Essay Rückkehr von Wölfen: Keine Panik im Wald

Wölfe passen sich allen Widrigkeiten der modernen Landschaft an. Sie sind nicht das Problem, ihre politische Instrumentalisierung schon.

Eine Zeichnung zeigt einen Jäger und einen Wolf

Stört die Profitorientierung einiger professioneller TierhalterInnen und JägerInnen: der Wolf Illustration: Katja Gendikova

Nicht in der Wildnis, sondern mitten im industrialisierten, mit Mais­äckern und Rapsfeldern betonierten Deutschland, fühlen sich Wölfe pudelwohl. Sie sind selbstständig eingewandert und passen sich an die widrigsten Bedingungen der ­Wirtschaftslandschaft des 21. Jahrhunderts an – ein Wunder der Natur.

In ihrem Hauptverbreitungsgebiet von der sächsischen Lausitz über Brandenburg bis Niedersachsen finden sie Landschaft, keine Natur, und allenfalls Relikte von natürlichen Ökotopen. Menschen rodeten im 20. Jahrhundert die letzten Wälder und pflanzten Kiefern und Fichten in Monokulturen. Wo Wiesenblumen blühten, stehen Logistikzentren. Autobahnen und Schienentrassen zerschneiden die Landschaft, begleitet vom gleichmäßigen Schlagen die Windräder.

BewohnerInnen dieser ökologisch verarmten Landschaften und die naturentwöhnten StädterInnen, die am Wochenende zu Besuch kommen, halten diese Wirtschaftsräume in Grün für Natur. Für ihre Natur. Sie haben sich an den Anblick von Kiefern und Maisstängeln gewöhnt, freuen sich über den gelb blühenden Raps im Nebel der Neo­nicotinoide.

Kollektiv haben wir uns die Natur angeeignet, sie entfremdet, industrialisiert, Schweine, Hühner, Rinder in Mastanlagen versklavt und merken erst, wenn die Insekten nicht mehr an der Windschutzscheibe kleben, dass was fehlt. Die Denaturierung hat nichts mit dem angeblich biblischen Auftrag zu tun, uns die Erde untertan zu machen. Systematische Zerstörung des Lebens kann nicht gottgewollt sein.

Die Neuen im Wald

In dieses Wirtschafts- und Lebenskonzept trabt der Wolf. Er zwingt Bauern, Jäger, Förster, Landbewohner im frischen Eigenheim dazu, sich mit der effizient genutzten Landschaft zu beschäftigen.

Der Wolf bringt Bewegung in den Kopf. Doch die Neuen im Wald überfordern offensichtlich jede Menge Leute. Diese projizieren das Bedrohliche, Unverständliche, die Furcht in ihrem Leben auf den Wolf und fühlen sich auch noch durch die Geschichten der Brüder Grimm bestätigt. Die Mythen und Märchen meinten jedoch seit je den Wolf im Inneren, erzählten vom Dunklen, Gefährlichen im Unbewussten, das mal der Wolf symbolisiert und mal der Drache. Symbolisch müssen die HeldInnen ihnen die Köpfe abschlagen – nicht im wirklichen Leben.

Wölfe in natura regen nun bei einigen dieselben Abwehrreflexe aus, die sie auch dazu bringen, den Klimawandel für von linksökologischer Seite übertrieben zu halten und das Insektensterben erst wissenschaftlich untersuchen lassen zu wollen, bevor sie handeln. Im Kern geht es immer um dasselbe: alles lassen, wie es ist, Wirtschafts- und Lebensweise nicht verändern und für die Folgen keine Verantwortung übernehmen.

Die Tazze, das Logo der taz

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Quer durch die Parteien, von CDU über SPD bis FDP und AfD, fordern PolitikerInnen „eine Obergrenze für Wölfe“ und „wolfsfreie Zonen“. Sie wollen den Wolf ins Jagdrecht bringen, „Schutzjagden“ veranstalten, Wölfe in ausgewiesenen Naturreservaten halten. In den ländlichen Regionen dröhnen vor allem männliche Bewohner, Jäger und Landwirte gegen den Wolf. Sie versammeln sich in Brandenburg zu parteiübergreifenden Wolfsmahnwachen an nächtlichen Feuern, die in ihrer Pegidahaftigkeit an Ku-Klux-Klan-Rituale mit brennenden Fackeln und Kreuzen erinnern.Die AfD ist ganz vorne dabei, den Unmut in Populismus zu gießen. Sie profitiert von der irrationalen Angst, die der Wolf erzeugt, denn irrationale Angst ist schließlich auch das Geschäftsmodell ihrer Politik.

Unwissenschaftlich und rechtsfern

Erschreckend ist, dass auch Bundestagsabgeordnete und Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner die unwissenschaftlichen und rechtsfernen Forderungen verbreiten, Wölfe zu jagen. Vor den Landtagswahlen im Osten befördern sie die angstgetriebenen Ideen von Teilen der Landbevölkerung zur Bundespolitik, lenken von den politischen Versäumnissen in der Sozial-, Bildungs-, Wirtschaftspolitik auf dem Land ab und suggerieren nun, die sich verändernde Welt aufhalten zu können, indem sie Wölfe zum Abschuss freigeben.

Die politischen und wirtschaftlichen Nutznießer der Anti-Wolf-Stimmung auf dem Land haben keine Angst vor dem Wolf, schüren aber mit immer neuen Geschichten die Angst bei denen, die sich verunsichern lassen. Nirgends wird so viel gelogen wie im Wald. Jäger erzählen vom Fläming bis zum Wendland Storys, wie sie angeblich dem Wolf begegneten: Mit offenem Maul sei der auf sie zugerast, habe sie am Bein gestreift, nur der Schuss aus dem Revolver in die Erde habe das Tier vertrieben.

Über WhatsApp-Gruppen und soziale Netzwerke verbreiten sich die Wolfsgeschichten und scheinen denen wahrhaftig, die glauben wollen. Die Lügen und daraus abgeleiteten postfaktischen Forderungen entstammen den Hirnre­gionen, in denen die Angst regiert, die Angst vor Neuerungen und Veränderungen, die Angst, wirtschaftlich zu verlieren und nicht mehr Herr im angeeigneten Naturraum zu sein.

Wo Wölfe neu hinkommen, regen sich die Menschen besonders auf. Sie fürchten sich, allein in den Wald zu gehen, Eltern haben Angst um ihre Kinder, wenn ein Wolf in der Dämmerung am Waldkindergarten gesehen wurde. Das ist schade, denn es bedeutet zunächst nur, dass ein Wolf durch den Kindergarten lief, so wie auch mal Wildschweine oder Hasen durchkommen. Gefahr besteht deswegen nicht. Und allein im Wald spielen Kinder schon lange nicht mehr, was sich ja in der Naturentfremdung der Eltern und der Großeltern zeigt.

Die Erfahrung mit Wölfen in Deutschland lehrt, dass die Aufregung auch wieder nachlässt und Menschen lernen, mit Wölfen in der Landschaft zu leben. Daran zeigt sich die Aufgabe der politisch Verantwortlichen im Bund und in den Ländern: mit wissenschaftlichen Argumenten aufklären und darauf setzen, dass die Menschen mit eigener Erfahrung lernen, dass Wölfe in der Nachbarschaft keine Gefahr für sie bedeuten.

Gestörte Profitorientierung

Wölfe erfordern ein anderes Management in der Landwirtschaft, sie fordern von TierhalterInnen eine bessere Planung, Organisation und ein sauberes Arbeiten mit neuartigen Zäunen. Wölfe machen Arbeit und kosten Geld, sie stören die Profitorientierung einiger professioneller TierhalterInnen und JägerInnen.

Eine Obergrenze ist biologisch Blödsinn und rechtlich Quatsch, was all die politisch arbeitenden WolfsgegnerInnen von Landwirtschaftsministein Julia Klöckner bis SPD-Ministerpräsident Woidkte in Brandenburg wissen. Laut der euro­­päi­schen FFH-Richtlinie ist Deutschland gesetzlich verpflichtet, einen guten Erhaltungszustand der geschützten Art Wolf zu erreichen. Das ist in absehbarer Zeit nicht der Fall.

Im Übrigen ist fast ganz Deutschland auch 20 Jahre nach der ersten Einwanderung eines Wolfs wolffreie Zone, denn 73 Rudel und 30 Wolfspaare bedeuten keine flächendeckende Besiedlung. WolfsgegnerInnen von FDP und der AfD rechnen diese Zahlen gern hoch und behaupten, dass sich die Zahl der Wölfe alle drei Jahre verdoppeln würde. In wenigen Jahren würden dann Tausende Wölfe in Deutschland leben. Das ist biologisch falsch. Fakt ist, dass erwachsene Wölfe in stabilen Beziehungen und klaren Familienstrukturen leben – eben im Rudel. Die Rudel bestehen aus Eltern, Welpen und Nachkommen aus dem Vorjahr. Regelmäßig wandern Jungwölfe ab, suchen einen Partner und gründen ein Rudel, wenn sie ein ausreichend großes Territorium von 150 bis 250 Quadratkilometern finden.

Wölfe stören sich nicht am Lärm und auch nicht an der ökologischen Verarmung im Forst. Sie jagen und fressen die Gewinner der landwirtschaftlichen Monokulturen – Rehe, Wildschweine, Damhirsche. Wölfe leben zwischen Panzern auf Truppenübungsplätzen und neben dem Tagebaubagger in der Lausitz und schaffen es manchmal, sechsspurige Autobahnen lebend zu überqueren, wie mit Sendern versehene Wölfe auf ihren Wanderungen quer durchs Land zeigen.

Und, ja, sie reißen auch Schafe. Sie fressen manchmal ein tot geborenes Kalb auf der Weide, und vielleicht beißen sie schon zu, wenn das lebensunfähige Tier noch zuckt. Deutschland ist reich genug, TierhalterInnen zu entschädigen, deren Schafe und Rinder vom Wolf gerissen wurden. Dank industrieller Ausbeutung der natürlichen Ressourcen zu Wasser, zu Lande und in der Luft hat dieses Land auch genug Geld, Zäune gegen Wölfe zu bezahlen. Landwirte können ihre Schafe, Rinder, Damhirsche professionell mit Bodenschutz in Freigehegen, Elektrolitzen, Herdenschutzhunden schützen.

Für Tausende Hobbytierhalter mit sieben Ziegen oder acht Galloway-Rindern auf der Weide lohnt sich der Aufwand mit Elektrozaun nicht. Da geht nur eins: Die Tiere kommen nachts in den Stall und stehen nicht wie abholbereit für den Wolf auf der Wiese. Wenn die Hobbyschäfer und Liebhaber alter Hausrindrassen ihre Tiere unbedingt draußen allein lassen wollen, dann brauchen sie eben auch in Deutschland Herdenschutzhunde. Im größten Wolfsgebiet Westeuropas, im Nordwesten Spaniens, leben Kühe und Kälber monatelang allein mit Hunden auf den abgelegenen Weiden. Sin problema, wie die Bauern sagen.

Wölfe sind kein Problem, sondern Ansichtssache. Und eine Frage des Managements in einer profitorientierten Landwirtschaft.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.