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Europatreffen in MoldauGegen Putin sein reicht nicht

Eric Bonse
Kommentar von Eric Bonse

Die Abgrenzung gegen Russlands Diktator ist der einzige gemeinsame Nenner Europas. Was fehlt, ist eine geopolitische Strategie.

Vereint: Frankreichs Präsident Macron, Maia Sandu, Präsidentin der Republik Moldau, der ukrainische Präsident Selenski, Kanzler Scholz Foto: Kay Nietfeld/dpa

M oldau und die Ukraine gehören zu Europa. Dieses Zeichen sollte vom zweiten Gipfel der „Europäischen Politischen Gemeinschaft“ (EPG) in Chişinău ausgehen – und es hat geklappt. 47 Staats- und Regierungschefs folgten der Einladung, für einen Tag stand Moldau im Mittelpunkt. Allerdings stand ohnehin nie in Frage, dass Moldau und die Ukraine zu Europa zählen. Die entscheidende Frage ist, ob sie in die EU oder die Nato gehören. Diese Frage wurde in Chişinău nicht beantwortet. Moldau warb zwar für einen EU-Beitritt 2030 – doch Fortschritte gab es nicht.

Auch der Nato-Beitritt der Ukraine bleibt umstritten. Die USA, Deutschland und Frankreich stehen auf der Bremse. Sie fürchten – zu Recht – dass ein Nato-Beitritt mitten im Krieg eine fatale Kettenreaktion auslösen könnte.

Mit der demonstrativ zur Schau getragenen Einigkeit war es also nicht weit her. Geeint war der neue Europa-Club nur gegen Russland und Wladimir Putin. Anti-Putin-Gipfel hat es aber schon viele gegeben. Fürs Putin-Bashing braucht es keine EPG.

Was Europa fehlt, ist ein geopolitisches Forum – und genau dafür wurde die EPG von Frankreichs Staatschef Macron aus der Taufe gehoben. Geopolitik ist jedoch mehr als ein Familienfoto aus Moldau. Bei Geopolitik geht es um Geografie und Interessen.

Die Geografie will es, dass Europa mit Russland leben muss. Das europäische Interesse gebietet es, an die Zeit nach dem Krieg zu denken – auch da kommt man an Russland nicht vorbei. Doch diese geopolitischen Basics hatten es in Moldau schwer – Macron drang kaum durch.

Wieder gab Ukraines Präsident Selenski den Ton an, mit der Forderung nach Sicherheitsgarantien. Dabei ergeben Sicherheitsgarantien nur Sinn, wenn der Krieg beendet ist. Ein Waffenstillstand war jedoch kein Thema, eine neue Friedensordnung ist nicht in Sicht. Auch bei anderen Themen gab es kaum Bewegung. Der immer noch blockierte Nato-Beitritt Schwedens, die Spannungen zwischen Serbien und Kosovo, die Dauerkrise zwischen Armenien und Aserbaidschan: Die Europäer haben darüber geredet, doch Ergebnisse gab es keine.

Derweil schaffen andere Fakten. Bei einem Treffen der Brics-Staaten in Südafrika, das parallel zum Europagipfel stattfand und zu dem auch der russische Außenminister Sergei Lawrow kam, wurde die Erweiterung der Gruppe um mehr als ein Dutzend Staaten vorbereitet. Zu Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika könnten bald auch noch Saudi-Arabien und die Türkei stoßen. Während Europa mit sich selbst beschäftigt ist, wächst die neue, multipolare Weltordnung. Die Europäer spielen darin nur eine Nebenrolle. Gegen Putin sein ist zu wenig, um Geopolitik zu machen.

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Eric Bonse
EU-Korrespondent
Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog
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11 Kommentare

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  • Dass die Europäer, wie oben dargelegt, keinen geopolitischen Plan haben, bedeutet nicht automatisch, dass dies für die USA ebenfalls gilt.

    Bereits Ende der 90er Jahre hat z.B. der den Demokraten nahestehende und oft als Gegenspieler Kissingers bezeichnete amerikanische Außenpolitiker Zbigniew Brzezinski de.m.wikipedia.org...ew_Brzezi%C5%84ski (u.a. Sicherheitsberater von Jimmy Carter) seine geostrategischen Überlegungen in seinem Buch "The Grand Chessboard " en.m.wikipedia.org...e_Grand_Chessboard dargelegt.

    》According to Brzezinski [...], independent since 1991, Ukraine is an “important space on the Eurasian chessboard”, the control of which is supposed to make a domination over the world possible[4]. In a post-Cold War world under the United States’ (US) geostrategic domination, Brzezinski identifies Ukraine – in Eurasia, alongside Azerbaijan and Uzbekistan – as the state “deserving America’s strongest geopolitical support”[5]. While Ukraine’s independence affects the nature of Russia’s state itself[6], it is for the US “the critical state”[7] among “key Eurasian geopolitical pivots《 zitiert ihn der Pariser Thinktank The Open Diplomacy Institute

    www.open-diplomacy...oard-s-geopolitics (2017)

  • Es gibt ja klare Regelungen, wann ein Staat der Nato beitreten kann.



    Da sind sich auch Kanzler und Außenministerin einig:



    ohne militärischem Konflikt und ohne Grenzstreitigkeiten. Es steht also in den Statuten und wer die offen ausspricht, nicht auf der Bremse.



    Dass Selenzky gerne die NATO an seiner Seite hätte, ist kein Geheimnis, dass der Bedarf nach einem dritten Weltkrieg bei Anderen nicht so groß ist, allerdings auch.



    Es ist gut, dass es in der taz noch Menschen gibt, die ein bisschen weiter denken. Eine Zukunft mit Russland muss gefunden werden. Klar setzt das einen beendeten Krieg vorraus. Die derzeit vorherrschende Strategie: Waffen, Waffen, Waffen, darf als bisher ergebnisoffen betrachtet werden. Die Bezeichnung " Strategie" ist auch eher unpassend.



    Immerhin wünscht sich, neuesten Umfragen zufolge, eine klare Mehrheit der Deutschen mehr Diplomatie gegen den Krieg.

    • @Philippo1000:

      Dann hat der Krieg aber auch nichts mit den NATO Aspirationen der Ukraine zu tun.

  • Macron hat nach seiner Chinareise regelrecht Prügel bekommen, als er behauptete, dass Europa endlich seinen Vasallenstatus aufgeben sollte zugunsten einer europäischen Politik, die tatsächlich europäische Interessen vertreten sollte. Dabei geht es nicht darum, gegen die USA zu agieren. Es geht vielmehr darum, trotz der Interessen der USA eine eigenständige Interessenpolitik zu vertreten. Dazu gehört Diplomatie, die ihren Namen auch verdient.

    • @Rolf B.:

      Effektive Diplomatie funktioniert nur wenn sie untermauert wird von militärischer Macht, d.h. Europa kann ist nur möglich wenn Europa militärisch autonom ist von den USA. Das wird teuer. Osteuropa ist auch nur bereit sich von den USA zu lösen wenn Westeuropa die Militärmacht der USA inkl. Atomwaffen ersetzen.

      • Annette Hauschild , Autor*in ,
        @Machiavelli:

        Das muss nicht so sein, wie Sie sagen. In dem vergangenen Jahrhundert nach dem 2. Weltkrieg war Westdeutschland keine militärische Macht aber auf internationalem Parkett durchaus wichtig und anerkannt. Und die deutsch-französische Achse funktionierte.

        • @Annette Hauschild:

          500.000 Soldaten, die zweitmeisten Panzer in der NATO. Militäretat bei 2-5% des BIP.

          Autonom war Deutschland aber in keinem Fall.

        • @Annette Hauschild:

          Sie sagen es und bringen es auf den Punkt. Danke dafür.

  • Vielen Dank für diesen Artikel. Denn endlich mal wird der Finger in die Wunde gelegt.



    Die deutsche und europäische Außenpolitik besteht derzeit nur aus dem Benennen von Feindbildern. Kontruktive Ansätze für eine friedliche Welt? Fehlanzeige!

  • Außer militärischer Eskalation kein Ende in Sicht.



    Das Netz von EU-Sanktionen – durchlässig, wie man weiß und all die Appelle, Pamphlete ganz offensichtlich kein Grund für Putin, von seinen Forderungen abzurücken.



    Eins ist m.E. klar: der Krieg ist noch lange nicht vorbei.

    Wenn in einem “danach” Europa eine Nebenrolle in einer wie auch immer gearteten Weltordnung zukommt, erscheint mir das kaum verwunderlich.



    Beispiel:



    Während innerdeutsche Politik klimatechnisch meint, den “vierfachen Rittberger” auf Kosten einer durch steigende Kosten verarmenden Bevölkerung vollführen zu müssen, sorgt man andernorts, übrigens nicht nur an den Grenzen zwischen Russland und der Ukraine, weiter für “gehobenen CO2-Ausstoß”.



    Die globale “Gewinnerin” ist hier, soviel steht fest, eine fortschreitende Erderwärmung.

    Wie hingegen der Krieg endet, ist ganz und gar nicht sicher…

    • @POFF KAMITO:

      "Wie hingegen der Krieg endet, ist ganz und gar nicht sicher…"

      Dabei wäre dies doch eine zentrale Frage auch hinsichtlich des Klimaschutzes.