Externe Untersuchung zu Hanau-Anschlag: „Das grenzt an Vertuschung“
Die Hinterbliebenen des Hanau-Anschlags werfen den Behörden mangelnde Aufklärung vor. Nun fordern sie eine unabhängige Untersuchungskommission.
Die hessische Landesregierung um Ministerpräsident Volker Bouffier und Innenminister Peter Beuth, beide CDU, sei an der Aufklärung des Hanau-Anschlags „erkennbar nicht interessiert“, heißt es in einer am Dienstag veröffentlichten Erklärung von Hinterbliebenen um Armin Kurtovic, den Vater des beim Anschlag ermordeten Hamza Kurtovic. Seit Monaten bestehende offene Fragen zu möglichem Behördenversagen würden „bagatellisiert oder aktiv abgeblockt“. Es entstehe der Verdacht, die Landesregierung wolle etwas verbergen. „Das grenzt an Vertuschung.“
„Wir werden es aber nicht zulassen, dass unsere berechtigten Fragen und unsere sachliche Kritik ignoriert werden und dass behördliches sowie polizeiliches Versagen unter den Teppich gekehrt werden kann“, erklären die Hinterbliebenen. Deshalb brauche es eine unabhängige Untersuchungskommission. Dieser sollten nach Vorstellung der Betroffenen Kriminologen, Forensiker, Juristen sowie Vertreter von Justiz, Polizei, Politik und Medien angehören – alle bestenfalls nicht aus Hessen.
Am 19. Februar 2020 hatte ein 43-Jähriger in Hanau neun Menschen aus Familien mit migrantischen Wurzeln erschossen, danach auch seine Mutter und sich selbst. In einem Schreiben hatte er zuvor einen Verfolgungswahn offenbart, aber auch rassistischen Hass.
Scharfe Kritik an den Behörden
Die Hinterbliebenen hatten bereits kurz nach der Tat Kritik an den Behörden geübt. So seien sie anfangs nicht über den Verbleib der Ermordeten informiert worden, bis heute seien ihnen die genauen Geschehnisse in der Tatnacht vorenthalten worden.
Zudem sei weiter offen, warum der psychisch kranke Attentäter eine Waffenerlaubnis behalten durfte oder warum der Notruf in der Tatnacht unterbesetzt war. Auch die Rolle, die der Vaters des Attentäters spielte, bleibe ungeklärt. Mit mehreren Anzeigen hatten die Familien versucht, Ermittlungen zu forcieren.
Das hessische Innenministerium verwies gegenüber der taz auf die laufenden „intensiven strafrechtlichen Ermittlungen“. Weder die Polizei noch das Ministerium könnten deshalb umfänglich zu konkreten Fragen, welche die Tatnacht beträfen, Auskunft geben. Nach Ende des Ermittlungsverfahrens werde man aber mit den Hinterbliebenen „alle wichtigen Erkenntnisse teilen“, sagte ein Sprecher. Zahlreiche Fragen seien zudem bereits in einer öffentlichen Landtagssitzung im Mai 2020 beantwortet worden.
Die Opferfamilien sehen das anders. Immer dort, wo es um mögliche Fehler der Behörden selbst geht, würden Fragen gerade nicht beantwortet. Es sei deshalb inzwischen „unumgänglich“, dass externe Fachleute, die keine Beziehungen zur Landesregierung hätten, den Terroranschlag aufklärten, schreiben die Hinterbliebenen. „Das Ziel ist, dass keine Familie erneut erleben muss, was wir erleiden müssen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter