Eurovision Song Contest: Wie immer geht es nicht ohne das Politische
Morddrohungen in der Schweiz? Auch das ist Teil des Eurovision Song Contests. Wenige Tage vor dem Finale geht es sowohl um Musik als auch um Politik.

G rüezi mitenand! Der Eurovision Song Contest ist zurück, im Geburtsland des ESCs. Zum dritten Mal lädt die Schweiz ein – das Land, das global mit Neutralität assoziiert wird. Die Welt kommt diesmal nach Basel – einer Bilderbuchstadt, die sich selbst als „Stadt der Museen“ bezeichnet. Hier gibt es viele Fahrräder, enge Straßen, umgeben von Grün wird Basel durchzogen vom Rhein. Die Stadt liegt im Dreiländereck, wenige Kilometer entfernt von Deutschland und Frankreich.
„United by music“ ist das diesjährige Motto – zum dritten Mal in Folge. Doch so sehr der ESC unpolitisch sein möchte, so unmöglich scheint dies – wie eigentlich immer – auch in diesem Jahr. Für Israel tritt Yuval Raphael mit „New Day Will Rise“ an. Die 24-Jährige besuchte das Nova-Musikfestival 2023 und überlebte das Massaker vom 7. Oktober.
Das Massaker, bei dem 364 Menschen von der Hamas getötet wurden sowie die Entführung von Dutzenden Geiseln in den Gazastreifen führte zum Krieg in Israel und Gaza. Zunehmend kam dabei auch die israelische Regierung in die Kritik, weil sie die desaströse humanitäre Lage im Gazastreifen, unter anderem mit Blockaden von Hilfslieferungen, weiter zuspitzte.
Nemo fordert Ausschluss Israels
Palästinensische Gruppen fordern deshalb den Ausschluss Israels vom ESC. Teil der Begründung ist, dass Russland nach der Invasion auf die Ukraine auch nicht mehr singen darf. Auch Verantwortliche, Musiker und ESC-Fans aus anderen Ländern pochen auf den Ausschluss. In einem offenen Brief fordern mehrere ehemalige ESC-Acts den Ausschluss Israels, so auch Nemo, letztes Jahr auf Platz eins.
Die European Broadcasting Union erklärte, dass Israel am Wettbewerb teilnehmen darf, weil das Land durch die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt KAN und nicht durch seine Regierung vertreten wird.
Auf die Frage, ob Israel teilnehmen sollte oder nicht, gibt es keine eindeutige Antwort, die alle zufriedenstellen würde. Am Ende ist der ESC ein Musikwettbewerb, bei dem Länder antreten und ja, Länder haben politische Interessen und Ausrichtungen, Menschen ihre politischen Einstellungen und Erfahrungen. Das Dilemma endet in Debatten darüber, was Kunst darf, wo Kunst darf, wie Kunst darf. Ob es von der Nationalität abhängt, ob Kunst darf. Wo Unterhaltung aufhört, wo Positionierung beginnt.
Was nicht geht, ist einer ESC-Teilnehmerin eine Mordgeste entgegenzuwerfen. Genau das passierte bei der Eröffnungsfeier am Sonntag in Basel, als ein pro-palästinensischer Zuschauer seine Hand an seinem Hals legte und damit dann auf die andere Seite seines Halses fuhr. Auch heute sieht man neben den Flaggen der teilnehmenden Länder in der Schweizer Bilderbuchstadt Palästina-Flaggen. Es war nicht geplant, dass dieser Text Politik aufgreift, doch wie der ESC selbst kommt auch die Berichterstattung da jedes Jahr nicht drumherum.
Ein Hauch von Bodenständigkeit
So verzwickt die Lage auch ist, geht es bei dem Wettbewerb um Unterhaltung und – laut den Veranstaltern – um Einheit durch Musik. Gestern nannte ein Restaurantmitarbeiter den Dienstag und Mittwoch die „Ruhe vor dem Sturm“, ab Donnerstag werden 500.000 Besucher erwartet. Vor der Baseler St. Jakobshalle campieren einige Fans schon, am Nachmittag interviewt eine Reporterin zwei Schweden im Bademantel, die angereist sind, um KAJ mit ihrem Sauna-Song „Bara Bada Bastu“ zu unterstützen.
Beim österreichisch-deutschen Botschaftsempfang wird Einigkeit versprüht – die Moderatorin witzelt auf der Bühne über die Freund-Feindschaft der deutschsprachigen Nachbarländer, die sich in der Regel wenig Punkte schenken. Dieses Jahr könnte das anders sein, denn der deutsche Act, das Geschwisterpaar Abor & Tynna, kommt aus Österreich. Beim Botschaftsempfangskonzert singt Tünde Bornemisza (Tynna) mit rauchiger Stimme ihren Song „Baller“ in einer Akustikversion, begleitet von ihrem Bruder auf einem weißleuchtendem E-Cello.
Als die Moderatorin Attila Bornemisza (Abor) nach der Performance fragt ihm bisher vor Ort am besten gefallen hat, lobt er – statt sich selbst zu beweihräuchern – die Organisation des Riesenevents ESC. Bodenständig sind sie, die Österreicher, die Deutschland vertreten. Talentiert auch. Und unaufgeregt. Und bei all dem, was rund um den Wettbewerb bis zum Finale am Samstag noch alles abgehen wird, scheint ein unaufgeregter, bodenständiger Fokus auf Talent und Unterhaltung ein guter Weg.
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