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Eskalation in KasachstanAufgestaute Wut

Kommentar von Barbara Oertel

Lange galt Kasachstan als stabiles Land. Doch es gärte bereits. Der Ruf nach russischen Truppen zeigt, dass es eng wird für die Herrscher.

Militär riegelt am 06.01.2022 in Almaty die Straße ab Foto: Valery Sharifulin/ITAR-TASS/imago

S tabilität war das Label, mit dem Ka­sachs­tan oft und gerne versehen wurde. Dieser Zustand war auch mit massiven Repressionen gegen die politische Opposition, einer Gängelung der Zivilgesellschaft und schweren Menschenrechtsverletzungen erkauft, aber das interessierte nur wenige – vor allem da nicht, wo sich mit dem rohstoffreichen zentralasiatischen Land lukrative Geschäfte machen ließen.

Doch diese Stabilität scheint dahin. Nur wenige Tage genügten, um unter dem Druck von Massenprotesten die Regierung zu Fall zu bringen, den Staat zu Konzessionen zu zwingen und auch die Machtposition des ehemaligen Langzeitpräsidenten Nursultan Nasarbajew zu erschüttern. Dass die Demonstranten trotzdem nicht weichen und sich billig abspeisen lassen wollen, sagt einiges über diese Bewegung aus, die so plan- wie kopflos ist. Sie ist Ausdruck einer über lange Zeit gewachsenen bitteren Erkenntnis, dass sich eine kleptokratische Herrscherdynastie schamlos bereichert, während für große Teile der Bevölkerung allenfalls ein paar Brotsamen abfallen.

Der Unmut, der sich jetzt explosionsartig entladen hat, richtet sich auch gegen Präsident Tokajew. Hegten viele Ka­sa­ch*in­nen bei dessen Amtsantritt 2019 noch Hoffnungen auf Reformen, sind sie mittlerweile eines Besseren belehrt worden. Tokajew hat sich nicht nur als Bewahrer des Status quo, sondern auch als Marionette Nasarbajews erwiesen.

Jetzt glaubt Tokajew offenbar, nur noch mit Gewalt Herr der Lage bleiben zu können. Auch seine rhetorische Begleitmusik spricht Bände. Aus Demonstranten wurden Terroristen und Verschwörer, die natürlich von außen gesteuert sind. Um die zu bekämpfen, ist bekanntlich jedes Mittel recht.

Russische Truppen befeuern den Zorn

Doch offensichtlich fürchtet Nasarbajews „Erbe“, dass es für ihn eng werden könnte. Warum sonst hätte er seine Verbündeten, allen voran Russland, ersucht, so genannte Friedenstruppen in sein Land zu entsenden? Ungeachtet der Tatsache, dass bislang unklar ist, welches Mandat diese Soldaten überhaupt haben, dürfte ihre Präsenz Tokajew bei der Bevölkerung eher schaden und den Volkszorn weiter befeuern.

Kurzum: Noch ist völlig unklar, wie diese Machtprobe aus­gehen wird. Das heißt aber auch, dass eine weitere Eskalation nicht ausgeschlossen ist. Sollte dieser Fall eintreten, wäre das verheerend. Und das nicht nur für Kasachstan.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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9 Kommentare

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  • 0G
    05989 (Profil gelöscht)

    1. Ich würde die Ukraine und Kasachstan nicht vergleichen, denn die Interessen Putins sind da ziemlich unterschiedlich: Die Ukraine kann er aus innenpolitischen Gründen nicht einfach in die Nato entlassen, Kasachstan ist hingegen reine Geopolitik - und in dem Fall auch noch ein Schulterschluß mit China.

    2. Fast immer, wenn Volk fast aus dem Nichts heraus aufbegehrte, war amerikanisches Geld beteiligt.

    3. Cui bono: Der Zeitpunkt ist schon ausgesprochen günstig, wenn man Russland in Schwierigkeiten bringen will.

    Ich kann nicht ausschließen, dass die Kasachen auch ganz einfach selbst das Heft des Handelns in die Hand bekommen wollten - aber Ausbeutung und Ungerechtigkeit sind die gewohnt und dafür war die Reaktion der Aufständischen jetzt arg schnell und heftig.

    Zumindest würde ich mich nicht vorschnell auf das offizielle Narrativ einlassen. Das stinkt jetzt schon an allen Ecken und Enden...

    • @05989 (Profil gelöscht):

      Proteste gab es in Kasachstan auch in den letzten Jahren immer wieder, Streiks der Ölarbeiter, die niedergeschlagen wurden, auch in der Taz wurde darüber berichtet. Interessiert natürlich sonst nicht so, weil Kasachstan. Ukraine u Kasachstan betreffen beide Geopolitik, was sonst. Nur liegt Kasachstan doch zu weit ab vom Schuss, dass der Westen es zu sich rein ziehen könnte. Je klarer das Bild wird, desto mehr zeichnet sich ab, das der kasachische Präsident selbst geputscht hat um die Nasarbajew- Familie loszuwerden. Russland bringt das gar nicht in Schwierigkeiten. 2-3000 Kräfte kann Russland locker erübrigen, ganz nebenbei hat man jetzt einen Fuß in Kasachstan, was Russland lange Jahre verwehrt war. Cui Bono? Wohl nicht den Amis.

