Essay über Massentierhaltung: Ei. Ei. Eieieieiei
Der Gifteier-Skandal betrifft überwiegend große Farmen mit mehr als 15.000 Hennen. Er zeigt, wie riskant die industrielle Geflügelhaltung ist.
Oft sind es die simpelsten Fragen, die Pressesprecher ins Schwitzen bringen. Eine lautet: Wie groß sind die Eierfarmen, deren Ställe mit dem gesundheitsgefährdenden Insektenvernichter Fipronil gereinigt wurden? Darauf antworten die zuständigen niederländischen Behörden zunächst gar nicht. Dann sagt Paula de Jonge von der Behörde für Lebensmittelsicherheit in Utrecht: „Wir haben keine Liste mit den Größen der Betriebe.“ Dabei müssen sich alle Legehennenhalter samt der Zahl ihrer Tiere bei den Behörden registrieren. Eine schriftliche Bitte der taz. am wochenende ließen die Holländer bis Freitag unbeantwortet.
Auch der Verein für kontrollierte alternative Tierhaltungsformen (KAT), der die meisten betroffenen Farmen überwacht, mauert. Aus „datenschutzrechtlichen Gründen“ könne man „leider keine konkreten Informationen zu den einzelnen Betrieben geben“, schreibt die PR-Agentur der von der Branche gegründeten Organisation, die auch Erfinderin des Eiercodes auf den Schalen ist. Erst nach mehrmaligem Nachhaken rückt KAT dann doch ein paar Angaben heraus.
Schnell wird klar, warum die Geflügelindustrie diese Daten ungern veröffentlicht. Die weit überwiegende Mehrheit der Betriebe ist riesig. Das ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die schon immer gesagt haben: Industrielle Geflügelhaltung ist gefährlich.
„Insgesamt ist ein KAT-Betrieb mit unter 5.000 Legehennen, drei weitere KAT-Betriebe mit unter 10.000 Legehennen und weitere 21 KAT-Betriebe mit zwischen 10.000 und 15.000 Legehennen von Fipronil betroffen“, teilt der Verein mit. 83 Prozent der 147 niederländischen, deutschen und belgischen Fipronil-Farmen haben also mehr als 15.000 Legehennen. Darunter sind laut KAT zum Beispiel „Betriebe mit mehreren Stallanlagen (pro Stallanlage beispielsweise 40.000 und insgesamt dann 100.000 Legehennen)“. 100.000 Hühner an einem Ort – das ist schon eine Nummer. Eine Durchschnittszahl für alle Betriebe will KAT, der eigentlich von Transparenz leben müsste, partout nicht nennen. Sie dürfte sehr hoch sein.
Im Durchschnitt 21.700 Tiere
Auskunftswilliger ist der Pressesprecher von Niedersachsens Agrarminister Christian Meyer (Grüne). In seinem Land stehen die einzigen deutschen Betriebe, in deren Eiern Fipronil nachgewiesen wurde: zwei Freilandbetriebe mit circa 40.000 Hennen, ein Bodenhaltungsbetrieb mit 28.800 Hennen und ein Biobetrieb mit 18.000. Auch das also Großbetriebe. Im Mittel haben sie 21.700 Tiere.
Eine Durchschnittszahl für das wichtigste Land in dieser Causa, die Niederlande, hat die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft aus Angaben dortiger Medien errechnet: Die rund 180 zwischenzeitlich gesperrten Betriebe erzeugten normalerweise wöchentlich 40 Millionen Eier. Also habe jede Farm im Mittel 38.000 Legehennenplätze.
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Dabei sagen Bauern wie Dieter Greve: „30.000 Hennen braucht man nicht, und es sind auch zu viele, um sich ausreichend um jedes einzelne Tier kümmern zu können.“ Greve ist Sprecher des Bundesfachausschusses Geflügel beim Ökobauernverband Bioland. Er selbst hält nur etwa 6.200 Legehennen auf seinem Ökohof in Schülp bei Rendsburg.
„Die Massentierhaltung in großen Ställen auch in der Bio- und Freilandhaltung ist besonders anfällig für derartige – illegale – Praktiken“, sagte der niedersächsische Minister Meyer der taz.am wochenende über den verbotenen Einsatz von Fipronil. „Kleine bäuerliche Betriebe mit nur geringer Tierzahl sind kaum betroffen.“
Die grundsätzliche Frage ist also: Warum trifft der Skandal fast nur die Großen?
Sämtliche Betriebe waren Kunden der niederländischen Reinigungsfirma Chickfriend. Sie setzte Fipronil in den Ställen ein, um vor allem der Roten Vogelmilbe den Garaus zu machen, einem Blutsauger, der vor allem Jungtieren lebensgefährlich werden kann.
Giftig für Ratten und Kaninchen
Zur Behandlung gegen Zecken oder Flöhe etwa bei Hunden ist Fipronil erlaubt, aber nicht bei Tieren in der Lebensmittelproduktion. Bei Versuchen an Ratten, Mäusen und Kaninchen wirkte Fipronil toxisch auf das Nervensystem, wie das staatliche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) berichtet. Auch die Leber sei bei den Nagern geschädigt worden. Das Gift aus dem Reinigungsmittel konnte in den Hühnerställen zum Beispiel über das Futter in die Hennen und Eier gelangen und schließlich auf den Teller.
