Fachkräftemangel: Gesucht: AnwältInnen für Asylrecht
Mit der wachsenden Zahl von Gerichtsverfahren gegen abgelehnte Asylanträge sinkt die Chance von Flüchtlingen, auf dieses Rechtsgebiet spezialisierte Rechtsanwälte zu finden.
Flüchtlinge haben zunehmend Probleme, Anwälte zu finden, die sie im Asylverfahren vertreten. Das hat etwa der Ägypter Fadi L. erlebt: Nachdem sein Asylantrag abgelehnt wurde, hatte L., dem bei Folterungen in Ägypten die Hand verkrüppelt wurde, zwei Wochen Zeit, vor dem Berliner Verwaltungsgericht dagegen zu klagen. Doch er fand keinen Anwalt, der das für ihn übernahm. Nur mit Mühe konnte L. die Sozialarbeiterin in seinem Wohnheim überreden, die Klage zu schreiben – erst einmal ohne Begründung, nur um die Frist zu wahren. Die Begründung soll später ein Anwalt nachreichen. Nach dem Rechtshilfegesetz darf die Sozialarbeiterin das eigentlich nicht, da sie keine Juristin ist. Aber sie wollte L. nicht hängen lassen.
„Ich habe mehr als zehn Anwaltskanzleien angerufen“, sagt die Frau der taz. Mit Namen will sie nicht in der Zeitung stehen. „Aber alle lehnten ab. Sie sind überlastet.“
Die Grünen-Abgeordnete Canan Bayram, die neben ihrer politischen Tätigkeit als Anwältin selbst Mandanten im Asylrecht vertritt, kennt das Problem. „Es ist ein neues Phänomen, dass Asylrechtsanwälte insbesondere dann keine Mandanten annehmen, wenn sie die Chancen auf Erfolg als gering ansehen“, sagt Bayram.
Der Berliner Asylrechtsanwalt Matthias Lehnert bestätigt den enormen Anstieg von Mandantennachfragen. „Als Freiberufler könnte ich es mir einfach machen und nur so viele Mandate annehmen, wie ich schaffe. Aber so einfach ist es von der menschlichen Seite oft nicht,“ sagt er. Ablehnen müsse er dennoch häufiger als es ihm lieb ist.
Verwaltungsgerichte haben vergangene Woche Alarm geschlagen, weil sie mit der Vielzahl von Asylklagen überfordert sind. Bundesweit wird laut dem Bundesamt für Asyl und Flüchtlinge (Bamf) derzeit gegen jeden vierten Asylbescheid geklagt. Im ersten Halbjahr 2017 gingen im Berliner Verwaltungsgericht laut dessen Sprecher Kai-Christian Samel 10.000 Klagen und Eilanträge gegen abgelehnte Asylbescheide ein, etwa ebenso viele wie im gesamten Vorjahr und 24 Prozent mehr als 2015. Das Verwaltungsgericht stöhnt über 21.000 offene Verfahren im Asylrecht.
„Die Nachfragen nach Anwälten sind seit Mitte 2016 sprunghaft angestiegen und sie steigen weiter“, sagt Claus Foerster, der bei der Arbeiterwohlfahrt AWO Flüchtlinge berät und Anwälte vermittelt. Das habe mit den vielen ungerechtfertigten Asylablehnungen bei Afghanen begonnen. „Dann kamen die Syrer hinzu, die keinen vollen Flüchtlingsschutz mehr bekommen, sondern nur einen sogenannten subsidiären Schutzstatus, der keinen Familiennachzug erlaubt“, so Foerster.
Ganz grundlegende Fehler
Auch wenn das Bamf Rückschiebungen nach Ungarn anordnet, rate seine Beratungsstelle zu Klagen: „Diese Rückschiebungen stoppt das Berliner Verwaltungsgericht nämlich.“ Für Foerster steht fest: Würde das Bundesamt nicht so fehlerhaft arbeiten, wären viele Klagen unnötig. „Aber es werden leider ganz grundlegende Fehler gemacht. Oft wird nicht einmal darauf eingegangen, was ein Flüchtling in der Anhörung gesagt hat, sondern es werden nur Textbausteine aneinandergereiht.“
Canan Bayram sieht auch die Landespolitik in der Verantwortung. „Es gibt Mandanten, die trauen sich nicht ohne Anwalt zur Ausländerbehörde, weil sie dort schlecht behandelt wurden. Als Land haben wir es in der Hand, das zu ändern.“ Die Ausländerbehörde untersteht dem Land. Der Linke-Justizpolitiker Sebastian Schlüsselburg spannt den Bogen weiter. „Es ist ein Trend, dass Juristen weniger in klassische juristische Berufsfelder streben, eher in die Wirtschaft, die Politik oder in NGOs.“ Dass dann Anwälte zuerst in einem Feld wie dem Asylrecht fehlten, wo, so Schlüsselburg, „nicht das Geld liegt“, sei klar. „Wir haben im Land Berlin zwar die Richterstellen an den Verwaltungsgerichten für das Asylrecht erhöht und erhöhen da weiter. Anwälte sind aber Freiberufler. Da können wir nur werben.“
Anwälte, die sich auf Asylrecht spezialisieren, sind alles andere als Großverdiener. Bezahlt werden sie von ihren oft Sozialleistungen beziehenden Mandanten in kleinen zweistelligen Monatsraten. Anders als im Strafrecht oder bei Scheidungen bekommen Asylbewerber fast nie staatliche Beihilfe, um Anwälte zu bezahlen. Das müsse man ändern, meint Anwalt Lehnert. Und das nicht nur, weil sein Berufsstand finanziell riskant lebe. „Würden Flüchtlinge staatliche Hilfen bekommen, würden sie früher zum Anwalt gehen. Dann würden viele Probleme im Asylverfahren gar nicht erst auftreten, die die Gerichte jetzt korrigieren müssen.“
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