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Essay BDS-Resolution im BundestagKann man nicht machen

Israel wegen seiner Palästinapolitik boykottieren – der Gedanke leuchtet mir ein. Warum ich als Deutsche trotzdem nicht mitmachen kann.

Friedlicher Boykott-Aufruf. Doch kann man sich als Deutsche_r mit der Kampagne solidarisieren? Foto: imago

F ür mich ist BDS wie Veganismus. So antworte ich immer meinen BDS-Freunden, die den Boykott israelischer Produkte propagieren. Ich glaube an das Prinzip. Daran, dass man die Israelis wegen ihrer Palästinapolitik unter Druck setzen sollte, ebenso wie man keine Tierprodukte essen sollte, um das System der Massentierhaltung nicht zu stützen.

In Deutschland redet die Bewegung „Boykott, Divestment, Sanktionen“ nur vom Boykott israe­lischer Siedlungsprodukte, wie Wein oder der Ahava-Kosmetik, oder von Divestment, wie als sie den norwegischen Pensionsfonds 2012 dazu brachte, seine Gelder aus dem Siedlungsbau zurückzuziehen. Aber ob alle oder einzelne israelische Produkte – ich habe nicht die Disziplin: Als Frau eines jüdischen Israelis, als Mutter einer halben Israelin, als Teil einer großen israelischen Mischpoke in Haifa, Hebräischsprecherin, eine, die zeitweilig in Israel lebte und lernte und arbeitete, komme ich einfach nicht umhin, israelische Kultur oder Produkte zu konsumieren. Die BDS-Freunde lächeln dann.

Sie lächeln verständnisvoll und weil ich Solidarität mit ihrer Arbeit bekunde. Die meist jüdischen Israelis im deutschen Exil lächeln aber auch über das Ausweichmanöver. Sie fragen nicht mehr, weil sie wissen, was nun kommt: Ich bin Deutsche. Und, ja, meiner Meinung nach geht so was nicht in Deutschland. Die Tatsache, dass BDS nun bis hoch zum Bundestag als antisemitisch eingestuft wird, ist Teil des Ganzen. Eine gewaltlos agierende Gruppe von jüdischen, muslimischen und anderen Menschen, die die Beendigung der Besetzung und die volle Gleichberechtigung der arabischen Bürger Israels zum Ziel hat, wird als rassistisch abgestempelt und aus dem Diskurs verdrängt. Das zeigt, wie tief die Verflechtungen zwischen Deutschland und Israel gehen.

Damit ist nicht das übliche Diktum gemeint, dass aufgrund des Holocaust die Deutschen immer gut sein müssen mit Israel. Mein eigentlicher Grund lässt sich nicht so schnittig wie das mit dem Veganismus kommunizieren: Ohne den Holocaust gäbe es das Israel nicht in der diskriminierenden und militanten Form, wie es heute existiert. Sprich, wir besitzen als Deutsche nicht die neutrale, allgemein menschliche Position, die BDS-Leute in Amerika oder Großbritannien einnehmen.

taz am wochenende

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Unverhältnismäßigkeit überall

Je mehr ich mit Israel zu tun habe, umso tiefer schmerzt mich die Situation der Palästinenser. Anfang Mai kam ich wegen ein paar familiärer Festtage erneut nach Israel, um gleich am zweiten Tag den Jom Hasikaron, den Tag der Erinnerung an die gefallenen israelischen Soldaten, zu erleben. Alle Fernsehsender erzählten herzzerreißende Geschichten von Familien, die Angehörige in den verschiedenen Kriegen verloren haben. Es wurde viel geweint, die Lücke, die die Toten hinterließen, ist unauffüllbar. Und doch, niemand erwähnte in diesen Sendungen, dass dieser Schmerz auch auf der Seite der Palästinenser stattfindet. Dass dort sogar fünf- bis zehnmal so viele Menschen infolge des Konflikts, infolge der Besetzung gestorben sind. Kann es wegen der Unverhältnismäßigkeit der Zahl der Verstorbenen nicht mehr erwähnt werden?

Die Unverhältnismäßigkeit findet sich allerdings überall. Die Ausbeutung der Palästinenser in den besetzten Gebieten als billige Arbeitskräfte, die Mauer, die Checkpoints … Und all das ist schon jahrzehntealt. Das Wort „Apartheid“, das BDS verwendet, finde ich etwas ungenau, weil ander als im ehemaligen Südafrika auch Palästinenser mit israelischem Pass zumindest formal gleiche Rechte genießen und auch einige von ihnen in der Mittelklasse angekommen sind. Aber es ist auch kein ganz falsches Wort, da die Palästinenser unter der israelischen Besetzung diese Rechte nicht genießen.

Die Massadastraße in Haifa ist einer der letzten Orte in Israel, wo israelische und palästinensische Menschen noch zusammen in Cafés sitzen. Und wenn beispielsweise ein bekannter Sänger sein Konzert kurzfristig absagt, können hier die Tischnachbarn einander in die Augen schauen. Gerade wurden die Israelis, die sich schon ­Karten gekauft haben, mal erinnert, dass etwas mit ihrer Politik nicht gut läuft. Nur ich als Deutsche lande mit meinem Blick auf einem der Bauhaus-Gebäude, der deutschen Architekturimplantate in der alten Straße, die mich an die unzähligen deutsch-israe­lischen Verflechtungen erinnern und bei dem Thema immer verstummen lassen. Ich habe weder bei der BDS-Aktion mitgeholfen, noch sonst etwas getan, damit hier etwas besser wird.

Dabei habe ich keine Angst vor dem Antisemitismusvorwurf, der über die Resolution im Bundestag offiziell geworden ist. Wer wie ich zwischen israelischen, deutschen und palästinensischen Welten hin und her reist, weiß, dass diejenigen, die sich dieser Resolution angeschlossen haben, weitaus stärker verdächtig sind, antisemitisch zu sein. Natürlich findet man auch in der BDS-Bewegung Antisemiten. Aber nicht nur die Studie der Psychologen Wilhelm Kempf und Rolf Verleger von 2015 hat belegt, dass sich unter sogenannten Palästinafreunden weniger antisemitische Einstellungen finden als unter der sogenannten Gruppe der Israelfreunde. Die Palästinafreunde denken eher universalistisch, alle Menschen gleichstellend, sie haben ein besseres Wissen über den Nahostkonflikt. Mitunter finden sich jedoch Positionen, die Israel oder Juden primär als böse stilisieren.

Antisemitische Töne in der AfD

Die eher ethnischen Denkweisen der Israelfreunde übertragen sich dagegen auf die von ihnen positiv besetzten jüdischen Gruppen. Allgemein bekannt sind die verschiedenen philosemitischen Positionen, die die jüdische Kultur über alles stellen und nicht merken, wie sie die Juden als klug, talentiert, gut im Geschäft und aufstrebend wahrnehmen – ganz wie in den „Protokollen der Weisen von Zion“. Das krasseste aktuelle Beispiel ist die AfD, die die Resolution sogar noch um ein generelles Verbot von BDS erweitern wollte. Immer wieder werden in der AfD antisemitische Töne laut. Und doch unterstützen sie Israel, und das nicht nur, weil sie so ihre antimuslimischen Ressentiments ausleben können. Dass Juden in Israel, also außerhalb Deutschlands, leben, passt sehr wohl in ein antisemitisches Weltbild. Es liegt also nahe, dass die Antisemitismus-Resolution des Bundestages, der Antisemitismusvorwurf, mehr für einen Antisemitismus bei den Bezeichnenden spricht und weniger bei den Bezeichneten, den BDS-Leuten.

Die jetzige Resolution des Bundestags hat noch weitere antisemitische Züge. Sie übergeht diejenigen Juden, die für Gerechtigkeit im Nahen Osten kämpfen. Weder die Petition der jüdischen Wissenschaftler aus Israel gegen die Bundestagsresolution noch der Protestbrief von Menschenrechtsorganisationen wie B’Tselem fand Gehör. Die Resolution diskriminiert zudem linke, intellektuelle, in Deutschland lebende Juden, die von größtenteils nichtjüdischen Deutschen für antisemitisch erklärt werden, bloß weil sie nicht so reden und denken, wie es die Deutschen gerne hätten.

