Fallschirmspringen nach Maß: Vom Loslassen
Für jene, die die WM boykottieren, stellt die taz Alternativen vor. Diesmal: Fallschirmspringen. Erst ganz oben, dann eine kleine Bruchlandung.
4 .000 Meter über dem Boden denke ich nichts mehr, nehme tiefe Atemzüge, schüttele meine Handgelenke – das soll entspannen. Mein Lehrer Sven klettert raus. „In die Tür“, sagt Teresa, meine Lehrerin, die hinter mir im Flieger ist. Ich taste mich an den grauen schmalen Sitzbänken der Cessna 208B Grand Caravan bis zur offenen Türe. Rechte Hand, rechter Fuß, linke Hand, linker Fuß, Check-in, Check-out, hoch, runter …
Ich drücke mich gegen die Luft, sehe den Propeller, bin immer noch im Flieger. Sven lässt die Metallstange über der Türe los. Wir fallen. Sven und Teresa halten mich links und rechts an Armen und Beinen fest. Blick auf den Höhenmesser, dessen Zeiger sich gegen den Uhrzeigersinn bewegt. Ich sage die Höhe durch – 3.500 Meter. Mache drei Scheingriffe: mit dem linken Arm eine Ausgleichsbewegung, während die rechte Hand das Deploy – der Auslösegriff, der später den Fallschirm aus dem Container zieht – kurz umfasst. Wieder Höhencheck. Zweitausendirgendwas Meter. Ab 2.000 Metern bleibt mein Blick auf dem Höhenmesser. 1.900, 1.700, 1.600: abwinken, Hüfte durchdrücken, Hand Deploy greifen, ziehen. Meine Lehrer lassen mich los. Der Fallschirm bremst mich.
Ich bin alleine, über der süddeutschen Kleinstadt Bad Saulgau, atme hastig. Was nun? Ah, Kappencheck: der Schirm ist gleichmäßig mit Luft gefüllt. Steuerleinen lösen, lenken: funktioniert. Verkehr? Keine anderen Schirme in meiner Nähe. Ich sehe die Landewiese rechts vom kleinen Waldstück. „Glückwunsch zu deinem ersten Sprung, Klaudia“, höre ich über Funk. Ich lache laut. Alleine, für mich. Mehr als tausend Meter über dem Boden.
Teresa funkt mich runter, sagt mir, wann ich den Schirm bremsen soll. Doch ich höre nicht und der Boden kommt schneller als erwartet auf mich zu. Wenigstens der Landefall klappt. Mein Körper rollt übers Gras, ich bleibe liegen. Ich lebe und grinse. „Wenn du mich hören kannst, dann stehe bitte auf“, Teresas Stimme über Funk holt mich aus meiner Reizüberflutung. Nach dem ersten Fallschirmsprung am Morgen des 14. Juni 2022 folgt am Nachmittag der zweite. Zwei der sieben Level des AFF-Kurses (Accelerated Freefall) habe ich an diesem sommerlichen Dienstag bestanden.
Am Ende der Woche bin ich mit dem Kurs fertig und springe alleine, muss mich aber von einem Lehrer am Boden einweisen lassen. Nach Packkurs, Theorieprüfung und 23 Freifallsprüngen steht die praktische Prüfung an: ein Sprung aus 1.500 und einer aus 4.000 Metern. Ich bestehe Mitte August und halte nun den Luftfahrerschein für Luftsportgeräteführer in meinen Händen. Als ich danach wieder in der Cessna bin, gehe ich selbstbewusster zur Tür, nehme tiefe Atemzüge, klettere hinaus, halte mich kurz an der Metallstange fest und lasse los.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“