EuGH-Entscheid zum EU-Austritt: Ein Exit vom Brexit ist möglich
Großbritannien darf noch einen Rückzieher machen. Zu dem Schluss kommt jedenfalls der EuGH. Das Urteil dürfte Brexit-Gegnern Auftrieb geben.
Eine Volksabstimmung in Großbritannien hatte sich im Juni 2016 für einen Ausstritt aus der EU ausgesprochen. Am 29. März 2017 teilte die britische Regierung der EU förmlich mit, dass Großbritannien beabsichtigt, aus der EU auszutreten. Mit diesem Tag begann eine Zwei-Jahres-Frist. Die britische Eu-Mitgliedschaft endet deshalb am 29. März nächsten Jahres, wenn nicht anderes vereinbart wird.
Die EU-Verträge lassen offen, ob ein derartiger Austrittsantrag vor dem endgültigen Ende der Mitgliedschaft auch wieder zurückgenommen werden kann. Darüber entschied nun der EuGH auf Anfrage eines schottischen Gerichts, bei dem mehrere Abgeordnete eine Feststellung beantragt hatten, dass der Rückzug vom Brexit möglich ist. Der EuGH entschied in einem Eilverfahren.
Die britische Regierung hatte am Verfahren teilgenommen, ohne inhaltlich Stellung zu beziehen. Sie argumentierte nur, die Vorlage des schottischen Gerichts sei unzulässig. Die vorgelegte Frage sei hypothetisch, schließlich wolle Großbritannien ja weiterhin aus der EU aussteigen. Der EuGH erklärte die Vorlage jedoch für zulässig. Es sei Aufgabe der nationalen Gerichte zu entscheiden, ob eine EU-Rechtsfrage für die Lösung eines konkreten Rechtsstreits relevant ist.
Da der EU-Vertrag den Abbruch des Austritts nicht regelt, gab es drei Möglickkeiten für ein EuGH-Urteil. Erstens: Ein Abbruch des Austritts ist gar nicht möglich. Zweitens: Ein Abbruch ist möglich, wenn Großbritannien nicht mehr austreten will. Drittens: Ein Abbruch ist nur möglich, wenn die anderen EU-Staaten zustimmen.
Für letzteres hatten EU-Kommission und EU-Ministerrat plädiert. Sie befürchteten, dass ein EU-Staat, die Austrittsverhandlungen nutzt, um für sich bessere Bedingungen auszuhandeln und, wenn er dies erreicht hat, seinen Antrag wieder zurückzieht.
Austreten muss nur, wer will
Der EuGH entschied nun jedoch, dass Großbritannien auch ohne Zustimmung der anderen Staaten den Austrittsantrag wieder zurückziehen kann. So wie der Austritt sei auch der Abbruch des Austritts ein Ausdruck der staatlichen Souveränität. Außerdem wäre es abwegig, wenn ein Staat austreten müsste, der gar nicht mehr austreten will. Dies widerspreche dem Geist der EU-Verträge von einer „immer engeren Union“ und wäre auch nicht im Interesse der betroffenen EU-Bürger.
Der EuGH folgte damit weitgehend dem Votum des unabhängigen Generalanwalts von voriger Woche. Anders als dieser will der EuGH einen eventuellen britischen Abbruch des Brexit aber nicht auf „Missbrauch“ prüfen. Die Richter stellen nur fest, dass ein Abbruch des Brexit „bedingungslos“ sein muss. Der Abbruch soll also nicht dafür genutzt werden, einen anderen Status Großbritanniens auszuhandeln. Das Land werde anschließend seine Mitgliedschaft unverändert fortsetzen. Auch die EU könnte also keine Bedingungen stellen. Das heißt britische Sonderrechte blieben erhalten: Großbritannien müsste weiterhin nicht am Euro und der gemeinsamen Innenpolitik teilnehmen.
Der EuGH betonte, dass ein Abbruch des Brexits in Großbritannien nach den dortigen verfassungsrechtlichen Regeln beschlossen werden müsste. Die EU-Richter spekulierten aber nicht über die Details, insbesondere über die Frage, ob eine erneute Volksabstimmung möglich oder sogar nötig wäre.
Klar ist jedoch, dass die Zwei-Jahres-Frist, die am 29. März 2019 ausläuft, durch einen EU-Gipfel (Europäischer Rat) einstimmig verlängert werden könnte.
Das EuGH-Urteil stärkt die Kräfte in Großbritannien, die in der EU bleiben wollen. Wenn am Dienstag das englische Parlament den von Premierministerin Theresa May mit der EU ausgehandelten Austrittsvertrag ablehnt, hat Großbritannien nun drei Möglichkeiten. Erstens: Großbritannien handelt Änderungen am Austrittsvertrag aus, über die dann erneut abgestimmt würde. Zweitens: Großbritannien tritt ohne Vertrag aus, was chaotisch werden könnte. Drittens: Großbritannien zieht den Austrittsantrag zurück. (Az.: C-621/18)
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