Ex-Präsident der Sowjetunion gestorben: Gorbatschow folgt Glasnost ins Grab
Im Westen wurde er verehrt: Michail Gorbatschow, der das Ende der UdSSR einläutete. Russlands Krieg in der Ukraine muss ihn geschmerzt haben.

S eine Beileidsbekundungen zum Tod von Michail Gorbatschow dürften Russlands Präsidenten Wladimir Putin nicht leicht über die Lippen gekommen sein. Ja mehr noch: Er und seine Entourage weinen, ganz anders als viele im Westen, dem einstigen Generalsekretär der KPdSU sowie dem letzten und einzigen Präsidenten der Sowjetunion, keine Träne nach. Warum sollten sie auch?
Schließlich steht Gorbatschow wie kein anderer für den Untergang der einst so mächtigen Sowjetunion, die doch auf ewig währen sollte. Dieses „unsägliche“ Erbe zumindest teilweise zu revidieren, das ist das Projekt von Präsident Putin – sei es auch durch Anwendung von Gewalt und um den Preis zahlloser verlorener Menschenleben, wie derzeit in der Ukraine.
Doch es geht nicht nur um den Versuch, dem einstigen Imperium wieder Leben einzuhauchen und zu vergangener Größe zu verhelfen. Begriffe, wie Glasnost und Perestroika, muten im Russland von heute nahezu futuristisch an. Wo sind die Parlamentsdebatten, die zu Zeiten Gorbatschows Zigtausende vor den Bildschirm holten? Wo sind die Medien, die Kontroversen abbildeten und den Raum bekamen, auch unangenehme Wahrheiten zu thematisieren?
Und: Wo sind sie, die Menschenrechtler*innen, die damals damit begannen, sich mit den Verbrechen der Stalin-Zeit auseinanderzusetzen? Die Antwort fällt so klar wie kurz aus: Zum Schweigen gebracht. So gesehen haben Putin und seine Getreuen Gorbatschow schon beerdigt, und das bereits vor langer Zeit. Was wird von dem Mann, der Weltgeschichte geschrieben hat, in Erinnerung bleiben? Das Bild ist zwiespältig und ambivalent.
Zum einen die Erkenntnis, dass er seiner Zeit weit voraus war, ohne jedoch ein Demokrat im eigentlichen Sinne gewesen zu sein, als der er im Westen, aus verständlichen Gründen, so gerne gesehen und letztendlich bis heute verklärt wird. Dennoch bleibt es sein Verdienst, Türen in Richtung Westen aufgestoßen, die ehemaligen Satelliten entlassen und die europäische Nachkriegsordnung nachhaltig geprägt zu haben.
Doch trotz aller Widersprüchlichkeiten und unterschiedlicher Bewertungen – dem Menschen und Politiker Gorbatschow haftet eine gewisse Tragik an. Diese besteht vor allem darin, bis zum Schluss seines Lebens eins nicht verstanden zu haben: dass es seine Reformen waren, die in letzter Konsequenz den Zusammenbruch der Sowjetunion unweigerlich zur Folge haben mussten.
Russlands Krieg gegen die Ukraine – diese Entwicklung muss für Gorbatschow schmerzhaft gewesen sein. Man hätte ihm wünschen wollen, dass ihm die letzten Monate erspart geblieben wären. Und nicht nur ihm. Wie dieses Abenteuer für Russland ausgehen wird, weiß niemand. Manche Beobachter*innen schließen auch einen Zerfall Russlands nicht aus.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
Wahlkampf in Deutschland
Rotzlöffeldichte auf Rekordniveau
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA entwerfen UN-Resolution zum Krieg in der Ukraine ohne jede Kritik an Russland
+++ Die USA unter Trump +++
Trump entlässt den Generalstabschef der US-Streitkräfte