Fananwalt über vermeintliche Gewalttäter: „Das ist abenteuerlich“
95 Fußball-Fans von Werder Bremen gelten derzeit als gewalttätig. Fan-Anwalt Torsten Kellermann kritisiert die Polizeidatei „Gewalttäter Sport“ als zu restriktiv.
taz: Herr Kellermann, was muss ich wenigstens tun, um für die Polizei als Gewalttäter Sport zu gelten?
Torsten Kellermann: Sie müssen irgendwie in Kontakt mit der Polizei geraten. Für eine Speicherung in der „Datei Gewalttäter Sport“ reicht es, wenn ein Beamter sich am Rande eines Fußballspiels veranlasst fühlt, Ihre Personalien zu kontrollieren oder Sie sich in einer Gruppe mit verdächtigen Personen befinden. Auch als Unschuldiger können Sie als Gewalttäter gelten, wenn Sie am falschen Ort sind.
Sie sind Strafrechtler und haben bereits viele Fans vor Gericht vertreten. Was ist Ihnen dabei alles untergekommen?
Torsten Kellermann, 46, ist Fachanwalt für Strafrecht, vertrat bereits viele Fußballfans und selbst Werder-Fan.
Es gab mal den Fall, dass eine Gruppe Fußballfans mit einem Reisebus auf einer Autobahnraststätte Halt machte. Irgendjemand beschmierte mit einem Edding das Toilettenhäuschen – die Polizei nahm sämtliche Personalien von allen auf und leitete gegen alle 27 ein Verfahren wegen Sachbeschädigung ein. Das wurde eingestellt, aber alle waren danach als Gewalttäter Sport gespeichert.
Gelten Bürgerrechte nicht für Fußballfans?
Die Eingriffsschwelle ist extrem niedrig bei gravierenden Konsequenzen: Gegen diese Personen, deren einziges Vergehen es war, mit einem Reisebus auf einer Autobahnraststätte zu sein, könnte das Betreten anderer Städte bei Fußballspielen verboten werden. Im Polizei- und Gefahrenabwehrrecht reicht schon ein so gerechtfertigter Verdacht.
Womit müssen die Betroffenen noch rechnen?
Schlimmstenfalls können Personen an der Ausreise gehindert werden. Es gab etwa eine Person, die für ein Spiel in die Niederlande reisen wollte, die keine Straftat begangen hat, aber aufgrund eines Eintrags nicht ausreisen durfte. Das ein Verwaltungsgericht nachträglich die Rechtswidrigkeit festgestellt hatte, half ihm auch nicht weiter. Und bei privaten Ausreisen schauen Grenzbeamte zumindest besonders genau hin.
95 Werder-Fans sind derzeit in der „Datei Gewalttäter Sport“ gespeichert. Insgesamt veranlasste Bremens Polizei 144 Eintragungen auch auswärtiger Fans – 24 waren es von 2013 bis 2017, 121 waren es 2018, was an der Schlägerei zwischen linken Ultras und rechten Hools im vergangenen Dezember liegt. Die Zahlen gehen aus einer
hervor.In der bundesweiten Datei sind rund 10.000 Personen erfasst. Problematisch dabei: Es sind auch Fans eingetragen, ohne dass diese jemals verurteilt worden wären – etwa, weil ihre Personalien bei einem Fußballspiel aufgenommen oder Verfahren eingeleitet wurden.
Björn Fecker, Grünen-Abgeordneter der Bürgerschaft, kritisiert die Speicherung ohne Nachweis von Straftaten als „rechtsstaatlich bedenklich“ und fordert dann eine Löschung oder zumindest eine Ergänzung, wenn Verfahren eingestellt wurden. Für die Innenbehörde ist das kein Löschungsgrund.
In Bremen benachrichtigt die Polizei seit 2013 gespeicherte Personen. In fast allen anderen Ländern ist das nicht üblich.
Derzeit sind 95 Werder-Fans auf der Liste, bundesweit sind es rund 10.000. Wie viele davon wurden nach Ihrer Einschätzung wirklich für Straftaten verurteilt?
Mich würde es sehr wundern, wenn es mehr als zehn Prozent wären. Für eine Anklage muss ein hinreichender Tatverdacht bestehen. Den gibt es aber bei gruppendynamischen Delikten wie Landfriedensbruch selten. Nehmen Sie etwa die Auseinandersetzung vor der Schänke in Bremen vergangenen Dezember nach dem Mainz-Spiel: Da wirft die Polizei 70 bis 80 Personen vor, Landfriedensbruch begangen zu haben – sie alle gelten nun als Gewalttäter.
Dort gab es allerdings doch wirklich Gewalt.
Aber doch nicht von 80 Leuten!
Vertreten Sie Ultras, gegen die ermittelt wird?
Ja. Für die Einleitung von Verfahren reichte es dort, Teil des Fanmarsches zu sein, der wie nach jedem Spiel durch das Viertel zog. Dort wird Leuten vorgeworfen, Landfriedensbruch begangen zu haben, nur weil sie – im Winter wohlgemerkt – einen Schal vor dem Gesicht trugen und sich durch die „Vermummung“ angeblich mit Gewalttätern solidarisiert haben sollen. Das ist abstrus und abenteuerlich.
Was müsste sich ändern?
Man darf durch eine Personalienfeststellung oder aus vagen Verdachtsgründen nicht in einer Datei landen, die „Gewalttäter Sport“ heißt – ohne Chancen, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Für einen Eintrag bräuchte man einen dringenden Tatverdacht. In der Praxis reicht oft schon ein Anfangsverdacht aus. Mindestens müsste die Datei differenzierter sein bezüglich der Verdachtsgrade. Auch das Wort Gewalt impliziert viel. Man wird aber auch schon für Beleidigungen oder Sachbeschädigungen gespeichert. Die Betroffenen werden in Bremen, im Gegensatz zu anderen Ländern, informiert, aber ein Löschungsantrag hat auch hier wenig Erfolgsaussicht.
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