Ex-Heimkinder zu Hamburgs Heim-Plänen: „Wir sind klar dagegen“
Ehemalige Betroffene protestieren gegen ein geplantes geschlossenes Kinderheim in Hamburg. Auch einige Anwohner sind skeptisch.
Ein NDR-Team filmte die Ansprache, mit der Martinez vor dem Heim warnte. Er hat eine Interessengemeinschaft der Ehemaligen der brandenburgischen Haasenburg-Heime initiert und kennt hundert Betroffene. „Ich hab einen guten Einblick erfahren, wie es in dem Seelenleben dieser ehemaligen Kinder aussieht“, sagte er. „Und ich habe noch nie so viele zerstörte Seelen gesehen. Menschen mit so viel Potential, deren Leben von Angst bestimmt ist.“ Diese Angst habe eine Institution beigebracht, die helfen sollte. Das sei „eine Schande“.
Die Sozialbehörde konnte am Freitag noch nicht sagen, wann der Bau des inzwischen „Casa Luna“ getauften Heims beginnt. Ihr Sprecher betont aber, dass es sich nicht um ein geschlossenes Heim handle. Es sei vielmehr eines, das „auch“ Kinder geschlossen unterbringen könne. Hier werde eine Angebotslücke geschlossen.
Ombudsstellen sind auch gegen geschlossene Heime
Laut den Bauplänen, die kursieren, soll es im ersten Stock, also fern des Ausgangs, eine gesonderte Aufnahmestation mit vier Plätzen geben. Die Relativierungen der Stadt beruhigen die Sorgen der Betroffenen nicht. Dürfe das eine Kind raus, das andere nicht, sei es ein „Zweiklassensystem, das Konflikte provoziert“, sagte eine junge Frau aus Leipzig. Auch sie schilderte am Zaun ihre Geschichte. Sie sei als Kind vom Jugendamt geschlossen untergebracht worden und habe dadurch jedes Vertrauen in Erwachsene verloren. „Das bedeutet, im Winter bei Schnee und Kälte lieber in fremden Kellern zu schlafen, als im Jugendamt noch mal nach Hilfe zu fragen.“
Die beiden, die von weiteren Ex-Heimkindern unterstützt wurden, appellierten an die Anwohner, dem Bauprojekt zu widersprechen. Es sei keinesfalls so, dass die geschlossen untergebrachten Kinder Schwerverbrecher seien, erklärte Martinez. Er und viele andere seien wegen Schulschwänzens eingesperrt worden.
Das Wort ergriffen auch die Schriftstellerin Gritt Poppe, die über DDR-Jugendheime schrieb, und Sozialarbeiter wie die Leiterin der Hamburger Ombudsstelle für Kinder und Jugendhilfe, Anja Post-Martens. Inzwischen lehnt das bundesweite Netzwerk aller Ombudsstellen geschlossene Heime ab und hält sie auch für rechtlich unzulässig.
Anwohner erinnerten daran, dass vor 15 Jahren ein solches Heim in der Feuerbergstraße wieder schließen musste, weil es nicht funktionierte. „Warum“, sagte eine Nachbarin, „setzt man uns dann hier so ein Ding hin?“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken