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Expertin über Pflege in der Coronakrise„Es ist der blanke Wahnsinn“

Schon vor Corona mangelte es an Pflegekräften. In der Pandemie kommt dazu, dass auch noch Schutzausrüstung fehlt, sagt Pflegeexpertin Ellen Fährmann.

Auch Schutzausrüstung fehlt, sagt Pflegeexpertin Ellen Fährmann Foto: Markus Ulmer/imago
Pia Stendera
Interview von Pia Stendera

taz: Frau Fährmann, wegen der Coronapandemie dürfen Menschen nicht mehr zwischen ihrem Zuhause in Polen und der Arbeit in Deutschland pendeln. Was bedeutet das für die Pflegedienste?

Ellen Fährmann: Wir haben ohnehin eine problematischen Situation, die noch verstärkt wird, da unsere Mitarbeiter von der polnischen Seite nicht mehr täglich kommen können. Das betrifft ambulante Pflegedienste genauso wie Intesivpflegedienste. Einige Mitarbeitende sind bei Kolleginnen und Kollegen oder in Unterkünften untergekommen. Doch unterm Stricht fehlen einfach zu viele Pfleger und wir haben Probleme, die Dienste abzusichern.

Dieser Personalmangel ist ein bundesweites Problem, dass in Grenznähe besonders ausgeprägt ist. Wie viele Mitarbeiter:innen fehlen bei Ihnen in Brandenburg?

Schwer zu sagen, aber 250 sind es sicherlich. Und es fehlen nicht nur einzelnen Personen. Zum Teil brechen komplette Intensivteams von fünf Personen weg. Das bedeutet Mehrarbeit für die, die noch da sind und da befinden wir uns schnell im Konflikt mit dem Arbeitszeitgesetz.

Wie lösen Sie diesen Konflikt?

Manche Pflegekräfte sagen, sie nehmen das mit der Arbeitszeit gerade nicht genau, aber es ist eine arge Problematik. Zwei Wochen durch zu arbeiten macht auch krank. Wir haben das dem Arbeitsministerium Brandenburgs mitgeteilt, doch von dort kam die saloppe Antwort: Dann muss man eine Lösung finden. Sicherherstellungsaufträge [also Aufträge, die die Pflege von Pflegebedürftigen sicherstellen. Anm. d. Red.] sollten eingehalten werden, sagt das Land, aber wie sollen wir das machen? Ich habe mir vom Ministerium mehr erhofft.

Was erwarten Sie denn vom Ministerium?

Im Interview: Ellen Fährmann

ist Pflegesachverständige und Vorstandsvorsitzende der Landesgruppe des Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (BPA) in Brandenburg.

Die Pflegeeinrichtungen müssen besser vor der Übertragung des Coronavirus geschützt werden. Wenn die Tür zu ist, muss die Tür zu bleiben! Es ist verständlich, dass Angehörige die Patient:innen sehen und bei schönem Wetter mit ihnen spazieren wollen, aber wir brauchen Vorschriften.

Es gibt doch aber Regelungen dazu, wer Angehörige unter welchen Umständen in Pflegeeinrichtungen besuchen darf?

Die sind schwammig und unterschiedlich auslegbar. Außerdem fehlen klare Regelungen dazu, ob demente Pflegebedürftige beispielsweise festgehalten werden dürfen. Das wäre wichtig, um alle zu schützen, gleichzeitig besteht dann unter Umständen aber der Tatbestand der Freiheitsberaubung. Ich möchte die Leute in meinen Einrichtungen nicht massenweise von Bestattern abholen lassen, weil Besuch erlaubt ist, demente Bewohner rausgehen oder es an Schutzmaterial fehlt.

Gibt es denn schon Materialengpässe?

Ja, und die Situation wird nicht einfacher. Die Einrichtungen versuchen Material zu bekommen, aber es liefert kaum noch jemand. Masken kriegen sie nirgendwo auf dem freien Markt. Ich bin nur noch am Zahlen jonglieren und hin und her rechnen.

Was fehlt?

Wir haben von einer Erdölraffinerie 650 Liter Desinfektion geschenkt bekommen und die verteile ich auf die Pflegeeinrichtungen. Damit kommen sie ca. 14 Tage hin. Vom Landkreis gab es ein bisschen Material. Ich habe 20 Schutzkittel, 1.100 Paar Handschuhe und 60 FFP2-Masken für 2100 Beschäftigte bekommen. Es ist der blanke Wahnsinn.

Sind selbstgenähte Masken eine Hilfe?

