FPÖ-Minister treten zurück: Österreichische Regierung zerbricht
Die Minister der österreichischen Partei FPÖ haben am Montag ihre Ämter niedergelegt. Grund ist das Skandalvideo um Heinz-Christian Strache.
Sebastian Kurz stellt sich vor, dass die vakanten Posten mit Beamten besetzt werden, bis nach den vorgezogenen Wahlen vom September die nächste Regierung unter seiner Führung vereidigt werden kann. Von diesem Plan muss er aber erst die Opposition überzeugen.
SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner sagte nach einer Unterredung mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen, ihre Partei verlange den Rücktritt der kompletten Regierung. Aus ihrer Sicht ist „nur eine Übergangsregierung mit Experten für alle Regierungsämter, auch den Bundeskanzler, eine gute tragfähige Lösung“, um „wieder Ruhe und Stabilität einkehren zu lassen“.
Damit könnte die bevorstehende Abberufung von Kickl eine politische Kettenreaktion auslösen, deren Folgen noch unabsehbar sind. Die Liste Jetzt von Peter Pilz hat bereits einen Misstrauensantrag gegen die Regierung von Sebastian Kurz angekündigt, dem sich die SPÖ anschließen will. Es liegt jetzt an der FPÖ, ob erstmals in der zweiten Republik einem amtierenden Kanzler das Misstrauen ausgesprochen wird.
Voll im Wahlkampfmodus
Norbert Hofer wollte sich in einer ersten Stellungnahme nicht festlegen. Doch seine Partei, die bereits voll auf Wahlkampfmodus umgeschaltet hat, dürfte das Revanchefoul unterstützen. Ex-EU-Agrarkommissar und ÖVP-Urgestein Franz Fischler meinte in einer Radiodiskussion, die FPÖ sei jetzt auf Rache aus. Kickl hat ja seinem Koalitionspartner in einem Presseauftritt am Montag „nüchterne Machtbesoffenheit“ vorgeworfen. Die Sondersitzung, bei der der Misstrauensantrag eingebracht werden kann, dürfte nächste Woche Montag oder Dienstag stattfinden.
Sollte die Regierung stürzen und durch Technokraten ersetzt werden, kann Kurz nicht weiter um die Welt jetten und beim Handshake mit den Reichen und Mächtigen posieren, sondern müsste als Architekt eines gescheiterten Experiments in den Wahlkampf gehen. Österreich würde sich mit einer Expertenregierung auf politisches Neuland begeben.
Werner Zögernitz vom Institut für Parlamentarismus und Demokratiefragen meinte im Ö1-Morgenjournal am Dienstag, die Parteien müssten sich entscheiden, ob sie „parteipolitisch oder staatspolitisch“ handeln. Angesichts der auch international heiklen Situation glaube er, sie würden ihre staatspolitische Verantwortung wahrnehmen.
Kurz wird jedenfalls mit konkreten Vorschlägen für die Besetzung der bisher von der FPÖ geführten Ministerien zum Bundespräsidenten gehen. Der hat laut Verfassung zwar freie Hand, jede geeignete Person zu ernennen, dürfte aber einem Vorschlag zustimmen, der zur politischen Beruhigung beitragen kann.
Kickl hält nichts von Kurz' Argumenten
Sebastian Kurz hat die Abberufung von Kickl damit begründet, dass dieser Generalsekretär der FPÖ war, als das Ibiza-Video entstand. Als Intimus von Heinz-Christian Strache muss er daher von dessen Plänen gewusst haben, Schwarzgelder über gemeinnützige Vereine in die Parteikasse zu schleusen. Es sei daher untragbar, dass er als Innenminister quasi gegen sich selbst ermittle.
Kickl hält dieses Argument für vorgeschoben. Schließlich sei der Rechtsstaat auch bisher schon in der Lage gewesen, unabhängig gegen Funktionäre zu ermitteln. Es könne ja auch ein anderer FPÖ-Mann das Ministerium übernehmen. Dem habe die ÖVP nicht zugestimmt. Was die wahre Motivation für den Rauswurf des forschen Minister ist, kann derzeit nur spekuliert werden.
Sicher ist, dass es Druck von ausländischen Geheimdiensten gab, die mit Österreich nicht kooperieren wollen, weil sie fürchten, dass vertrauliche Informationen an Russland weitergegeben werden. Die Russland-Affinität der FPÖ wurde ja durch Straches Anbiederungen im Skandalvideo neuerlich bestätigt. Vielleicht steckt aber auch wirklich Machtkalkül dahinter, wie Kickl selber vermutet. Denn er hat ziemlich brachial daran gearbeitet, die über Jahre aufgebauten Machtbastionen der ÖVP im Innenministerium zu schleifen.
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