FLINTA*-Gym in Hamburg-Altona: Ein doppelter Kampf
Das Tyger Trimiar Gym versteht sich als feministische Intervention in der Vereinslandschaft. Wir durften beim FLINTA*- Boxen dabei sein.
„She/her“, sagt eine der Teilnehmer*innen. „Und die Arbeit war heute anstrengend, deswegen bin ich ein bisschen müde.“„Hab ein bisschen Schmerzen im linken Knie“, sagt die Nächste.Boxen sei zwar kein Mannschaftssport, aber sie wollen trotzdem ein Team sein, erklärt Anna den Auftakt des Trainings später. „Und mir ist super wichtig, dass alle in etwa wissen, was beieinander abgeht.“ Sie wolle kein Vermöbeln, sondern ein Training. „Alle passen aufeinander auf.“
Sieben Personen sind an diesem Montagabend zum Training ins Tyger Trimiar Gym gekommen. Der 2020 gegründete gemeinnützige Verein von und für FLINTA* (Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen) befindet sich etwas versteckt in der ehemaligen Viktoria-Kaserne in Altona und bietet verschiedene Kampfsport- und Selbstverteidigungskurse an.
Namensgeberin des Vereins ist die US-amerikanische Boxerin Marian Trimiar alias „Lady Tyger“, deren Bild an der Wand hängt. In den USA wurden weiblich gelesene Boxer*innen – und vor allem BIPoC-Boxer*innen – lange Zeit vom Boxsport ausgeschlossen. In den 1970ern kämpfte Trimiar deshalb in New York vor Gericht dafür, eine Profiboxlizenz zu erhalten. In den 1980ern trat sie sogar in einen Hungerstreik, um für gleichberechtigte Bezahlung von Profiboxer*innen zu kämpfen.
Mitgründerin Miriam
„Sie ist einfach eine Koryphäe als Sportlerin und für antirassistischen Feminismus im Boxen“, sagt Tyger-Gym-Mitgründerin Miriam. Das Team habe sogar regelmäßigen Kontakt zu der heute 71-Jährigen New Yorkerin.
Nachdem sich die sieben Boxer*innen aufgewärmt haben, bandagieren sie ihre Hände und ziehen die Boxhandschuhe an, um dann an ihrer Schlagtechnik zu feilen. Das gesamte Equipment kann ausgeliehen werden, um ein möglichst niedrigschwelliges Sportangebot zu bieten.
Im Tyger Gym soll das Training unabhängig vom Einkommen für alle zugänglich sein – manche zahlen mehr, andere weniger, um dies zu ermöglichen. Der reguläre Mitgliedsbeitrag beträgt 35 Euro. Wenig, im Vergleich zu einem 500 Meter entfernten Gym, das mindestens 74 Euro pro Monat verlangt.
Die Anfänger*innen bekommen eine grundlegende Einweisung von Anna, während die Fortgeschrittenen in Zweier-Gruppen ihre Schlagtechnik üben. Die Trainerin gibt Tipps, die sofort Wirkung zeigen: Der Arm wird wenige Zentimeter gedreht, die Schultern gesenkt, schon potenziert sich die Kraft und Reichweite des eigenen Schlags gut sichtbar.
Geübt wird vor dem Spiegel. „108 Jahre später…“ steht auf dem Plakat, das darüber hängt. Olympisch ist Boxen für Frauen nämlich erst seit 2012 – 108 Jahre nach dem olympischen Debüt von Männerboxen. „Wir müssen immer einen doppelten Kampf führen“, sagt Miriam dazu. „Einerseits den sportlichen Kampf und gleichzeitig auch den Kampf gegen das Patriarchat.“
Das fange schon bei der Werbung für Kampfsportkurse an: Für Frauen sei es Selbstverteidigung und für Männer Sport, was die Frauen auf eine potentielle Opferposition verweise. „Selbstverteidigung ist eine tolle Sache, aber für Alle und Kampfsport als Sport eben auch, unabhängig vom Geschlecht.“
Und der doppelte Kampf spielt sich auch auf kleiner Ebene ab. Anna und Miriam erzählen aus ihrer Zeit in anderen Boxvereinen und beschreiben das Gefühl, immer die Ausnahme zu sein. Das fange schon bei den Umkleidekabinen an:
„In meinem ehemaligen Boxverein gab es bis zum Schluss keine Frauenumkleide – geschweige denn eine Frauendusche“, sagt Anna. „Und einmal ist dann tatsächlich das Training ausgefallen, weil in der Männerdusche nur kaltes Wasser lief, während wir ohnehin immer verschwitzt nach Hause fahren mussten.“
Teilnehmerin beim FLINTA*-Boxen
Auch Miriam kennt das Problem mit den Umkleiden. „Und das ist nur unsere cis-weibliche Perspektive“, sagt sie – Trans* Personen und nicht-binäre Menschen seien meist erst Recht nicht mit gedacht gewesen.
