Fake-News-Vorwürfe gegen Tagesschau: Absurdes Gezanke
In ihrem Streit haben die Zeitungsverleger und die Öffentlich-Rechtlichen die echten Probleme längst aus dem Blick verloren.
Es ist der nächste Schritt in einem Streit, der mittlerweile im Absurden schwelt: Das Landgericht Hamburg hat der Frankfurter Allgemeinen Zeitung per einstweiliger Verfügung verboten, zu behaupten, die „Tagesschau“ verbreite „echte Fake News“. Ausgangspunkt war ein Text des FAZ-Autors Rainer Meyer alias Don Alphonso, in dem er sich mit einem Beitrag des ARD-Faktenfinders auseinandersetzte.
Die AfD hatte zuvor behauptet, auf dem Oktoberfest in diesem Jahr habe am ersten Tag „gähnende Leere“ geherrscht. Das Team des Faktenfinders hatte das überprüft und die Behauptung widerlegt. Meyer schrieb daraufhin, die ARD habe aus einem „ ‚Missverständnis‘ echte Fake News“ gemacht. Das darf er nun nicht mehr verbreiten, die Redaktion hat die Behauptung mittlerweile aus dem Text gelöscht.
Streitigkeiten zwischen den Öffentlich-Rechtlichen und einigen Zeitungsredaktionen, allen voran der FAZ, werden nun also vor Gericht ausgetragen. Seit Monaten verhaken sich beide Seiten in kleinen und großen Streitigkeiten. Das Brisante: Jede Seite trägt ihre Argumente in ihren jeweiligen Medien aus. Die Journalisten, die sonst versuchen oder zumindest versuchen sollten, objektiv und von außen zu berichten, nutzen ihre Zeitungsseiten und Sendeminuten zur eigenen Verteidigung. Unabhängige Berichterstattung über diesen Streit gibt es kaum.
Da schreibt die FAZ seit jeher im AfD-Jargon von „Zwangsgebühren“ und „Staatssender“ – das dürfte dem Boss des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), Mathias Döpfner, gefallen, weswegen er der FAZ auch gern Interviews gibt. Bei Springers Welt darf er sowieso Texte in eigener Sache schreiben. Er ist ja schließlich als Axel-Springer-Vorstandsvorsitzender deren Chef. Anderen, wie zum Beispiel dem Medienmagazin des NDR, dem des RBB-Radios oder dem des Deutschlandfunks, verweigert er sich hingegen.
Eine Deutschlandfunk-Kollegin veröffentlichte einen „gut gemeinten Aufklärungsbrief an die bürgerlichen KollegInnen“ von der FAZ – und der überhebliche Duktus ging weiter. Der Redakteursausschuss der ARD schrieb im Opferton an Döpfner und die FAZ: „Wir fühlen uns diskreditiert, wenn Sie uns als Staatsfunk bezeichnen und uns damit unterstellen, dass wir uns politisch steuern lassen.“ Und weiter: „Können Sie uns mal erklären, warum wir als verantwortungsvolle JournalistInnen in diesen Zeiten nicht zusammenhalten gegen Fake News und populistische Parolen?“
Wegen dieses Briefs bekommt Döpfner wiederum Rückendeckung von seinen Kollegen im Lokalen (der Chefredakteur der Westdeutschen Zeitung Ulli Tückmantel schreibt in seinem Blatt vom neuesten „Gipfel der Albernheit im ARD-Krieg gegen den Bundesverband der Zeitungsverleger“) und aus der Zeitschriftenbranche.
Was hat er gesagt?
„Staatspresse“, „diskreditiert“, „ARD-Krieg“ – die Wortwahl zeigt, dass es hier längst nicht mehr um Inhalte geht. Dabei gibt es durchaus Punkte, über die man diskutieren könnte, wie die Zusammensetzung der öffentlich-rechtlichen Kontrollgremien oder die Frage, wie lange die Öffentlich-Rechtlichen ihre Videos in den Mediatheken stehen lassen dürfen. Ist die neue Audiothek der ARD, in der Radiobeiträge online stehen, Konkurrenz für die Privatradios? Bedroht Funk, das junge Angebot von ARD und ZDF, den jungen Journalismus von Zeit, Spiegel und Co? Wie könnte ein öffentlich-rechtliches Programm im Internet aussehen, das den Verlagen nicht oder weniger zum Nachteil wird?
Aber so weit reicht die Debatte gar nicht erst. Stattdessen diskutieren Medienjournalisten und BDZV tagelang darüber, ob Döpfner die Öffentlich-Rechtlichen in seiner Rede auf dem BDZV-Kongress im September „Staatspresse“ genannt hat – oder ob Döpfners „Staatspresse“ im Konjunktiv gemeint war. (Wenn es so gemeint war, dann hat er es zumindest an einer Stelle vergessen, den Konjunktiv zu nutzen, was man nachschauen und nachlesen kann.)
Im Internet ist so etwas wie eine Brieffreundschaft zwischen Mathias Döpfner und den Redakteuren der Öffentlich-Rechtlichen entstanden, die aber nicht darüber hinausgeht, wer nun für wen und wann und warum zum Gespräch bereit ist oder auch nicht.
Was bemerkenswert ist: Alle Seiten loben immer wieder, wie wichtig der unabhängige, kritische Journalismus sei, wie wichtig die Zeitungen seien, wie wichtig der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei – und verhalten sich in dieser Diskussion dann doch wie besoffene RedakteurInnen in einer Wirtshausschlägerei.
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