Wir nutzen alles, was wir können. Die Menschen haben Angst. Wenn man ohne Schutzkleidung kommt, dann verzichten die Pflegebürftigen im Moment lieber auf Hilfe, aber das kann es nicht sein. Inzwischen melden auch die ersten Pflegedienste: Wenn wir nicht mehr mit Hilfsmitteln versorgt werden, müssen wir die Versorgung einstellen. Wenn das passiert, dann haben wir die Büchse der Pandora aufgemacht.

Die Büchse der Pandora? Warum sind gerade die ambulanten Pflegedienste und die häusliche Pflege so entscheidend?

Es sind noch viel mehr Pflegebedürftige draußen und in den Heimen, als im Krankenhaus. Wenn wir die nicht versorgen können, würde das bedeuten, die Gepflegten müssten ins Krankenhaus. Das ist undenkbar. [Denn wegen Corona droht ohnehin schon eine Überlastung der Kliniken. Anm. d. Red. ] Die Pflege wird an den Rand gedrängt, dabei sind genau wir, die an der Front – die, die Risikogruppen versorgen.

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4 Kommentare

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  • Die „Büchse der Pandora“ ist doch schon längst offen. Sie wurde geöffnet, als Menschen Verantwortung übernommen haben, die sie im Ernstfall nicht ausgefüllt bekommen, ohne dass irgendwelche Ministerien Wunder vollbringen. Für Wunder sind Ministerien nämlich nicht zuständig.

    Für Zeitungen gilt das Gesagte ebenfalls. Wer so professionell und effektiv wie möglich Panik verbreitet, braucht sich nicht wundern, wenn Menschen ihre Risiken nachher nicht mehr vernünftig gegeneinander abwägen können und lieber auf Wunder hoffen als auf die Vernunft.

    Die Sache ist doch so: Wenn man sich von einer Person ohne Schutzkleidung pflegen lässt, hat man ein gewisses Risiko, an Corona zu sterben. Glaubt man den „Experten“ liegt dieses Risiko irgendwo zwischen 0.3 und 5%. Lässt man sich hingegen aus Angst vor dem Risiko nicht pflegen von Leuten ohne Schutzkleidung (oder fürchtet man sich so vor den vermummten Helfern, dass man sie nicht an sich ran lässt), endet man unter Umständen mit einer deutlich größeren Wahrscheinlichkeit Final auf einer Intensivstation. Allerdings nicht zwingend mit Corona. Kommt nämlich ganz drauf an, welche Art Hilfe man gebraucht hätte. Vielleicht ist man ja „nur“ mit seinen Medikamenten durcheinander gekommen und hatte deshalb einen Schlaganfall.

    Klar, es wäre gut, wenn die zuständigen Aufsichtsbehörden nicht nur die Aufsicht hätten, sondern im Ernstfall auch danach fragen würden, wieso ihre Regeln grade nicht befolgt werden. Wäre auch schön, sie könnten für Abhilfe sorgen und etwa Schutzkleidung aus dem Zylinder zaubern. Aber mal ehrlich: Wer würde schon in einer Aufsichtsbehörde Papier verwalten, wenn er mehr Spaß an der praktischen Lösung auftretender Probleme (oder am Aufführen von Zaubertricks) hätte, als daran Leute zu gängeln, die genau das jeden Tag (und notfalls auch mit wenig tauglichen Mitteln und nicht wirklich großen Erfolgsaussichten) versuchen?

    Ich meine: Wir haben ja bis vor Kurzem in einem vergleichsweise freien Land gelebt...

  • Dieses hohle Gerede zu Einmalzahlung - peinliche Beruhigungspillen fürs pflegende Volk? Da lasst uns Alle nochmal auf den Balkon gehen und klatschen vor Dankbarkeit. Spürbare Verbesserungen, bessere Personalausstattung, bessere Arbeitsbedingungen - seit Jahrzehnten wird die "Pflegebranche" auf Gewinn optimiert, auf Teufel komm raus privatisiert, Personalkosten im Interesse der Aktionäre gesenkt. Zu den Bedingungen arbeiten dann nur noch Pflegekräfte aus EU -"Partnern", die dann dort fehlen, welche Anmassung der deutschen Gesundheitspolitik. Da ist bestimmt der Ein oder die Andere, die auf ein Lösung durch sozialverträgliches Ableben der kosten- und personalintensiven älteren Zielgruppe im Zeichen von Corona hoffen - weniger Kranke, weniger Ältere heisst weniger benöigtes Personal und für manche Entscheidungsträger*innen weniger Probleme. Ups, unaussprechliche Gedanken, widerlich und in unserem humanistischen Weltbild nicht erwünscht? Genau, siehe Flüchtlingslager , ach nein, da nehmen wir ja gerade 10 unbegleitete Kinder auf. Ruhe sanft, alles wird gut, ist ja Ostern, Fest der Auferstehung, von wem nochmal? Heinz

    • @Heinz Kurtenbach:

      Reden ist Blech, Handeln ist Gold.



