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Europarat kritisiert RusslandHomophob und rassistisch

Vorurteile gegen Minderheiten in Russland werden von Präsident Putin und der orthodoxen Kirche „aktiv befeuert“, stellt der Europarat fest.

Schon vor den Olympischen Winterspielen 2014 war staatlich geförderter Hass in Russland ein Thema für Proteste Foto: reuters

Strasbourg afp | Der Europarat hat sich besorgt über die Zunahme von Hassreden gegen Homosexuelle, Muslime und andere Minderheiten in Russland geäußert. Auch Politiker und Würdenträger der orthodoxen Kirche scheuten nicht vor solchen verbalen Angriffen zurück, stellt die Kommission gegen Rassismus und Intoleranz des Europarats (ECRI) in einem am Dienstag veröffentlichten Bericht fest. Homosexuelle würden oft als krank oder pervers bezeichnet, Muslime mit islamistischem Terror in Verbindung gebracht.

Sowohl in traditionellen Medien als auch im Internet seien solche Hassreden weit verbreitet, stellen die Experten des Europarats fest. Dies gelte für die meisten der 2500 russischen Fernsehsender und der gut 45.000 lokalen Zeitungen. Gut zwei Drittel dieser Medien seien im Besitz der Regierung oder staatlich kontrollierter Unternehmen.

Besonders beunruhigend sei, dass Vorurteile gegen Homosexuelle sowohl vom russischen Präsidenten Wladimir Putin als auch von der orthodoxen Kirche „aktiv befeuert“ würden, heißt es in dem 80 Seiten umfassenden Bericht weiter. So habe Putin 2017 in einem vielbeachteten Interview mit dem US-Autor und Filmemacher Oliver Stone das Vorgehen gegen Homosexuelle ausdrücklich gerechtfertigt.

Als Staatsoberhaupt habe er die Pflicht, „die traditionellen Familienwerte“ hochzuhalten – zumal durch gleichgeschlechtliche Beziehungen keine Kinder gezeugt würden, zitieren die Experten des Europarats aus dem mehrstündigen Interview.

Der Patriarch der orthodoxen Kirche Kyrill I. sei für seine virulenten Angriffe auf gleichgeschlechtliche Paare bekannt, betonen die Autoren des Berichts. So habe er Ehen von Homosexuellen als ein „sehr gefährliches akopalytisches Symptom“ gegeißelt.

Solche Äußerungen hätten dazu geführt, dass Intoleranz gegenüber gleichgeschlechtlichen Beziehungen in der russischen Gesellschaft tief verwurzelt seien. Homosexuelle würden stigmatisiert und lebten in Russland in einer „ständigen Furcht“ vor Anfeindungen und physischen Übergriffen.

Hetze und Gewalt

Eine Auswertung von rund 5000 Artikeln in russischen Zeitungen, Zeitschriften und Nachrichten-Portalen hat dem Bericht zufolge ergeben, dass von 2011 bis 2016 mindestens 363 tätliche Angriffe auf Homosexuelle oder Einrichtungen wie Schwulen-Clubs begangen wurden. Tatsächlich sei aber von einer viel höheren Zahl auszugehen, weil zahlreiche Opfer sich scheuten, Anzeige zu erstatten – aus Furcht vor Demütigungen durch die Polizei.

Muslime wiederum würden oft mit islamistischem Terror in Verbindung gebracht, heißt es in dem Bericht weiter. Eine Folge davon seien Petitionen gegen den Bau von Moscheen. Angesichts solcher Proteste hätten die zuständigen Behörden den Bau mehrerer Moscheen verboten, etwa in der Stadt Uljanowsk an der Wolga und in der russischen Exklave Kaliningrad. Grundsätzlich seien „nicht slawisch aussehende“ Bürger in Russland der Gefahr von Diskriminierungen und rassistisch motivierter Gewalt ausgesetzt.

Rassismus bei der Polizei

Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Sova Center wurden im Jahre 2017 nachweislich 71 Menschen Opfer rassistischer Anschläge. Sechs von ihnen wurden demnach dabei getötet. Menschen mit nicht-russischem Aussehen, etwa Tschetschenen und andere Bürger aus den Kaukasus-Republiken, werden lauf ECRI auch unverhältnismäßig oft von der Polizei kontrolliert. Polizeistellen weigerten sich zudem regelmäßig, Klagen von Opfern rassistischer Übergriffe entgegenzunehmen.

Der ECRI gehören Experten an, die Erfahrung beim Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit haben. Sie werden von den 47 Mitgliedsländern des Europarats ernannt. Das Gremium bewertet alle fünf Jahre die Lage in den Europaratsländern. Der vorliegende Bericht ist der fünfte, der sich mit Russland befasst.

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7 Kommentare

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  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Wie so häufig schließt im wirklichen Leben abseits von Talkshows mit ihren Schein-Zuspitzungen in Schwarz oder Weiß das Eine das Andere nicht aus.

    Auch wenn es über die Herrschaftsverhältnisse in Russland viel zu kritisieren gibt, ist dies innerhalb der EU (im Einzelnen vllt. an anderen Stellen) nicht anders.

    Das gegenseitige Aufrechnen ist albern und wenig zielführend. Kritik ist überall dort angebracht, wo sie BERECHTIGT ist. ÜBERALL.

    • @76530 (Profil gelöscht):

      Putins Politik ist aber tatsächlich sehr rückständig. Er sichert sich damit die Unterstützung der Kirche. Hat er (wie vieles) von den Zaren übernommen.

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @warum_denkt_keiner_nach?:

        Putins Politik ist in der Tat an vielen Stellen rückständig. Und dafür hat er Kritik und Schelte aufrichtig verdient.

        Mein Kommentar war übrigens als Erwiderung an Sofia Dütsch (heute 10:36) gedacht. Dabei unterlief mir der Fehler, Europarat und EU gleichzusetzen. Lesmankovs Hinweis von 12:12 kam für mich erst mal zu spät.

        Aber späte Erkenntnis ist bekanntlich besser als keine.

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @76530 (Profil gelöscht):

      Da liegen Sie aber ein bisschen schräg. Russland ist Mitglied des Europarats und wird als solches kritisiert.

      Die ECRI erstellt diese Berichte regelmäßig.

      Jeder kommt mal dran.

      de.wikipedia.org/w...mus_und_Intoleranz

      Oder meinen Sie, man sollte Russland aussparen?

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @88181 (Profil gelöscht):

        Na, da gingen wohl mal wieder die Reflexe durch. Dabei dürften Sie mich in meinem Dualismus eigentlich



        kennen. Als kritikfreudiger Mensch meine ich: man sollte mit Kritik nichts und niemanden aussparen.

        In Ihrem Link finde ich allerdings keinen Hinweis darauf, dass Russland in einem ECRI Bericht kritisiert worden wäre.

        Wolle misch wuschelisch mache???

  • Der Europarat sollte sich um die aktuellen Probleme in Westeuropa kümmern. Die werden da gestaltet und verursacht.



    Russland kümmert sich auch um seine eigenenen. Osteuropäischen Länder kümmern den Europarat eh nur NATO-mässig. Russland´s Menschen sind nur für Propaganda



    interessant, wer Atomkriege plant der interessiert sich nicht für Menschen.

    • @Sofia Dütsch:

      Der Europarat ist keine Institution der EU oder NATO sondern von diesen unabhängig. Bis auf Belarus sind alle Staaten mit Territorium im geographischen Europa Mitglied also auch Russland, die Ukraine und die Türkei.