Fahndung nach deutschen Autonomen: Gesuchte Linke wollen sich stellen
Seit einem Jahr werden neun Autonome gesucht, die in Budapest Neonazis verprügelt haben sollen. Nun wollen sich einige stellen – unter Bedingungen.
Die Gesuchten sind junge Linke aus Sachsen und Thüringen, 20 bis 30 Jahre alt. Ungarische Behörden veröffentlichten in Fahndungsaufrufen ihre Namen und Fotos. In Deutschland leitet die sächsische Soko Linx die Ermittlungen. Eltern einer Gesuchten berichteten zuletzt der taz, wie ihre Familien überwacht würden: Auf dem Weg zu einer Geburtstagsfeier seien sie von Fahrzeugen verfolgt worden, die Polizei sei nachts in ihr Haus eingedrungen. Auch der Verfassungsschutz habe vor der Tür gestanden.
Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) warnt derweil vor einer Radikalisierung der Gesuchten. Auch Bundesverfassungsschutzchef Thomas Haldenwang sprach zuletzt von militanten Kleingruppen, die mit „lebensgefährlicher Brutalität“ vorgingen. Die Schwelle zum Linksterrorismus rücke näher.
Anwälte der Gesuchten hatten dies früh als „wilde Konstruktion“ kritisiert. Und tatsächlich sind nun mehrere der Gesuchten bereit, sich zu stellen – allerdings nur unter der Bedingung, dass es nicht zu einer Auslieferung nach Ungarn kommt.
„Das Gerede von einer Untergrundzelle war von Beginn an ein Hirngespinst“, sagte Ulrich von Klinggräff, Anwalt eines der neun Gesuchten, der taz. „Es geht meinem Mandanten darum, in Ungarn nicht einem Verfahren ausgesetzt zu werden, in dem grundlegende Beschuldigtenrechte missachtet werden. Unter der Orbán-Regierung ist für Antifaschisten kein faires Verfahren zu erwarten.“ Die dortigen Haftbedingungen seien „menschenrechtswidrig und darauf angelegt, die Angeklagten zu brechen und von ihnen Geständnisse zu erzwingen“.
„Indiskutable Bedingungen“
Von Klinggräff kündigte an, dass sich sein Mandant und weitere Gesuchte stellen würden, wenn die in Deutschland zuständige Generalstaatsanwaltschaft Dresden eine Nichtauslieferung nach Ungarn garantiere. Das Problem sei nur, so der Anwalt: Genau dies tue die Behörde bisher nicht. Die Generalstaatsanwaltschaft verweigere jegliche Kommunikation und stelle „indiskutable Bedingungen“ auf. „Es wird verlangt, dass auf strafprozessuale Rechte verzichtet und ein Geständnis abgelegt wird. Das ist völlig unhaltbar.“
Für die Gesuchten gelte die Unschuldsvermutung, betont von Klinggräff. Sie würden sich in Deutschland Verfahren stellen, deren Ausgang abzuwarten bliebe. „Mit der Blockade der Generalstaatsanwaltschaft wird ohne Not verhindert, dass für die Gesuchten ein Weg zurück gefunden wird.“
Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden wollte sich zu den Gesprächen mit den Anwält*innen nicht äußern. Auskünfte zu diesen Fragen könnten „die sachgemäße Durchführung des laufenden Verfahrens gefährden und daher nicht erteilt werden“, erklärte ein Sprecher.
Nach taz-Informationen gab es aber bereits im Dezember auch Gesprächsversuche des Bundesamts für Verfassungsschutz mit Angehörigen der Gesuchten, bei denen dafür geworben worden sein soll, dass diese sich stellen. Das Amt soll sich als Vermittlerin angeboten haben. Auch hier soll ein Anwalt aber klargemacht haben, dass Geständnisse nicht infrage kämen. Der Verfassungsschutz soll wiederum betont haben, dass es keine Zusagen für eine Straffreiheit geben könne.
10.000 Euro Belohnung für Hinweise
Und so geht die Fahndung nach den neun Gesuchten vorerst weiter. Vor allem auf den 30-jährigen Johann G. haben es die Behörden abgesehen, den früheren Lebensgefährten der Leipziger Linken Lina E., die bereits im Mai 2023 wegen Angriffen auf Rechtsextreme zu gut fünf Jahren Haft verurteilt wurde. Johann G. ist seit bereits dreieinhalb Jahren verschwunden, soll sich aber auch an den Angriffen in Budapest beteiligt haben. Für Hinweise auf ihn hat das BKA 10.000 Euro Belohnung ausgelobt und ihn in der TV-Sendung „Aktenzeichen XY… Ungelöst“ gezeigt.
Der im Dezember in Berlin gefassten nichtbinären Person, Maja T., droht derweil weiterhin die Auslieferung nach Ungarn. Dieses Verfahren führt die Generalstaatsanwaltschaft Berlin, die zu Jahresbeginn einen Auslieferungshaftbefehl beantragte. In einem zweiten Schritt wird dann über die tatsächliche Auslieferung entschieden.
Im Januar war bereits ein erster Prozess gegen zwei Deutsche und eine Italienerin in Budapest gestartet, die direkt nach den Angriffen im Februar 2023 festgenommen wurden. Ein 30-jähriger Berliner ging dabei auf einen Deal ein. Er räumte die vorgeworfene Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung ein, verzichtete auf eine Beweisaufnahme und erhielt eine dreijährige Haftstrafe. Gegen die anderen beiden Angeklagten wird weiterverhandelt.
Der Italienerin Ilaria S. drohen dabei laut Staatsanwaltschaft bis zu 24 Jahre Haft. Sie war in Ketten in den Gerichtssaal geführt worden – was Empörung auslöste. In einem Brief aus der Haft hatte S. über Bettwanzen, spärliche Nahrung und einen über Wochen untersagten Kontakt zu ihrer Familie geklagt. Die italienische Regierung forderte hier von Orbán bereits bessere Haftbedingungen für Ilaria S. ein.
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