Fahrradparkhäuser in den Niederlanden: Ein Dach über den Speichen
In den Niederlanden gibt es immer mehr Parkhäuser für Fahrräder. Diese sind modern ausgestattet, nachhaltig und durchdacht entworfen.
Die Bundestagswahl ist eine Klimawahl. Ab dem 28. Juni stellen wir deswegen eine Woche unsere Berichterstattung unter den Fokus Mobilitätswende: Straßenkampf – Warum es eine Frage der Gerechtigkeit ist, wie wir mobil sind. Alle Texte: taz.de/klima
Offiziell nennt es sich salopp ´fietsenstalling´, was soviel bedeutet wie ´Fahrradschuppen´. Auch das eine Untertreibung. Denn was dort im August 2019 vollendet wurde, verleiht der Idee auf dem Weg zum Gleis noch schnell das Rad abzustellen, eine gänzlich neue Dimension.
12.656 Räder können dort geparkt werden, weit mehr als die 9.400 der bisherigen Rekordhalterin Tokio. Hinzu kommen 480 Plätze für Formate wie Lastenräder oder Tandems. Durch das 350 Meter lange Parkhaus führt ein Radweg, von der unteren Etage gibt es eine direkte Verbindung zu den Gleisen.
Elektronische Anzeigeschilder geben die Zahl verfügbarer Plätze an, orientieren kann man sich mit Hilfe markierter Nummern auf dem Boden. “Ein wahres fiets-Walhalla“, so die Tageszeitung Trouw zur Eröffnung. Die Nutzung des Walhalla ist während der ersten 24 Stunden gratis, danach mit 1,25 Euro am Tag ziemlich bezahlbar.
Am Bahnhof von Utrecht gibt es 22.000 Fahrradparkplätze
Das Parkhaus ist Teil einer großflächigen Umgestaltung von Utrecht Centraal. Der Hauptbahnhof der 360.000 Einwohner-Stadt im Zentrum der Niederlande ist das Drehkreuz ihres Schienenverkehrs.
Vor der Corona-Pandemie stiegen hier an einem durchschnittlichen Arbeitstag knapp 200.000 Menschen ein und aus. Fast die Hälfte der Zugreisenden des Landes kommt per Rad zum Bahnhof. Wer den Utrechter auf diesem Weg wieder verlassen will, kann eines von 1.000 der charakteristischen “OV (Öffentlicher Verkehr')-fietsen“leihen.
“Ausgangspunkt war die Verbindung des neuen Bahnhofs mit Hoog Catharijne (dem umliegenden Mall-Komplex, T.M.). So gab es viel Raum Fahrräder zu parken. Darauf basiert unser Entwurf “, erklärt Architekt Joost Ector. “Die Herausforderung ist: wie macht man daraus eine architektonische Erfahrung?“
Herausgekommen ist ein freundliches, hell erleuchtetes Gebäude, das sich abhebt von düsteren Parkhaus-Klischees und dem alten Junkie-Image der Umgebung. Zugang gibt es übrigens nur mit der sogenannten OV-Chipkaart, die in den Niederlanden für sämtlichen Öffentlichen Verkehr gilt.
Dass in den Niederlanden in den letzten 15 Jahren verstärkt unterirdische Fahrradgaragen entstehen, hat mit Nachhaltigkeit, Stadtplanung und nicht zuletzt mit schierem Pragmatismus zu tun. Die Regierung stimuliert die Nutzung des fiets und baut die Infrastruktur massiv aus, etwa durch städteverbindende Schnellwege.
Pro Nase werden 880 Kilometer im Jahr per Rad zurückgelegt. Auf eine Bevölkerungszahl von knapp 17,5 Millionen kommen geschätzte 22,9 Millionen Fahrräder – und die müssen irgendwo abgestellt werden. Um den Hauptbahnhof von Utrecht herum ist nun Platz für 22.000. Netzbetreiber ProRail geht derweil von einem Bedarf für 30.000 aus.
Das Fahrradparkhaus ist kostenlos, außerhalb Parken kostet
Mit dem Bau der Parkhäuser geht freilich auch einher, dass man der Bevölkerung die Angewohnheit abtrainieren will das Rad im Vorbeigehen an Zäune oder Laternenpfähle festzuketten. Diese Erziehung folgt nach bewährter niederländischer Sitte durch sanften Druck aufs Portmonnaie.
Auf dem Boden von Garagen oder bei Fahrradständern findet sich deshalb oft unter der Frage „fiets weg?“ eine Telefonnummer der entsprechenden Kommune, unter der es Auskunft über die – kostenpflichtige – Rückbeschaffung gibt.
Kein Wunder also, dass die Website, die über alle Parkgelegenheiten an Bahnhöfen einen leicht suggestiven Namen trägt jefietswilnooitmeeranders.nl – dein Rad will nie mehr etwas anderes.
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