Aber es ist weder die Angst vor Antisemitismus noch Mangel an Disziplin, was mich zurückhält. Der Aktivismus von BDS geht einfach an dem historisch schwer erarbeiteten deutschen Diskurs einer Verantwortung vorbei, der beispielsweise ein erneutes „Kauf nicht beim Juden“ vermeiden muss. Klar, die BDS-Freunde sagen jetzt: Unser Konzept ist viel besser als das damalige für Südafrika. Zwar gilt der Boykott allen israelischen Waren, aber in Deutschland reden wir nur von den Siedlungsprodukten. Wir boykottieren zudem nichtisraelische Firmen wie HP oder Puma, die ebenfalls von der Besetzung profitieren, oder israelische Institutionen, aber nicht einzelne Wissenschaftler oder Künstler. Also der Vorwurf der Gruppendiskriminierung oder gar des Antisemitismus wäre hiermit schon entkräftet.

Allerdings gehört zu meinem historisch formulierten Satz auch, dass wir nichtjüdischen Deutschen mit der Diskriminierung angefangen haben. Dass nun genau die von uns einst diskriminierte Bevölkerungsgruppe diskriminierend gegenüber anderen agiert; sowie dass die eine Diskriminierung nicht ganz unabhängig von der anderen auftritt. Hier in Deutschland an der Frankfurter Schule haben einst Adorno und Horkheimer die Erfahrungen von Unterdrückung und deren Folgewirkung auf andere Gruppen ausreichend erklärt. Das heißt wiederum nicht, dass das, was die Palästinenser erleben, auch nur annähernd so furchtbar ist wie der Holocaust. Davon sind die Israelis weit entfernt, und das ist gut so.

Mitschuld am Nahostkonflikt

Aber so oder so, wir tragen eine Mitschuld am Nahostkonflikt. Ohne den Holocaust hätte es eine langsamere, gerechtere Entwicklung des Staates Israel gegeben, wie sie selbst dem ideologischen Gründer Theodor Herzl vorschwebte. Wahrscheinlich würde selbst Herzl das Rückkehrrecht für Palästinenser zusammen mit dem Recht für jüdische Einwandung unterschreiben – ohne dass er das wie einige BDS-Kritiker als ein Kratzen am Existenzrecht des Staates Israel verstünde.

Und so muss ich auf der jüdisch-arabischen Massada­straße sitzen und daran denken, dass vor der Gründung Israels, vor dem Holocaust, der Großvater meines Mannes hier ebenfalls wandelte. Er war als jüdischer Einwanderer aus dem Iran freundlich akzeptiert, sprach Arabisch, studierte und handelte und machte als gehobener Mittelständler Ausflüge nach Beirut oder Damaskus. In Aleppo traf er eine arabische Jüdin, die er in Haifa heiratete. Er lebte und liebte in der Stadt bis die Holocaustflüchtlinge kamen, später die Holocaustüberlebenden, unsägliche Traumata und entsprechende Ängste, da war es vorbei mit dem einstigen kosmopolitischen palästinensischen Haifa … Israel hätte ohne die deutsche Erfahrung, die deutschen Verbrechen ein anderes Gesicht. Und deshalb haben wir als Täter nicht das Recht, dem Misshandelten zu sagen, dass er Unrecht verübt – zumindest nicht aus einer universalistischen, sogenannten neutralen internationalen Position heraus, wie sie BDS einnimmt.

Nein, BDS geht nicht in Deutschland. Allen, die sich dafür engagieren, kann ich nur sagen: Ihr habt recht, aber: In Deutschland brauchen wir eine kompliziertere Kritik an Israels Palästinapolitik, die gleichzeitig die Deutschen in die Mitverantwortung nimmt.

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