Fahrradstraßen in Berlins Bezirken: Am Ende helfen nur Poller
Bezirke wie Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg treiben den Ausbau von Fahrradstraßen voran. Aber Schilder und Markierungen reichen meist nicht.
Am Montag veröffentlichte die grüne Verkehrsstadträtin Almut Neumann eine Liste von 24 Strecken, die 2024 zur Fahrradstraße werden könnten. Bei diesem „Maßnahmen-Portfolio“ handelt es sich noch nicht um eine feste Planung – der Bezirk befinde sich „in Klärung“ mit der Senatsverkehrsverwaltung, so Neumann. Wo tatsächlich etwas passiert, sei „von mehreren Faktoren wie dem weiteren Planungsgang und der Finanzierung abhängig“.
Die Stadträtin legt sich aber fest, dass es am Ende 10 Kilometer neue Fahrradstraße sein werden, und bittet AnwohnerInnen um Anregungen. Zu den aufgelisteten Straßen gehören das nördliche und das südliche Ende der Charlottenstraße, deren mittlerer Teil bereits im Zusammenhang mit der zeitweiligen Fußgängerzone in der Friedrichstraße zur Fahrradstraße gemacht wurde. Auch auf der Garten- und der Genthiner Straße, dem Lützow- und dem Nordufer, der Schwedter und der Schillingstraße könnten Fahrradstraßen entstehen.
Die 10 zusätzlichen Kilometer würden den Bestand deutlich ausweiten: Bis das Mobilitätsgesetz 2018 in Kraft trat, gab es rund 17 Kilometer Fahrradstraße in der Stadt, seitdem sind nach Zählung des Vereins Changing Cities ebenso viele hinzugekommen. Laut der von der infraVelo GmbH geführten Übersichtskarte zum Ausbau der Radinfrastruktur wurden in diesem Zeitraum knapp 20 Straßen oder Straßenabschnitte ausgewiesen, dazu gehören bekannte Strecken wie die Kreuzberger Verbindung zwischen Südstern und Mariannenplatz, das Neuköllner Weigandufer oder die Linienstraße in Mitte.
Derzeit in Bau – wobei es oft nur um Beschilderung und Markierung geht – ist ein weiteres Dutzend, darunter auch mit einem Teil der Fasanenstraße das erste neue Projekt in Charlottenburg-Wilmersdorf. Der Umbau des schon älteren, von vielen Autofahrenden aber krass missachteten Abschnitts der Wilmersdorfer Prinzregentenstraße ist vorgesehen, aber noch nicht terminiert.
Parkplätze fallen weg
In Tempelhof-Schöneberg hat die grüne Stadträtin Saskia Ellenbeck gerade die Planung für die Friedenauer Handjerystraße präsentiert: Um dort die vorgeschriebenen Mindestbreiten einzuhalten, die garantieren, dass in beide Richtungen je zwei Räder nebeneinander fahren können, sollen auch Pkw-Stellplätze wegfallen. Außerdem ist vorgesehen, das Parken von Autos an den Kreuzungen einzuschränken, um bessere Sichtbeziehungen und dadurch mehr Sicherheit herzustellen.
Keine spruchreifen Planungen für 2024 gibt es zurzeit in Friedrichshain-Kreuzberg, wo es nach jüngstem Stand nun immerhin schon 5,5 Kilometer Fahrradstraßen gibt. „Die Priorisierung ist noch nicht abgeschlossen“, erklärt Bezirkssprecherin Sara Lühmann. Anzahl und Länge neuer Abschnitte sei stark von der Finanzierung durch die Senatsverkehrsverwaltung abhängig – „und es ist aktuell davon auszugehen, dass aufgrund der geringeren Radverkehrsmittel im kommenden Doppelhaushalt sowie der hohen Vorbelastung der Haushaltstitel durch verschobene Maßnahmen die finanziellen Spielräume nächstes Jahr deutlich geringer sein werden“.
Das Mobilitätsgesetz sieht Fahrradstraßen ausdrücklich als Lösung im Ergänzungsnetz vor; unumstritten sind sie nicht. Viele NutzerInnen beklagen, dass sie mit Autos verstopft sind. „Es gibt keine Fahrradstraße“, schreibt ein X-Nutzer, „sondern eine normale Straße, an deren Beginn das Witzschild ‚Fahrradstraße‘ mit dem Zusatz ‚alle dürfen rein‘ steht.“
Tatsächlich herrscht laut Verkehrsverwaltung bis auf punktuelle Ausnahmen in allen Fahrradstraßen die Zusatzregelung „Anlieger frei“. Die gilt nicht nur für AnwohnerInnen, sondern auch für BesucherInnen oder KundInnen. Einfaches Durchfahren ist dagegen verboten, wird in der Praxis aber höchst selten geahndet.
Wenn Google Maps hilft
Changing-Cities-Sprecherin Ragnhild Sørensen bestätigt das Problem. Die Ausschilderung bewirke anfangs wenig, erst wenn Google Maps die Fahrradstraße registriert habe, nehme der Kfz-Verkehr spürbar ab. Dass sie von der Polizei wenig zu befürchten hätten, lernten die motorisierten FahrerInnen aber ebenso schnell. „Helfen tun dann nur physische Barrieren, die den Durchgangsverkehr ausbremsen.“
Sørensen weist darauf hin, wie unterschiedlich die Bezirke in Sachen Fahrradstraßen vorgehen. „Nur dort, wo willige StadträtInnen und Planer*innen sind, geht es voran.“ Marzahn-Hellersdorf, Reinickendorf und Spandau hätten noch keine einzige ausgewiesen. „Ich fürchte, wir bekommen eine neue Berlin-Teilung: in fahrradfreundliche und fahrradunfreundliche Bezirke.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Israels Brüche der Waffenruhe
Die USA sind kein neutraler Partner