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @05989 (Profil gelöscht):

      2.Jahrelange Korruption und Vetternwirtschaft, ist jetzt nicht so das die Menschen da im Paradies leben, die haben gute Gründe ganz ohne $ zu rebellieren.

      3. Es ist extrem nützlich für Russland, es kann Kasachstan näher an sich binden und China's Einfluss in Zentralasien schmälern. Europa und USA haben nichts davon, die paar tausend Mann die es da bindet ändern an der Gesamtlage nichts.

      "aber Ausbeutung und Ungerechtigkeit sind die gewohnt und dafür war die Reaktion der Aufständischen jetzt arg schnell und heftig." Okay... daran gewöhnen sich Menschen nicht, sie haben nur keine Möglichkeit was zu machen oder zuviel Angst, gibt immer den Tropfen der das Fass zum Überlaufen bringt.

      Die offiziellen Narrative aus Moskau und vom Autokraten in Kasachstan kann man so oder so ignorieren das ist Märchenstunde.

    • @05989 (Profil gelöscht):

      "wenn Volk fast aus dem Nichts heraus aufbegehrte, war amerikanisches Geld beteiligt."

      Aus dem Nichts heraus? Woher nehmen Sie diese Erkenntnis? Und wo sehen sie amerikanisches Geld, ich sehe da eher russisches und chinesisches in Ksachstan.

      Ich war schon mal in Almaty und bin dort mit offenen Augen durch die Stadt, durch die Supermärkte, die Büros gegangen und habe mit den Leuten geredet. Auch den nicht so gut gestellten Teilen der Bevölkerung.

      Ingesamt ist Kasachstan nicht arm aber leidlich gut geht es weit weniger als 50%. Die unteren 50% kämpfen ums ökonomische überleben, den das Leben ist teuer un Kasachstan.

  • Wo immer es eng wird für einen Diktator sind Putins helfende "Hände" nicht weit.

  • Wie üblich macht Präsident Tokajew nicht hausgemachte Misswirtschaft für die Massenproteste verantwortlich, sondern "ausländische" Kräfte. Ehemaligen DDR-Bürgern klingt das sehr vertraut in den Ohren! Auch die Staats- und Parteiführung der ehemaligen DDR machte diese "Kräfte" für die Montags-Demos 1989 in (Ost-)Berlin, Leipzig, Plauen, . . . verantwortlich.



    Nicht erklärt wurde, wie es einer Handvoll von ausländischen Bösewichten gelingen kann, hunderttausende Menschen auf die Straße zu zwingen. Und das unter den wachsamen Blicken der Staatsmacht! Sicher hätten seinerzeit Honecker & Co. gern die sowjetischen "Freunde" zu Hilfe gerufen. Aber die hatten eigene Probleme.



    Das heutige Russland unter Putin fühlt sich dagegen stark genug. Vor allem ist für Putin Gefahr im Verzug, wenn im russischen Hinterhof die "Ordnung" ins Wanken gerät. Siehe auch Belarus!

  • Ganz nebenbei werfen die Ereignisse auch ein Blick auf die Zwangslage Armeniens und seines Präsidenten. Wenn der die absurde Behauptung wiederholt bei diesen Protesten seien von außen gesteuerte terroristische Kräfte am Werk, dann lässt sich das wohl als Heulen mit den Wölfen interpretieren – von der Unterstützung der russischen Freunde ist er ja jetzt abhängiger als zuvor u ihm lieb sein kann. Seine Glaubwürdigkeit ist aber nun im A. Leider muss man befürchten, dass es noch lange so weiter gehen wird, manchmal wird ja spekuliert Putin würde sich ein Revival der SU wünschen, aber das bleibt erstmal Spekulation, ein Gorbatschov ist diesmal wie es aussieht nicht so bald in Sicht. Und die Lektion die Putin aus dem letzten Untergang des Imperiums gezogen hat, als Tschekist alter Schule, nehme ich an, ist auf keinen Fall, niemals, irgendwelchen Rufen aus der Bevölkerung nach Freiheit, Demokratie etc nachzugeben. Es wird noch ein langer Weg.

  • Der russische Bär wird sich irgendwann an den großen Brocken verschlucken, die er gierig zu fressen gedenkt: Ukraine, Kasachstan. Das sind andere Kaliber als Tschetschenien oder Georgien, die Putin als Zwischenmahlzeit vertilgt hat. Der Tag wird kommen, an dem die russische Förderation aufgrund derselben strukturellen und institutionellen Fehlleistungen scheitern wird wie die Sowjetunion gescheitert ist. Ist lediglich eine Frage der Zeit.

  • Putin dürfte ziemlich nervös sein?