Evakuierung aus Sudan: Unübersichtlich und gefährlich
Angesichts der Lage in Sudan evakuieren Deutschland und andere EU-Länder ihre Staatsbürger*innen und Ortskräfte. Die Lage erinnert an Afghanistan.
„Es ist eine komplexe Aktion gewesen und es ist eine erfolgreiche Aktion gewesen“, erklärte Borrell. Der Spanier dankte Frankreich für seine Hilfe beim Ausfliegen „unserer Leute“. Borrell würdigte aber auch „die vereinten Bemühungen vieler Länder“, die „alle Staatsbürger, die sie aufsammeln konnten, mitgenommen haben“.
Die Worte des Außenbeauftragten lassen erraten, wie schlecht die EU auf die neuerliche Krise im Sudan vorbereitet war. EU-Botschafter Aidan O’Hara war vergangene Woche in seinem Haus attackiert worden. Seither hat sich die Sicherheitslage im gesamten Land dramatisch verschlechtert. Auch Europäer sind nicht mehr sicher.
Doch noch am vergangenen Freitag, bei der Vorbereitung des Außenministertreffens, war keine Rede von einer kurz bevorstehenden Evakuierung. Die Rettungsaktion wurde erst am Wochenende organisiert – und mehr schlecht als recht koordiniert. Aus Berlin, Paris und Brüssel kamen ganz unterschiedliche, zum Teil widersprüchliche Nachrichten.
Wettlauf gegen die Zeit
So sagte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock ihre Teilnahme am Außenministertreffen der EU in letzter Minute ab. Sie müsse sich daheim in Berlin um die Organisation der Evakuierung kümmern, hieß es. Derweil hatte Frankreich schon mit Rettungsflügen begonnen – mit einer Luftbrücke zwischen Khartum und Djibouti.
Nun ist die Evakuierung ein Wettlauf gegen die Zeit in einem von erbitterten Kämpfen erschütterten Land. Die Lage ist unübersichtlich, die Mission der Bundeswehr gefährlich. Zwar habe es bisher noch keine kritische Situation gegeben, sagte ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums. Aber bereits jetzt wird über andere Fluchtwege, etwa auf dem Landweg oder Seeweg, nachgedacht.
Zentraler Punkt für die Mission ist ein militärisch gesicherter Flugplatz nahe der Hauptstadt Khartum. Im Einsatz ist das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr, aber auch die für besondere Einsätze im In- und Ausland ausgebildete GSG 9 der Bundespolizei und die Einheit der Bundespolizei, die sich um den Schutz deutscher Diplomaten im Ausland kümmert. Im Moment geht das Auswärtige Amt davon aus, dass noch deutsche Staatsangehörige vor Ort sind.
„Vor zehn Tagen ist ein Alptraum über den Sudan hereingebrochen“, sagte Außenministerin Baerbock in einer kurzfristig mit Verteidigungsminister Boris Pistorius einberufenen Pressekonferenz am Montagabend. Über 400 Menschen seien bereits gestorben. Die vereinbarte Feuerpause gehe in wenigen Stunden zu Ende. Der Krisenstab setze seine Arbeit fort, um für die deutschen Staatsangehörigen vor Ort, Wege raus aus dem Krisenland zu finden.Pistorius zufolge konnte die Bundeswehr bisher rund 400 Menschen ausfliegen. Er bezeichnete die Mission als „außerordentlich komplexen Einsatz“, an dem 1000 Soldat:innen beteiligt seien. Ein Bundestagsmandat für den Evakuierungseinsatz will sich die Bundesregierung nachträglich vom Bundestag einholen. Außenministerin Baerbock zufolge wird das Parlament sich voraussichtlich am Mittwoch mit dem Sudan-Mandat befassen.
„Zugleich wissen wir, das Leid für die Menschen in Sudan geht weiter“, sagte Baerbock. Und sie appellierte an die beiden kämpfenden Gruppen: „Wenn Ihnen etwas an ihrem Land liegt, dann legen Sie die Waffen nieder. Das Sterben in Sudan muss aufhören.“ Der Afrikabeauftragte des Auswärtigen Amtes Christoph Retzlaff ist derweil in die Region geflogen, um nach Wegen für eine friedliche Lösung zu suchen.
Mitte April entbrannten schwere Kämpfe zwischen den zwei mächtigsten Generälen des Landes und ihren Einheiten. De-facto-Präsident Abdel Fattah al-Burhan, der auch Oberbefehlshaber der Armee ist, kämpft mit dem Militär gegen seinen Stellvertreter Mohammed Hamdan Daglo, den Anführer der mächtigen paramilitärischen Gruppe Rapid Support Forces (RSF).
Erinnerungen an Kabul?