      Probleme lassen sich immer aus der Makroperspektive aufs einfachste Gliedern, Schuldzuweisungen stellen - sobald man aber in der Praxis auch nur eines angeht, tun sich sofort 10 andere in Abhängigkeit auf.



      In jeder Krise zu rufen, dass nicht ständig alles für diese Krise vorbereitet wurde ist infantil, das geht nicht, selbst wenn die Art der Krise vorher eingrenzen könnte. Es ist naiv zu glauben man könnte Jahre und Jahrzehnte genug Personal vorhalten, damit es in einem Krisenfall alle Probleme Bewältigen kann. Es ist die Natur einer Krise ein Ausnahmefall zu sein. Wir nehmen gerade die größte Rezession in der neueren Geschichte der BRD in Kauf um Risikogruppen zu schützen - in dem Kontext davon zu Rhabarbern, dass man hier ganze Bevölkerungsgruppen en passant loswerden will, ist schlicht widerlich und geht komplett an der Realität vorbei.



      Sicher kann man vieles besser machen - aber das aus dem Sessel heraus in Selbstgefälligkeit zu fordern, ist was anderes als in der Realität dafür zu arbeiten. Da stößt man selbst bei bestem Willen schnell auf die Mühen der Ebenen. Und hier gilt mein Respekt eben jenen, die sich diesem Kampf täglich stellen, egal ob im Ministerium, in der Klinik oder im Heim, egal ob in Verwaltung oder direkt am Patienten. Ich unterstelle erst mal niemand schlechten Willen, und ich halte es für infantil, ein zwar nicht perfektes, aber besser als an vielen anderen Orten der Welt arbeitendes Gesundheitssystem, nur schlecht zu reden. Alle haben Probleme mit Corona auf der Welt, niemand war ausreichend vorbereitet - weil das nicht geht. Manches hätte besser sein können, ja, aber das kann es immer.

      Was wird bei einem Solar Flare-Event dann gefordert? Das das Stromnetz doppelt vorhanden sein muss? Was für einem Supervulkanausbruch?

      Man kann nicht ständig provisionieren für jeden möglichen Krisenfall - und ja, einzelnes kann und wird verbessert und neu bewertet werden bei der zunehmenden globalen Vernetzung.

  • 0G
    05158 (Profil gelöscht)

    23.05.2018-



    Sofortprogramm Pflege

    Gesetz zur Stärkung des Pflegepersonals (Pflegepersonal-Stärkungsgesetz - PpSG)

    Mit dem Gesetz sollen spürbare Verbesserungen im Alltag der Pflegekräfte durch eine bessere Personalausstattung und bessere Arbeitsbedingungen in der Kranken- und Altenpflege erreicht werden. Das Gesetz ist ein wichtiger Schritt, um die Pflege und Betreuung der Patientinnen und Patienten und Pflegebedürftigen weiter zu verbessern.

    05.03.2020-"Die Krankenhäuser müssen bei der Personalplanung flexibel auf die Ausbreitung des Coronavirus reagieren können. Deshalb entlasten wir sie in dieser Lage bis auf weiteres von Dokumentationsaufwand und Auflagen in der Pflege", so Spahn.

    19.03.2020 -Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat ein umfassendes Paket verkündet mit dem Ziel, Pflegekräfte in Deutschland zu unterstützen.

    23.03.2020-Um die Corona-Krise zu bewältigen und Deutschland vor Folgen zu schützen, hat Gesundheitsminister Spahn finanzielle Hilfen für das Gesundheitswesen angekündigt - von einer Pauschale für leere Krankenhausbetten bis hin zu mehr Geld für Pflegekräfte.

    04.04.2020-Gesundheitsminister Jens Spahn will Corona-Helden in Pflegeberufen einen Extra-Bonus zahlen.



    (.....► „Wir sind offen für einen einmaligen Bonus in Höhe von bis zu 1500 Euro“, sagte Friedhelm Fiedler (71) vom Arbeitgeberverband Pflege zu BILD.

    „Diese große Geste wäre absolut sinnvoll.“ Jedes Unternehmen müsse allerdings selbst über eine solche Zahlung entscheiden, sagte Fiedler.......)

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