Experte über EU-Verbot für Einwegplastik: „Brauchen ein Müllminderungsziel“
Umweltlobbyist Thomas Fischer begrüßt das EU-weite Aus für Plastikstrohhalme und Pommes-Pappe ab diesem Samstag – und fordert mehr.
taz: Herr Fischer, die weiße kunststoffbeschichtete Pappschale für Pommes aus dem Imbiss und der Plastikstrohhalm für die Limo, also das Einwegplastik, das ab 3. Juli EU-weit nicht mehr verkauft werden darf – wie böse ist das?
Thomas Fischer: Es ist absolut verzichtbar. Es wird immer so getan, als sei es lächerlich, wenn jetzt Plastikgeschirr und -besteck, Luftballonstäbe, Rührstäbchen für Tee, Styroporbecher und -behälter fürs Essen zum Mitnehmen verboten werden. Aber man sollte das nicht kleinreden. Spanische Forscher haben gerade erst gezeigt, dass ein Großteil des Plastikmülls in den Ozeanen von Essen- und Getränkeverpackungen für Lieferessen und Take-away stammt. Die vermüllen Parks und Straßen werden dann mit dem Regen in Flüsse gespült und landen am Ende in den Meeren. Mit dem Verbot kommen jetzt endlich Alternativen zur Wegwerfkultur.
Die Pappschachtel ist aber nicht unbedingt gut!
Pappe, Aluminium, alles was Einweg ist, ist nicht besser. Immer werden für die Herstellung Ressourcen, viel Energie und Wasser gebraucht. Auch der öko anmutende bräunliche Teller aus gepresstem Palmblatt aus einer malaysischen Monokultur ist Unsinn und wird mit Chemikalien behandelt. Mehrweg – das gibt es selbst für Sushi oder Pizza – ist immer das Beste…
…und umständlich.
Manche schreckt es vielleicht ab, wenn sie fünf Euro Pfand zahlen müssen für eine Essensschale. Aber das Kölner Start-up Vytal hat zum Beispiel eine App entwickelt. Die laden Sie auf Ihr Handy, melden sich dort an. Wenn Sie dann bei den gut 1.000 Partnerunternehmen etwas bestellen, bekommen Sie das in Mehrweg. An der Kasse wird die Schale und der QR-Code auf ihrer App eingescannt. Da zahlen Sie für das Geschirr nur, wenn Sie es innerhalb von 14 Tagen nicht zurückbringen.
Viele nehmen schon Stofftaschen mit zum Einkauf, füllen Trinkflaschen auf. Trotzdem heißt es in einer erst vor wenigen Tagen veröffentlichten australischen Studie , dass die Produktion von Einwegkunststoffen in den nächsten fünf Jahren um 30 Prozent steigen könnte.
Ein Drittel der hergestellten Kunststoffe wird im Verpackungsbereich eingesetzt. Die Baubranche, die Automobilbauer brauchen natürlich auch Kunststoff. Aber ein Auto werfen sie nicht nach einem Tag weg, ein Haus auch nicht. Das Problem sind die schnell drehenden Konsumgüter, da müssen wir als erstes ran.
Was würden Sie noch verbieten?
Balkon-, Garten- und Zimmerpflanzen, die im Supermarkt oder in Bau- und Gartenmärkten zu kaufen sind, werden in schwarzen Einweg-Plastikpaletten transportiert, vom Erzeuger zum Großmarkt und zum Kunden. Am Ende werden die vernichtet, das sind rund 170 Millionen Paletten im Jahr. Dabei sind die Transportwege immer dieselben, das ist ein Kreislauf, in dem Mehrweg gar kein Problem wäre. Dasselbe bei Obst- und Gemüsekisten, beim Discounter Lidl zum Beispiel gibt es trotzdem keine Mehrwegkisten.
Schon Anfang der 70er Jahre schlugen US-Wissenschaftler Alarm, dass Plastikreste über weite Areale im Atlantik treiben. Was ist dann passiert?
1978 hat Coca-Cola die Einweg-PET-Flasche eingeführt, spätestens dann kamen die Wegwerfprodukte zuhauf in die Supermärkte. Heute werden für Coca-Cola pro Minute 167.000 Einweg-Plastikflaschen hergestellt – der Konzern ist der größte Plastikproduzent weltweit, danach folgen Nestlé, Danone und Tetra Pak. Die Basis dieser Produkte stellen die Mineralöl,-Gas- und Chemiekonzerne her, Exxon Mobil, Dow Chemical, auch BASF. Und die Deutschen denken bis heute, sie seien super im Müllsammeln, weil es den Gelben Sack gibt.
Was ist genau falsch am Gelben Sack?
Nur etwas mehr als die Hälfte dessen, was im Gelben Sack landet, wird überhaupt recycelt. Ein Großteil wird verbrannt.
Wie bringt man das in Ordnung?
Öl ist spottbillig, neues Plastik somit zu günstig. Recycling rechnet sich vielfach nicht. Deshalb muss Plastik aus Neumaterial richtig teuer werden.
Seit diesem Jahr müssen die EU-Mitgliedstaaten pro Kilogramm nicht recyceltem Plastikmüll 80 Cent nach Brüssel überweisen. Hilft das?
Diese Plastiksteuer gibt es nur auf dem Papier. Das Geld, das nach Brüssel überwiesen wird, ist Steuergeld von Bürgerinnen und Bürgern. Es stammt gar nicht von den Verursachern der Plastikmüllkrise, also den Verpackungsherstellern, die dafür eigentlich zahlen müssten. Das hat SPD-Finanzminister Olaf Scholz blockiert. Außerdem brauchen wir jetzt dringend ein konkretes Müllminderungsziel.
Wir haben das Kreislaufwirtschaftsgesetz, mit dem Müll Geschichte werden soll.
Das ist reine Theorie. Würden alle Länder so viele Ressourcen verbrauchen wie Deutschland, bräuchten wir schon heute drei Erden. Stellen Sie sich mal den Klimaschutz ohne CO2-Minderungsziel vor, da ginge auch nichts. Und dann müssen Sie umsteuern: Wer Plastik verbrennt, sollte künftig einen CO2-Preis zahlen, bisher sind die Anlagen vom Emissionshandel ausgenommen. Und genau wie Diesel, Benzin oder Heizöl mit einer Energiesteuer belegt ist, sollte auch das Öl zur Herstellung von Plastik besteuert werden. Bislang ist es davon befreit. Das macht mindestens 700 Millionen Euro pro Jahr.
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