Jean Asselborn, Außenminister Luxemburgs
Auch Ägypten, China, Italien, Saudi-Arabien, Spanien, Südafrika und die Türkei kümmerten sich am Montag um die Rückführung ihrer Bürger. Zuvor hatten bereits die USA und Großbritannien Botschaftsmitarbeiter aus Khartum ausgeflogen. Die EU wirkte im Vergleich zu den internationalen Bemühungen wie ein Nachzügler.
Die Lage erinnert an die katastrophale Evakuierung aus Kabul im Jahr 2021. Auch damals waren die Europäer von den Ereignissen überrascht worden. Ähnlich wie damals drohen auch diesmal die einheimischen Ortskräfte auf der Strecke zu bleiben. Deutsche und andere EU-Bürger hätten Vorrang, erklärte ein Regierungssprecher in Berlin.
Das Auswärtige Amt betonte, dass die Lage sich deutlich von der Situation von Ortskräften in Afghanistan unterscheide. „In Afghanistan ging es bei den Ortskräften darum, dass das Personen waren, die in den Augen der Taliban westliche Verräter waren und auf die gezielt Jagd gemacht wurde“, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts. „Hier haben wir es ja mit einer Situation zu tun, wo sich gerade zwei Armeen bekriegen und die keinerlei Rücksicht auf irgendwelche Zivilisten nehmen, aber jetzt nicht gezielt gegen unsere Ortskräfte vorgehen.“ Es gebe eine gesetzliche Verpflichtung zur Rettung eigener Staatsbürger.
Außenministerin Baerbock erklärte am Montagabend: „Wir sind unseren lokal Beschäftigten sehr dankbar.“ Man unterstütze die Menschen vor Ort, in dem etwa ihr Gehalt weiter gezahlt werde. Zudem hätten sie nicht den Wunsch geäußert, ausgeflogen zu werden.
Eine Sprecherin des Bundesentwicklungsministeriums versicherte gegenüber der taz, dass die GIZ sich für die Sicherheit ihrer nationalen Mitarbeiter einsetze und mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln unterstütze. „Zum Beispiel informiert sie sie eng über die aktuelle Sicherheitssituation, gibt konkrete Handlungsanweisungen und bietet psychologische Beratung an“, so die Sprecherin.
Menschen im Sudan nicht vergessen
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn mahnte dagegen, die lokale Bevölkerung nicht zu vergessen. Was in Sudan passiere, sei eine große Katastrophe, sagte er vor dem EU-Treffen in Luxemburg. „Denken wir auch an die Menschen, die nicht evakuiert werden können, die im Sudan leben“, forderte Asselborn.
Es ist nicht das erste Mal, dass die EU im Sudan kalt erwischt wird. Bei Protesten der Opposition 2019, die mit Gewalt niedergeschlagen wurden, machten die Europäer auch schon keine gute Figur. Sie riefen alle Beteiligten zu einer Rückkehr an den Verhandlungstisch auf, hielten sich ansonsten aber heraus.
Seit dem Militärputsch im Oktober 2021 leistet das Bundesentwicklungsministerium sogenannte regierungsferne Unterstützung für die Bevölkerung in Sudan. Dabei geht es etwa um Nahrungsmittelhilfen, Bildungsangebote und Gesundheitsversorgung. Alles findet in Zusammenarbeit mit UN-Organisationen und NGOs statt. Sudan im Nordosten Afrikas zählt zu den ärmsten Ländern der Welt.
Durch den Militärputsch, aber auch aktuell durch den Mangel an Nahrungsmitteln bedingt durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine hat sich die Lage vor Ort verschärft. Das Bundesentwicklungsministerium stellte 2022 rund 110 Millionen Euro an Hilfen für die Bevölkerung bereit. Derzeit sind aus Sicherheitsgründen die Aktivitäten der deutschen Entwicklungszusammenarbeit weitgehend ausgesetzt worden.
„Kaum noch arbeitsfähig“
Auch das evangelische Hilfswerk Brot für die Welt fördert derzeit in Sudan verschiedene Projekte. Es geht dabei zum Beispiel um die Unterstützung für Frauen und Kinder, um Bildungsarbeit und Hilfen für Binnenvertriebene.
„Die Partnerorganisationen berichten uns, dass sie unter den aktuellen Umständen kaum noch arbeitsfähig sind und mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben wie die restliche Zivilbevölkerung. Dazu gehört, dass Wasser und Lebensmittel knapp werden“, sagte eine Sprecherin des Hilfswerks gegenüber der taz. Es handele sich um sudanesische Partnerorganisationen, die ihrerseits Mitarbeitende beschäftigten. Unklar ist, wie viele Personen beschäftigt sind. Man sei in Kontakt mit den Partnern und prüfe, inwieweit man helfe könne. Um Evakuierungen gehe es an dieser Stelle aber nicht, da keine Ausländer betroffen seien.
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