Zwar bezeichnet das BfR es als „unwahrscheinlich“, dass die bisher in Deutschland gemessenen Fipronil-Mengen in Eiern oder Hühnerfleisch die Gesundheit akut gefährden – auch nicht die von Kindern. Aber auszuschließen ist die Gefahr eben nicht. Aus gutem Grund dürfen laut Gesetz Lebensmittel praktisch überhaupt kein Fipronil enthalten.
„Dienstleister wie Chickfriend haben an uns kleinen Betriebe überhaupt kein Interesse“, sagt Biobauer Greve. „Das lohnt sich für die gar nicht.“ Kleine Bauern wie er reinigten ihre Ställe immer noch selbst. Das ist der rein finanzielle Grund, weshalb Fipronil vor allem ein Problem der Großbetriebe ist.
Die tiefer liegenden Ursachen sind die Spezialisierung und Arbeitsteilung, Kennzeichen der industriellen Landwirtschaft. Die Bauern konzentrieren sich auf wenige Produkte, in diesem Fall auf Eier. Das Futter bauen sie meist nicht mehr selbst an, sondern kaufen es von anderen Betrieben. Um davon leben können, müssen die spezialisierten Betriebe mehr Hühner halten als Höfe, die breiter aufgestellt sind. Um Kosten zu senken, reinigen sie ihre Ställe nicht mehr selbst, sondern heuern wiederum Spezialisten an – in diesem Fall Chickfriend.
Kontrollverlust durch Arbeitsteilung
Damit verlieren sie aber auch einen Teil der Kontrolle. Sie können nicht wirklich sicher sein, was der Dienstleister da versprüht. Und selbst wenn sie es doch wussten, ist es schwierig, das nachzuweisen. Diese Arbeitsteilung verhindert oft, jemanden verantwortlich zu machen. Industrielle Landwirtschaft befördert organisierte Verantwortungslosigkeit.
„Der Skandal um fipronilbelastete Eier in Deutschland und Europa zeigt: Die Strukturen der Geflügelwirtschaft, die durch große Tierbestände sowie lange Vertriebswege über zahlreiche Zwischenhandelsunternehmen geprägt sind, erschweren eine schnelle Rückverfolgbarkeit“, sagt die rheinland-pfälzische Ernährungsministerin Ulrike Höfken (Grüne). Weil die beteiligten Firmen überregional operieren, sind zig Behörden involviert. Jede hat erst einmal nur ihr Land im Blick: Die belgische Agentur für Lebensmittelsicherheit hielt es nach Fipronil-Funden lange nicht für nötig, die anderen EU-Länder zu informieren. Auch die Niederländer hatten schon früh Hinweise auf den Einsatz der Chemikalie in Ställen – und gaben ihr Wissen nicht weiter.
Die deutschen Behörden bemerkten überhaupt nichts. Die Aufsicht über die Lebensmittelbranche ist hierzulande heillos zersplittert. Zuständig sind die rund 300 Landkreise. Ihnen fällt es schwer, grenzüberschreitend arbeitende Unternehmen wie Chickfriend zu überwachen. Zudem sind ihre Veterinärämter oft unterbesetzt oder trauen sich nicht, gegen die heimische Wirtschaft vorzugehen.
Der von der konventionellen Landwirtschaft dominierte Bauernverband jedoch weist die These zurück, dass der Skandal zeige, wie anfällig industrielle Massentierhaltung für Betrug sei. „Kriminelle Machenschaften bei zugelieferten Präparaten können jeden Tierhalter treffen“, sagte Pressesprecher Michael Lohse der taz.
Was können Verbraucher jetzt tun?
Natürlich könnte theoretisch auch ein kleiner Bauer entdecken, dass Fipronil gegen Vogelmilben wirkt, es kaufen und selbst spritzen. Aber um auf diese Idee zu kommen, müsste sich so ein Landwirt intensiv mit dem Thema befassen, wozu die meisten wohl schon aus Zeitgründen nicht in der Lage sind. Und es bedarf erheblicher krimineller Energie – und die hat nur eine Minderheit.
Vor allem aber wäre der Schaden genauso wie der Hof: klein. Betrügen ein paar Kleinbauern, betrifft das ein paar Tausend Eier. Weil die Fipronil-Farmen so riesig sind, sind gleich 17 Länder betroffen. Allein nach Deutschland sind laut Bundeslandwirtschaftsministerium rund 10,7 Millionen Fipronil-Eier aus den Niederlanden geliefert worden.
Was können Verbraucher tun? Sie könnten nur noch Eier von kleinen Höfen kaufen. Aber die sind vom Aussterben bedroht. 2016 hatten laut Statistischem Bundesamt nur noch 41 Prozent der Betriebe weniger als 10.000 Legehennen. Von ihnen kommen lediglich 7 Prozent der in Deutschland gelegten Eier.
Eine Lösung wäre, überhaupt keine Eier mehr zu kaufen. Aber das wird nur eine Minderheit machen.
Wichtiger wäre, als Bürger dazu beizutragen, dass kleine Betriebe stärker subventioniert werden. Man sollte Hühnerhalter auch dazu verpflichten, allen Tieren Auslauf zu gewähren, was mangels Flächen zur Verkleinerung der Betrieben führen würde. Die Behörden müssten aber auch stärker darauf achten, dass Farmen Regeln etwa zur Begrünung der Freiflächen einhalten. Das schaffen sie oft nicht, weil sie zu viele Hühner auf den Flächen halten und das Gras schnell weggepickt ist.
Für den Hühnerhof gilt – von Ausnahmen abgesehen: Klein ist fein.
Mitarbeit: Lucia Heisterkamp
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