Eine der Teilnehmer*innen des Boxkurses im Triminar Tyger Gym erzählt von der Suche nach einem Kampfsportverein nach ihrer Transition: „Der Kollege bei der Anmeldung wollte mich in die Männerumkleide schicken, auf meinen Einwand reagierte er verwirrt. Das müsse er zunächst im Team besprechen, sagte er.“ Die Erfahrung habe sie lange von ihren Sportplänen abgehalten. Sie habe keinen Ort gefunden, der sich klar positioniert.
Nach den Technikübungen finden sich auch die Anfänger*innen in Zweier-Gruppen zusammen. Abwechselnd schlägt eine Person, die andere blockt. Nicht alle Schläge gelingen. Es werden gegenseitig Tipps gegeben, respektvoll und auf Augenhöhe. Anders im früheren Boxverein von Trainerin Anna: „Beim Training fielen dann Sätze wie,Keine Sorge, ich mach ganz vorsichtig'“, sagt sie.
Im Gegensatz zu anderen Kampfsportarten sei der Boxsport noch besonders konservativ und eingestaubt, sagt Anna. Und nicht nur das. Im Bericht des Bundesinstituts für Sportwissenschaften 2024 konstatieren Wissenschaftler*innen, der Kampfsport habe eine hohe Attraktivität für extrem rechte Akteure. Laut dem Bericht fehle besonders im Boxsport die Aufmerksamkeit und Sensibilisierung für das Thema.
Immer wieder wird von neonazistischen Kampfsporttrainings und -events berichtet. Auch Gründerin Miriam erzählt von Einschüchterungsversuchen bei der Vereinsgründung. Das FLINTA*-Gym sei von Rechtsradikalen auf eine Liste von Vereinen geschrieben worden, die sie ins Visier nehmen.
Nach den Technikübungen geht es an den Boxsack. Abwechselnd schnelle, leichte und kräftige Schläge. Also einmal richtig auspowern und dabei auch empowern? „Es geht nicht darum, andere runter zu machen, sondern sich gemeinsam gut zu fühlen, indem man sich gemeinsam ermächtigt“ sagt Miriam.
Ein ganz anderes Selbstbewusstsein
Das Geräusch der Boxhandschuhe, die auf den an der Wand hängenden Boxsack treffen, wird immer intensiver, die gemeinsame Stärke im Raum förmlich spürbar. „Paradox ist, dass einem beim Kampfsport oft suggeriert wird, man müsse eine gewisse Stärke schon mitbringen, um überhaupt anzufangen, dabei soll der Sport einem gerade dabei helfen diese zu finden.“ sagt die Gründerin.
Deshalb ist ein Ziel des Tyger Gym der Abbau unsichtbarer Grenzen im Kampfsport für alle, die von Diskriminierung betroffen sind. Diesen will das Team einen sichereren Ort zum trainieren anbieten und die Möglichkeit vom Kampfsport zu profitieren.Zum Abschluss des Trainings wird sich ausgiebig gedehnt. Alle klatschen. Es wird gelacht, die Stimmung ist gut, als sich die Teilnehmer*innen verabschieden.
Und die ermächtigende Wirkung des Trainings beschränkt sich nicht nur auf die Sporthalle. „Ich merke inzwischen, dass ich mich auf der Straße mit einem ganz anderen Selbstbewusstsein bewege.“ erzählt die Kursteilnehmerin, die lange auf Gymsuche war. Sie ist froh im Tyger Gym endlich fündig geworden zu sein: „Hier überfordert meine Präsenz niemanden, weder Team noch Gäste.
Hier bin ich nicht wahrscheinlich okay, sondern ausdrücklich willkommen.„Drei mal die Woche gehe sie zum Training und mache kaum noch was anderes in ihrer Freizeit. „Dafür habe ich jetzt jede Menge Kraft und mir geht es blendend“ erzählt sie.
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