: Euros für Arafats Topf
Europaparlament-Ausschüsse segnen Zahlungen für Palästina aus Mittelmeeranrainer-Etat ab
aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER
Man nehme einen Schuss staatsmännische Gelassenheit, ein paar Buchungstricks und die moralische Keule Rassismusverdacht – mehr braucht es nicht, um die Abgeordneten im Europaparlament zu beschwichtigen. Sie hatten den für Außenbeziehungen zuständigen Kommissar Chris Patten vor den Auswärtigen Ausschuss geladen. Er sollte zu den Anfang Mai von Israel vorgebrachten Anschuldigungen Stellung nehmen, mit europäischen Hilfsgeldern für Palästina würden Waffen gekauft und die Familien von Selbstmordattentätern unterstützt.
Sollten die Auskünfte nicht zufrieden stellend ausfallen, wollte das Parlament Gelder sperren: Patten will 18,7 Millionen Euro aus dem Fördertopf für Mittelmeeranrainer (Meda) in das Budget umschichten, aus dem der Friedensprozess im Nahen Osten gefördert wird. Dafür braucht er die Zustimmung des Parlaments.
Gleich einleitend nahm der Politprofi Patten seinen Kritikern den Wind aus den Segeln: Der Ausschussvorsitzende Elmar Brok und seine Stellvertreter sollten in Zukunft alle Prüfberichte zur Palästinahilfe einsehen dürfen. Wer glaube, er wolle von den Abgeordneten Geld für Arafats Autonomiebehörde, sei ohnehin „schief gewickelt“. Das Geld sei für den Friedensprozess bestimmt. Allerdings, so musste Patten auf Nachfrage einräumen, sei das Haushaltsloch im Budget nur entstanden, weil er die Direkthilfe an die Autonomiebehörde für Januar und Februar aus diesem Topf bezahlt habe.
Unbeirrt von solchen Buchungstricks wollte der konservative Abgeordnete Armin Laschet wissen, wie die Kommission kontrollieren wolle, wozu Arafats Behörde das EU-Geld verwende. Patten verweise stets auf den Vertreter des Internationalen Währungsfonds vor Ort. Karim Naschaschibi sei ein Mitglied des Arafat-Clans und bis vor kurzem als neuer Finanzminister der Autonomiebehörde vorgesehen gewesen. Im Spiegel habe er am 27. Mai gesagt, er sei als IWF-Vertreter kein Rechnungsprüfer. Er kontrolliere lediglich, ob die Summen nach Haushaltsplan in korrekter Höhe in die vorgesehenen Ressorts fließen.
Die Andeutungen, die der „ehrenwerte Herr in seinen länglichen Ausführungen“ mache, seien „buchstäblich monströs“, antwortete Patten in gefährlich sanftem Ton. „Soll das heißen, dass Naschaschibi nicht zu trauen ist, weil er palästinensischer Herkunft ist?“ Gleich zu Beginn von Laschets Rede hatte der grüne Abgeordnete Cohn-Bendit nach vernichtendem Zwischenruf – „läscherlisch“ – den Saal verlassen. Pattens Kalkül ging zu hundert Prozent auf. Das Risiko, als antipalästinensischer Rassist, als Antisemit der anderen Art eingeordnet zu werden, wollte keiner der Abgeordneten eingehen. Patten bekam sein Geld – bei nur zwei Enthaltungen und einer Gegenstimme.
Lediglich die ehemals grüne, jetzt parteilose Ilka Schröder war mit ihrem respektlos-kritischen Blick auf den Politprofi wieder für eine Überraschung gut. „Warum finanzieren Sie indirekt Kräfte, die den einzig sicheren Staat für Juden in der Welt zerstören können?“, fragte Schröder den sichtlich verblüfften Chris Patten. „Trifft es zu, dass Sie in einem Interview angedeutet haben, der Schmerz israelischer Terroropfer sei dem palästinensischer Familien von Selbstmordattentätern gleichzusetzen?“
Vom Podium herab bedachte Patten die junge Abgeordnete mit dem Blick des Elefanten auf die Maus. Er werde der „lieben Dame“ auf die Sprünge helfen, „so sanft wie ich nur kann“. „Weisheit im Nahen Osten beginnt, wenn ich anerkenne, dass es zwei authentische Schreie der Wut gibt und zwei authentische Schreie des Schmerzes – die hoffnungslose Situation treibt die Menschen zu diesen Taten.“
Eine Weisheit, die – wie Chris Patten in jedem Interview zum Thema Palästinahilfe betont – aus seiner Erfahrung als Nordirland-Minister gewachsen ist. Natürlich hätte er damals nicht ausschließen können, dass britische Zahlungen zweckentfremdet wurden, um IRA-Attentate zu finanzieren. Hätte man daraus die Konsequenz ziehen sollen, alle Zahlungen einzufrieren? Der BBC sagte Patten, man habe ihn jedes Jahr in die USA geschickt, um den US-Kongress davon zu überzeugen, die IRA nicht mehr finanziell zu unterstützen. Dort habe man aber die Vorgänge anders beurteilt. „Manchmal brandmarken Regierungen als Terrorismus, was in Wahrheit legitimer Widerstand ist.“
In der Europäischen Union allerdings ist die Lage um einiges grotesker. Die Staats- und Regierungschefs zahlen für Arafats Autonomiebehörde. Die ihm nahe stehenden Al-Aksa-Märtyrer-Brigaden aber haben sie am Montag auf die Liste terroristischer Organisationen gesetzt.
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