.
Er berichtet von seiner Zeit als Geliebter der Königin von Saba (Aamito Lagum), vom Dienstmädchen Gulten (Ece Yüksel), die ihre Wünsche nutzte, um die verhängnisvolle Aufmerksamkeit eines osmanischen Prinzen (Matteo Bocelli) zu erlangen. Und schließlich auch von Zefir (Burcu Gölgedar), die durch ihn Weisheit erlangen wollte und an der Unmöglichkeit, als Frau des 19. Jahrhunderts etwas anderes als Gattin zu sein, verzweifelte.
Der oscarprämierte Kameramann John Seale, der schon für „Mad Max: Fury Road“ mit Miller zusammenarbeitete, findet für die Rückblenden traum- bis rauschhafte Bilder. Dabei ergötzt sich die Inszenierung allerdings nicht selten an orientalistischen Klischees, gerade wenn sie mit besonderem Interesse die Dekadenz am Hofe und ihre Haremskultur beleuchtet. Die Stärke des Films liegt ohnehin weniger im lauten Spektakel, das er bisweilen veranstaltet, als in den leisen Zwischentönen, den Zwiegesprächen zwischen Alithea und ihrem plötzlichen Gegenüber.
Die Angst des Menschen
Der Dschinn muss sie nach London begleiten, als ihr nach seinen Erzählungen doch noch ein Wunsch einfällt. Die dort aufkeimende Begeisterung des Dschinns für die Errungenschaften der Menschen weiß sie zu zügeln: Schließlich handele es sich vorrangig um Ingenieurskunst, technische Wunder. Auf anderen Feldern trete die Menschheit immer noch auf der Stelle, sieht sich einem großen Nichts gegenüber, verliert sich regelmäßig in Angst und stürzt sich damit selbst immer wieder ins Chaos.
Was George Miller, der das Drehbuch gemeinsam mit Tochter Augusta Gore verfasste und dafür auf eine Kurzgeschichte von A. S. Byatt zurückgriff, unausgesprochen lässt, aber andeutet: Geschichten sind es, die angesichts dieses von der Wissenschaft weiterhin nicht zu erschließenden Nichts einen Halt, eine Ordnung, einen Sinn geben können. Und seien es nur die Geschichten, die wir uns selbst ständig über unser eigenes Leben erzählen.
Ob Alithea, deren Name aus dem Griechischen übersetzt übrigens so viel wie „wahrhaftig“ bedeutet, tatsächlich ihrem Dschinn begegnet, oder ob sie ihrem eigenen Geist erlaubt hat, zu wandern, bleibt offen. Für einen Film, der mit unbeirrbarer Leidenschaft für das Mythische und Sagenhafte eintritt, ist das nur konsequent.
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